5-Hydroxytryptophan gegen Heißhunger? |
5-HTP-Extrakte sollen unter anderem zu besserem Schlaf verhelfen. / Foto: Adobe Stock/Sven Vietense
Die Aminosäure 5-Hydroxytryptophan (5-HTP), auch als Oxitriptan bezeichnet, hat keine eigene Funktion im menschlichen Körper. Sie entsteht aus Tryptophan und wird dann weiter zu Serotonin verstoffwechselt. Das »Glückshormon« Serotonin reguliert unter anderem die Stimmung und dient als Ausgangsstoff für die Produktion von Melatonin. Dieses »Schlafhormon« ist wichtig für den Schlaf-Wach-Zyklus.
5-HTP stellt den limitierenden Schritt in der Serotonin- und Melatonin-Biosynthese dar. Wenn ausreichend von der Substanz da ist, soll das die Spiegel von Serotonin und Melatonin erhöhen. Um eine ausreichende Verfügbarkeit sicherzustellen, erscheint es naheliegend, die Substanz von außen zuzuführen. Eine natürliche Quelle sind verschiedene Bananensorten, die neben Tryptophan und Serotonin auch 5-HTP enthalten. Eine besonders reichhaltige Quelle ist die afrikanische Schwarzbohne (Griffonia simplicifolia, Caesalpinaceae). Ihre Samen werden verwendet, um daraus für die kommerzielle Produktion 5-HTP zu gewinnen. Dieses kann dann in Form von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) angeboten werden.
Produkte, die die isolierte Einzelsubstanz als Zutat enthalten, sind in Deutschland und der Europäischen Union derzeit allerdings nicht verkehrsfähig. Laut dem EU-Novel-Food-Katalog gilt 5-HTP, sowohl chemisch synthetisiert als auch aus Griffonia simplicifolia-Samen extrahiert – als neuartiges Lebensmittel. So werden Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten eingestuft, die vor dem 15. Mai 1997 in der EU nicht in nennenswertem Umfang als Lebensmittel konsumiert wurden. Sie dürfen erst nach einer Sicherheitsprüfung mit anschließender Zulassung auf den EU-Markt gebracht werden.
Dennoch tauchen immer wieder 5-HTP-haltige Produkte auf. Das europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel, Lebensmittelbedarfsgegenstände und Futtermittel (Rapid Alert System for Food and Feed, RASFF) hat allein 2023 neun entsprechende Warnungen angezeigt. Beispielsweise wurde am 8. August 2023 vor einem möglicherweise schwerwiegenden Risiko gewarnt, das von mehreren NEM aus Deutschland ausging. Die Schweiz meldete damals die Produkte, die neben 5-HTP/Griffonia-Extrakt weitere nicht zugelassene neuartige Lebensmittelzutaten enthielten.
Laut dem EU-Novel-Food-Katalog zählen Griffonia-Samen nicht zu den neuartigen Lebensmitteln. Das gilt allerdings nur für den Einsatz in NEM. In anderen Lebensmitteln könnte Griffonia-Extrakt als neuartig angesehen und müsste dann erst zugelassen werden. Weiterhin weist die Europäische Kommission darauf hin, dass spezielle nationale Rechtsvorschriften das Inverkehrbringen einschränken könnten. Im Zweifel entscheiden die zuständigen Landesbehörden.
Zu beachten ist ferner, dass Griffonia simplicifolia im »Kompendium pflanzlicher Materialien und Zubereitungen« der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) gelistet ist. Hier finden sich Stoffe, die nach derzeitigem Erkenntnisstand möglicherweise bedenklich für die Gesundheit sind, wenn sie in Lebensmitteln oder NEM verwendet werden.
Supplemente mit dem Extrakt aus den Samen von Griffonia simplicifolia tauchen auf dem deutschen Markt trotz dieser Bedenken auf und können auch über Apotheken bezogen werden. Zu beachten ist, dass es für Extrakte in NEM anders als bei Arzneimitteln keine einheitliche Definition gibt. Der Griffonia-Extrakt kann daher in jedem NEM anders zusammengesetzt sein, was die Wirksamkeit und die unerwünschten Wirkungen beeinflusst.
Die vermeintlichen Wirkungen der Präparate werden von den Funktionen abgeleitet, die Serotonin im Körper hat. Entsprechend soll der Extrakt aus G. simplicifolia bei Beschwerden helfen, die durch einen Serotoninmangel bedingt sind, wie Schlaf- und Angststörungen oder Depressionen, soll aber zum Beispiel auch der Reisekrankheit vorbeugen können. Die klinischen Nachweise dafür beschränken sich allerdings größtenteils auf ältere, qualitativ eher schwache Studien mit kleinen Patientenzahlen. Weiterhin gibt es einige Tierversuche, die hauptsächlich an Mäusen und Ratten durchgeführt wurden.
Noch mit am besten untersucht ist die Wirkung von 5-HTP auf den Appetit und das Körpergewicht. Bei Ratten verringerte die Substanz in Studien die Mahlzeitengröße und verlangsamte die Nahrungsaufnahme. Auch kleine Humanstudien weisen auf diese Effekte hin. Im Jahr 2011 zeigten Wissenschaftler in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie mit 20 übergewichtigen Frauen, dass 5-HTP dem Hungergefühl entgegenwirken konnte. Die vierwöchige Einnahme in Verbindung mit einer personalisierten kalorienreduzierten Diät steigerte das Sättigungsgefühl und führte zu einem Rückgang des BMI. Das reduzierte Appetitgefühl wurde in der Placebogruppe nicht beobachtet.
Einige kleinere Studien aus dem letzten Jahrtausend zeigten ebenfalls, dass 5-HTP die Nahrungsaufnahme verringern und die Gewichtsabnahme fördern konnte. In einer Studie nahmen die Teilnehmer weniger Kohlenhydrate auf und fühlten sich früher gesättigt. Sie erzielten einen signifikanten Gewichtsverlust.
Am bekanntesten in Laienkreisen ist vermutlich die Rolle von Serotonin bei Depressionen. Als Antidepressivum war bis 1992 das rezeptpflichtige Arzneimittel »Levothym« auch auf dem deutschen Markt vertreten. Levothym-Kapseln enthielten 100 mg 5-HTP. Die Serotonin-Vorstufe wurde zur Behandlung von Depressionen eingesetzt, da sie anders als Serotonin die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. In älteren Studien konnten gewisse Erfolge mit Tryptophan und 5-HTP als Antidepressivum gezeigt werden. Weitere Studien zeigten, dass 5-HTP bei Patienten mit Panikstörung im Vergleich zu Placebo die Anzahl der Panikattacken und das Angstgefühl signifikant reduzieren konnte.
Es gibt noch mehr Effekte, die der Aminosäure zugeschrieben werden und für die es gewisse klinische Hinweise gibt. Im Jahr 2015 wurde die Wirkung bei Kindern zur Vorbeugung der Reisekrankheit untersucht. In Gruppe A erhielten die Teilnehmer einen Griffonia/Magnesium-Komplex (50 beziehungsweise 200 mg) drei Monate lang zweimal täglich oral zur Prophylaxe, Gruppe B erhielt keine Therapie. Nach drei Monaten zeigte Gruppe A eine deutlich geringere Prävalenz der Reisekrankheit (36 Prozent) als Gruppe B (73 Prozent). Die Substanz wurde auch zur Prophylaxe von Migräne und Kopfschmerzen untersucht und könnte möglicherweise bei Schlafstörungen helfen. Andere Studiendaten weisen auf gewisse Effekte bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson hin.
Aus pharmakologischer Sicht ist die Serotoninvorstufe durchaus interessant. Die Frage ist, ob die Anwendung sicher ist. Zur Marktrücknahme von Levothym hatten mögliche Verunreinigungen geführt. Bereits 1989 waren Tryptophan-haltige Schlafmittel verboten worden, weil im Zusammenhang mit der Einnahme das Eosinophilie-Myalgie-Syndrom (EMS) aufgetreten war. Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine seltene neurologische Störung, die mit einer Vermehrung der eosinophilen Granulozyten im Blut, Muskel- und Gelenkschmerzen, Hautveränderungen und zum Teil irreversiblen Organschäden einhergeht. Das kontaminierte synthetische Tryptophan stammte damals wohl nur von einem einzelnen Hersteller. Dann erkrankte jedoch sowohl in den USA als auch in Italien je ein Patient an EMS in Verbindung mit 5-HTP. Das Tryptophan-Abbauprodukt wurde daraufhin ebenfalls aus dem Verkehr gezogen.
Aktuell ist in Deutschland legal nur das natürliche, in den Samen der afrikanischen Schwarzbohne enthaltene 5-HTP als Bestandteil des Extraktes in NEM auf dem Markt. Als Nebenwirkungen wurden hier bisher Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Herzrasen berichtet. Ein wichtiger Warnhinweis vom Apothekenteam betrifft Wechselwirkungen mit Medikamenten. 5-HTP darf nicht zusammen mit Präparaten eingenommen werden, die ebenfalls auf den Serotoninspiegel wirken. Das trifft auf Antidepressiva wie trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) zu.
Es kann sonst ein Serotonin-Syndrom resultieren, das mit psychischen Veränderungen sowie autonomer und neuromuskulärer Hyperaktivität einhergeht und potenziell lebensbedrohlich ist. Die Gefahr für ein Serotonin-Syndrom besteht auch, wenn Patienten 5-HTP in sehr hohen Dosen konsumieren. Die Kombination von 5-HTP mit dem Parkinson-Medikament Carbidopa führt zu einer verringerten peripheren Decarboxylierung von 5-HTP zu Serontonin und erhöht damit die Bioverfügbarkeit für die Hirnpenetration. Übelkeit und Erbrechen als unerwünschte Wirkungen können sich verstärken. Warnhinweise zu Neben- und Wechselwirkungen fehlen auf den NEM allerdings sehr oft. Meist unterbleibt auch die Angabe, dass sich 5-HTP weder für Schwangere noch für Stillende oder Kinder eignet.
Wenn nach dem NEM gezielt bei Depressionen, Angst- und Schlafstörungen oder als Abnehmhilfe bei Adipositas gefragt wird, kann das Apothekenteam hellhörig werden. Es handelt sich dabei um anerkannte und teilweise ernste Krankheiten. Sie bedürfen einer fachärztlichen Diagnose, Ursachensuche und adäquaten Behandlung. NEM zählen zu den Lebensmitteln. Sie dienen lediglich der Ergänzung von Versorgungslücken in der Ernährung, nicht aber zur Therapie von Krankheiten. Eine Bewerbung als Heilmittel ist nicht erlaubt. Erlaubt ist allenfalls, mit den von der EFSA zugelassenen Health Claims zu werben, die auf einer als ausreichend erachteten wissenschaftlichen Datenbasis beruhen. Solche genehmigten Health Claims liegen für 5-HTP oder den Extrakt aus Griffonia simplicifolia derzeit allerdings nicht vor.