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Symptome und Therapie

ADHS nicht selten bei Erwachsenen

Ständig unter Strom, fast zwanghaft Sport, leicht ablenkbar und oft unkonzentriert? Das kann mehrere Ursachen haben, eine davon ist ADHS. Es sind nicht wenige Erwachsene, die darunter leiden. Dr. Markus Kölle, Universitätsklinikum Bonn, über Zusammenhänge und Hilfe.
AutorKontaktIsabel Weinert
Datum 16.08.2023  12:00 Uhr

PTA-Forum: Wie viele Erwachsene sind hierzulande von ADHS betroffen?

Kölle: Eine Studie konnte 2012 in Deutschland eine Prävalenz von 4,7 Prozent unter Erwachsenen nachweisen. Mit zunehmendem Lebensalter sinkt statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, von ADHS betroffen zu sein. Aber es gibt auch im höchsten Lebensalter ADHS-Patienten mit einem vom Kindesalter an nachvollziehbaren Verlauf der Erkrankung. Weltweit geht man von einer durchschnittlichen Prävalenz von etwa 2,5 Prozent aus.

PTA-Forum: In der Kindheit erkranken mehr Jungen, bei Erwachsenen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Spricht das nicht dagegen, dass ADHS immer bereits im Kindesalter angelegt sein muss?

Kölle: Aktuell ist noch nicht klar, was die Ursache für diesen Befund ist. Es kann sein, dass die bislang bekannten Prävalenzen unter Mädchen und jungen Frauen falsch niedrig liegen, dass also ADHS bei Mädchen und jungen Frauen bislang zu oft übersehen wurde. Eine andere Möglichkeit wäre, dass bei betroffenen Jungen beziehungsweise jungen Männern im Vergleich zu Frauen die Symptomatik bis zum Erreichen des Erwachsenenalters mit höherer Wahrscheinlichkeit auf ein nicht mehr relevantes Maß zurückgeht. Ein häufiges Neuauftreten von ADHS im Erwachsenenalter, das vor allem Frauen betrifft, ist nicht wahrscheinlich.

PTA-Forum: Worauf lässt sich ADHS nach derzeitigem Kenntnisstand neurophysiologisch zurückführen?

Kölle: Früher ging man von einer vor allem genetisch bedingten Dopamin-Stoffwechselstörung als Hauptursache von ADHS aus. Aktuelle Forschungsergebnisse können dies nicht bestätigen. Hingegen gibt es gute Belege für ein Reifungsdefizit beziehungsweise eine Reifungsverzögerung, die vor allem das Frontal- und das Temporalhirn betrifft, als Ursache für ADHS.

Dabei gilt weiterhin, dass die Vererbbarkeit von ADHS hoch ist. Jedoch scheint der Einfluss der Gene, für die ein signifikanter Zusammenhang mit ADHS gezeigt werden konnte, geringer zu sein als bislang angenommen. Daher werden aktuell zum Beispiel auch epigenetische Faktoren intensiv untersucht. Auch wenn die Genetik des Dopaminstoffwechsels nicht entscheidend für das Erkrankungsrisiko ist, spielt dennoch auch eine Dysbalance des Dopaminsystems eine wichtige Rolle für die Entstehung der Symptome und für die Behandlung der ADHS.

PTA-Forum: Welche sind die häufigsten Symptome bei Männern, welche bei Frauen?

Kölle: Grundsätzlich sind die Symptome der ADHS sowohl die Konzentrations- und Gedächtnisstörung als auch Hyperaktivität und Impulsivität. Davon sind sowohl Frauen als auch Männer betroffen. Je nachdem, welche Symptome im Vordergrund stehen, kann man unterschiedliche Subtypen oder Erscheinungsbilder diagnostizieren: inattentiv (Anm. d. Red.: aus dem Englischen für unaufmerksam), hyperaktiv-impulsiv oder kombiniert (sowohl Aufmerksamkeitsstörung als auch Hyperaktivität/Impulsivität).

Das kombinierte Erscheinungsbild kommt am häufigsten vor, seltener inattentiv, am seltensten hyperaktiv-impulsiv. Diese Nomenklatur und die Einteilung sind übrigens dem amerikanischen Diagnosesystem entnommen. Daran orientiert sich die weltweite ADHS-Forschung und auch die ICD-11, die gerade in Deutschland und vielen anderen Ländern die ICD-10 ablöst. Andere Definitionen und Unterscheidungen wie zum Beispiel ADS versus ADHS sollten damit der Vergangenheit angehören.

PTA-Forum: Wie komme ich als Erwachsene bei mir selbst auf den Verdacht?

Kölle: Konzentrationsprobleme können sich auf verschiedene Art bemerkbar machen. Manche Menschen sind ständig müde, haben oft Kopfschmerzen und bekommen abends nach der Arbeit einfach nichts mehr hin. Andere bemerken, dass sie sich nicht lange konzentrieren können ohne gedanklich abzuschweifen oder dass sie sich deutlich stärker als andere zum Beispiel von Umgebungsgeräuschen ablenken und stören lassen.

Manche Betroffenen merken es selbst nicht, werden aber immer wieder von Kollegen darauf hingewiesen, dass sie nicht bei der Sache sind. Bei ADHS ist die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, meist sehr stark davon abhängig, ob Interesse und Freude an einer Tätigkeit vorhanden sind. Und auch wenn bei neuen Interessen und Aktivitäten anfangs große Begeisterung da ist und alles ganz schnell und einfach geht, lässt dies oft schnell wieder nach.

Prokrastinieren, also ständiges Aufschieben von Dingen, häufiges Zuspätkommen, Vergesslichkeit und häufiges Verlegen oder Verlieren von Dingen sind weitere Anzeichen.

Hyperaktivität und Impulsivität machen sich im Erwachsenenalter oft als ständige innere Unruhe oder Anspannungsgefühl bemerkbar. Ständiges Herumspielen an etwas, nicht lange ruhig sitzen können oder ein sehr ausgeprägtes Bedürfnis, häufig intensiv Sport zu treiben, weil es einem sonst nicht gut geht, können Hinweise auf ADHS sein.

PTA-Forum: Was mache ich dann?

Kölle: Als erstes sollte man mit dem Hausarzt/der Hausärztin Kontakt aufnehmen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Gegebenenfalls kann dann die Überweisung zum psychiatrischen Facharzt oder die Planung einer ambulanten Psychotherapie erfolgen. Die Diagnose kann von psychiatrischen Fachärzten oder psychologischen Psychotherapeuten mit Erfahrung im Bereich ADHS gestellt werden.

PTA-Forum: Wie schließen Mediziner andere Ursachen für die Symptome aus?

Kölle: Mit einer Blutabnahme (Routinelabor einschließlich Schilddrüsen-Parameter), einer Bildgebung des Gehirns und einem EEG können bereits viele mögliche somatische Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden. Die Abgrenzung zu anderen psychiatrischen Erkrankungen erfolgt im Anamnese-Gespräch, gegebenenfalls können Fragebögen, strukturierte Interviews und eine neuropsychologische Untersuchung hilfreiche Informationen liefern.

PTA-Forum: Worin besteht die Therapie?

Kölle: Eine leitliniengerechte ADHS-Behandlung ist multimodal. Das bedeutet, dass verschiedene Wege genutzt werden sollen, um die ADHS-Symptomatik zu bessern. Zunächst wird nach der Diagnosestellung über die bestätigte Diagnose aufgeklärt und es werden grundlegende Zusammenhänge zu ADHS erklärt, Fragen beantwortet.

Meist empfehlen wir regelmäßigen Sport als eine wichtige und wirksame Maßnahme, um die Symptomatik zu bessern. Sich mithilfe geeigneter Quellen selbst über das Krankheitsbild zu informieren, empfehlen wir ebenfalls. Diese Dinge fallen unter den Begriff Psychoedukation. Psychotherapie, Ergotherapie, Konzentrationstraining mit Unterstützung von Neurofeedback und die medikamentöse Behandlung, zum Beispiel mit Stimulanzien, sind weitere Optionen.

PTA-Forum: Was sagen Sie Menschen, auch Experten, die behaupten, ADHS gäbe es nicht?

Kölle: ADHS ist eine Entwicklungsstörung, deren Symptome von Kindheit an vorhanden sind. Manche Menschen haben Glück und können sich mit ADHS das Leben passend einrichten. Andere leiden sehr unter den Symptomen. Es mag etwas schwieriger sein, eine ADHS zu erkennen und richtig zu behandeln als zum Beispiel eine schwere Depression oder eine Schizophrenie, weil es nicht um Symptome wie Suizidalität oder Halluzinationen geht, sondern um die Ausprägung und das gemeinsame Auftreten mehrerer Symptome, die jeder Mensch in einem gewissen Umfang von sich und anderen kennt.

Dennoch ist es zum Teil sehr, sehr eindrucksvoll, wie viel sich in einem Leben durch eine ADHS-Diagnose und -Behandlung zum Positiven wenden kann. Ich wünsche daher jedem Menschen, der mit einer solchen Einstellung, es gäbe ADHS nicht, unterwegs ist, die Begegnung mit Menschen, denen es gut geht, weil sie eine ADHS-Diagnose und die passende Hilfe und Unterstützung bekommen haben. Die komplexen Zusammenhänge auf solche Aussagen herunterzubrechen, hilft niemandem, sondern verunsichert nur oder bestärkt vorhandene Vorurteile, die meist auf einem Mangel an Informationen beruhen.

PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch.

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