Allergietherapie mit KISS-Faktor |
Flower-Power ohne Nebenwirkungen, das wünschen sich Allergiker. / Foto: Getty Images/Rohappy
Erfahrungsgemäß gehören Heuschnupfen-Geplagte zu den eher weniger therapietreuen Patienten. Während ihrer Beschwerdemonate wenden sie zwar mehr oder weniger konsequent ihre Antiallergika an. Doch sobald die Saison vorüber ist, scheinen sie ihre Beschwerden zu vergessen, bis es im darauffolgenden Jahr erneut losgeht. Das konnte Professor Dr. Ralph Mösges bestätigen. »Allergische Patienten neigen dazu, Medikamente nur anzuwenden, wenn dies aufgrund nicht mehr tolerierbarer Beschwerden unbedingt erforderlich ist«, sagte der Allergologe und HNO-Arzt bei einer digitalen Pressekonferenz von Sanofi-Aventis.
Studien zeigten immer wieder: »Je komplexer die Therapie, desto geringer die Akzeptanz. Je mehr Arzneimittel in unterschiedlicher Darreichung - da die Augentropfen, dann das Cortisonspray in die Nase und wenn es ganz heftig wird noch eine Tablette -, desto schwieriger wird es für den Patienten, durchzuhalten.« Zudem seien Heuschnupfen-Patienten nach den Ausführungen Mösges nicht besonders geduldig. »Der Allergiker will eine sofortige Wirkung, wenn ihn die Beschwerden überfallen. Deshalb stehen immer noch die abschwellenden Nasensprays bei ihnen hoch im Kurs, obwohl ihre langfristigen Nachteile den kurzfristigen Effekt bei Weitem übersteigen.« Eine alltagstaugliche Allergietherapie orientiere sich deshalb am KISS-Prinzip, was für »Keep it short and simple« steht. »Hierbei und bezüglich der Nebenwirkungsrate kann Bilastin punkten wie kein anderer Wirkstoff«, so der Mediziner vom Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie der Universitätsklinik Köln.
Seit Anfang Januar ist Bilastin in der 20-mg-Variante als rezeptfreies Antihistaminikum unter dem Namen Allegra® auf dem Markt. Als Rx-Präparat hieß es Bitosen®; ging aber aufgrund des bevorstehenden OTC-Switches vom Markt. Indiziert ist Allegra zur symptomatischen Behandlung bei allergischer Rhinokonjunktivitis sowie bei Nesselsucht (Urtikaria) bei Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren. Die Anwendungsdauer soll bei saisonalen Beschwerden auf den Zeitraum der Exposition beschränkt sein. Bestehen die Beschwerden ganzjährig wie etwa bei einer Hausstauballergie, ist eine Dauerbehandlung möglich. Ende Januar hat der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sich dafür ausgesprochen, auch die 10-mg-Variante für Kinder ab sechs Jahren aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
Bilastin ist ein Vertreter der Wirkstoffklasse der H1-Antihistaminika. Es wirkt also dem Gewebshormon Histamin entgegen, das bei allergischen Reaktionen in großer Menge freigesetzt wird. H1-Antihistaminika der ersten Generation, etwa Clemastin, Dimetinden und Diphenhydramin, haben neben der antiallergischen auch eine zentral dämpfende Wirkung, die bei Wirkstoffen der zweiten Generation, zum Beispiel (Levo)Cetirizin, (Des)Loratadin oder eben Bilastin mehr oder weniger fehlt. Die Zweitgenerations-Substanzen können die Blut-Hirn-Schranke überwinden, doch werden sie vom Transportprotein P-Glykoprotein (P-gp) aktiv wieder in unterschiedlichem Ausmaß aus dem ZNS herausbefördert.
Dieser Mechanismus ist entscheidend dafür, dass die wichtigsten potenziellen Nebenwirkungen Müdigkeit und Somnolenz bei den neueren Wirkstoffen wesentlich seltener vorkommen als bei den Vorgängersubstanzen. »Dennoch treten sie auf, mehr noch unter Cetirizin als unter Loratadin. Bilastin hat sich etwa in Fahrtauglichkeitstests von allen zugelassenen Antihistaminika als das am wenigsten sedierende gezeigt. Bilastin in einer Dosierung von 20 mg und auch 40 mg hat über einen Zeitraum von bis zu acht Tagen weder objektive noch subjektive Beeinträchtigungen des ZNS gezeigt und beeinträchtigt auch nicht die Fahrtüchtigkeit. Bilastin hat ein besseres ZNS-Sicherheitsprofil als Cetirizin«, stellte Mösges Vergleichsdaten vor. Laut Fachinformation liegt die Häufigkeit von Somnolenz und Ermüdung unter Bilastin-Therapie auf Placeboniveau.
Während gemeinhin empfohlen wird, Antihistaminika der ersten und zweiten Generation abends einzunehmen, rät Mösges bei Bilastin zur regelmäßigen morgendlichen Gabe vor dem Frühstück. »Dann kann es wirken, bevor die Schleimhäute in Kontakt mit dem Allergen treten und eine Entzündungsreaktion auslösen.« Denn die Problematik sei häufig, dass Medikamente erst dann genommen werden, wenn die allergische Entzündungsreaktion bereits voll ausgeprägt ist. Dann habe es jedes Medikament schwer, die überschießende Reaktion wieder unter Kontrolle zu bringen.
Da Nahrungsmittel oder Fruchtsäfte – vor allem Grapefruitsaft – die orale Bioverfügbarkeit von Bilastin um 30 Prozent senken, soll der Patient zwei Stunden vor und eine Stunde nach der Einnahme der Tablette nichts essen und keinen Saft trinken. Zudem gibt es außer der bereits erwähnten Wechselwirkung mit der Nahrung keine klinisch relevanten Interaktionen, auch nicht mit Alkohol oder anderen zentral dämpfenden Mitteln wie Benzodiazepinen. Da Bilastin nicht metabolisiert und unverändert teils über den Urin und teils den Fäzes ausgeschieden wird, erfordern weder eine Nieren- noch eine Leberinsuffizienz eine Dosisanpassung.
Herstellerfirma ist die Firma Nattermann, eine Tochtergesellschaft von Sanofi-Aventis. Letztere hat in Österreich unter demselben Markennamen Allegra® ein anderes H1-Antihistaminikum – Fexofenadin – im Handel. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen Wirkstoff der zweiten Generation, den Nattermann in Deutschland als Telfast® vermarktet.
Fexofenadin hat eine pharmakologische Hintergrundgeschichte: Es ist die Weiterentwicklung von Terfenadin (Teldane® und Generika), das 1998 wegen kardiotoxischer Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde. Terfenadin ist ein Prodrug, das in der Leber über CYP3A4 in die Wirkform Fexofenadin überführt wird. Ist der Metabolismus – etwa aufgrund von Interaktionen mit anderen Arzneimitteln oder zum Beispiel Grapefruitsaft – behindert, akkumuliert das arrhythmogene Terfenadin und das nicht kardiotoxische Fexofenadin wird kaum gebildet. Ähnliche Gründe führten auch zur Marktrücknahme von Astemizol (Hismanal®) 1999.