Aminosäure mit Potenz(ial)? |
Die Einnahme von L-Arginin soll die Durchblutung verbessern und so bei Erektionsproblemen helfen. Studienergebnisse dazu sind allerdings nicht eindeutig. / Foto: Getty Images/Paul Bradbury
Der Körper eines erwachsenen Menschen kann die Aminosäure L-Arginin in ausreichender Menge selbst herstellen. Ein Mangel ist selten. Frühgeborene können sie hingegen noch gar nicht selbst synthetisieren, Kinder nicht in ausreichender Menge. L-Arginin zählt zu den bedingt essenziellen Aminosäuren. Die Substanz beschrieben erstmals 1886 der deutsche Chemiker Ernst Schulze und sein Doktorand Ernst Steiger. Sie isolierten L-Arginin aus gelben Lupinenkeimlingen. Schulze benannte die Verbindung wegen der silberweißen Farbe der Argininnitratkristalle nach dem griechischen Wort árgyros, das »Silber« bedeutet. Industriell wird L-Arginin durch Fermentation aus pflanzlichen Grundstoffen wie Getreide gewonnen. Aus Ausgangsstoffen wie Menschen- und Tierhaaren, Federn oder Gelatine kann es extrahiert werden.
Die Produktion im Körper erfolgt im Harnstoffzyklus aus Citrullin beziehungsweise Ornithin. Ornithin und Citrullin kann der Körper selbst herstellen. Für Ornithin baut er die Aminosäuren Prolin und Glutamin beziehungsweise Glutaminsäure ab. Citrullin entsteht aus Ornithin und gelangt über das Blut zu den proximalen Tubuluszellen der Niere. Diese wandeln Citrullin in L-Arginin um. Eine beeinträchtigte Nierenfunktion verringert die Argininsynthese. Die Zufuhr über die Nahrung wird wichtiger und L-Arginin kann essenziell werden.
L-Arginin ist an verschiedenen Prozessen im Körper beteiligt, darunter Zellteilung, Wundheilung und Immunfunktionen. Im Harnstoffzyklus wird es gebraucht, um Ammoniak abzubauen und es ist eine Vorläufersubstanz für wichtige Verbindungen wie Spermidin, Kreatin oder Stickstoffmonoxid (NO). NO weitet die Blutgefäße und senkt dadurch den Blutdruck. Bei einem L-Arginin-Mangel können Durchblutungsstörungen, Bluthochdruck und Erektionsstörungen entstehen. Ein Gegenspieler des L-Arginins ist das asymmetrische Dimethylarginin (ADMA). Es hemmt die NO-Synthese aus L-Arginin. Eine erhöhte ADMA-Konzentration beziehungsweise ein ungünstiges Verhältnis L-Arginin/ADMA gilt als ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Webeaussagen suggerieren, dass eine Supplementation von L-Arginin die Durchblutung steigern und dadurch Männern mit Erektionsproblemen helfen könnte. Eine entsprechende gesundheitsbezogene Aussage (Health Claim) hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aber nicht genehmigt. In einer wissenschaftlichen Stellungnahme aus 2011 hat die EFSA dieses Gesundheitsversprechen und weitere beantragte Health Claims abgelehnt, da sie die Aussagen als nicht ausreichend belegt befand. Daher gibt es aktuell keine gesundheitsbezogenen Aussagen für L-Arginin, mit denen Hersteller legal werben dürfen.
Viele Präparate enthalten allerdings oft weitere Bestandteile, für die Health Claims zugelassen sind, die eine Wirkung auf die Potenz und sexuelle Leistungsfähigkeit implizieren. So ist es zum Beispiel erlaubt, damit zu werben, dass die Vitamine B2, B6, B12 sowie Magnesium und Eisen dazu beitragen, Müdigkeit und Ermüdung zu verringern. Bei Vitamin C, Magnesium und Eisen dürfen Hersteller sagen, dass die Zusätze zu einem normalen Energiestoffwechsel beitragen. Bei Zink und Selen ist die Aussage erlaubt, dass diese einen »Beitrag zum normalen Testosteronspiegel« respektive »zur normalen Spermienbildung« leisten. Weitere mögliche Beimischungen sind anregend und durchblutungsfördernd wirkende Substanzen wie Koffein oder Guarana.
Die Vorstellung, dass L-Arginin bei Männern potenzsteigernd wirkt, geht auf einige kleinere Studien zurück. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass L-Arginin in Studien zwar bei leichten und mittleren Erektionsstörungen eine gewisse Wirksamkeit gezeigt hat. Die Ergebnisse waren allerdings nicht einheitlich. Es unterschieden sich die Dosen an eingesetztem L-Arginin und in einigen Studien prüften Wissenschaftler nicht L-Arginin allein, sondern in Kombination mit den potenzsteigernden Phosphodiesterase-(PDE-)5-Hemmern Sildenafil und Tadalafil oder L-Arginin kombiniert mit pflanzlichen Inhaltsstoffen.
Den Kenntnisstand haben 2019 Autoren aus Südkorea zusammengefasst. Sie untersuchten in einer Metaanalyse die Wirksamkeit und Sicherheit von L-Arginin-Präparaten bei erektiler Dysfunktion als Alternative zu PDE-5-Hemmern. Um die Ergebnisse besser interpretieren zu können, führten sie Untergruppenanalysen für L-Arginin allein und L-Arginin in Kombination mit anderen Substanzen durch. Die Analyse zeigte, dass L-Arginin-Präparate mit einer Dosierung von 1500 bis 5000 mg eine erektile Dysfunktion im Vergleich zu Placebo oder keiner Behandlung signifikant verbessern konnten. Sie verbesserten zudem signifikant Subdomain-Scores auf dem Internationalen Index der erektilen Funktion (IIEF) für die Gesamtzufriedenheit, die Zufriedenheit mit dem Geschlechtsverkehr, die Orgasmusfunktion und die erektile Funktion. Der IIEF-Score für das sexuelle Verlangen blieb unverändert.
2021 wurde in einer systematischen Überprüfung die Evidenz für alternative Medikamente und pflanzliche Heilmittel bei erektiler Dysfunktion untersucht. L-Arginin zählte zu den Behandlungen, denen die Wissenschaftler eine Evidenz basierend auf den IIEF-Ergebnissen zusprachen. Die Wirkmechanismen sind jedoch unklar; ein Einfluss auf die Stickstoffmonoxid-Synthese wird angenommen. Wichtig ist laut den Autoren, dass Lebensstilinterventionen wie eine gesunde Ernährung und körperliche Betätigung ebenfalls die erektile Dysfunktion verbessern können.
Es gibt Hinweise, dass L-Arginin in sehr hohen Dosen (etwa 6 bis 8 g/Tag) Gefäße und Blutdruck günstig beeinflussen kann. Möglicherweise könnten die Wirkungen in Zukunft therapeutisch bei Erkrankungen wie Arteriosklerose nutzbar gemacht werden. Dafür fehlt bislang aber noch eine ausreichende Evidenz.
Es liegen einige klinische Studien mit gesunden Freiwilligen oder Patienten vor, die an Bluthochdruck und Diabetes leiden. 2020 überprüften Wissenschaftler aus den USA und Italien in einem systematischen Review die verfügbaren Daten zur L-Arginin-Supplementierung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Insbesondere, wenn es darum geht, die Entwicklung von Bluthochdruck und Arteriosklerose zu verhindern, fanden sie Hinweise auf eine Wirksamkeit. Unklar ist jedoch laut den Autoren, welche Gruppen am ehesten von der Einnahme profitieren. Infrage kämen zum Beispiel Patienten mit einem erhöhten Verhältnis an ADMA zu L-Arginin.
Nicht ausreichend untersucht ist allerdings weiterhin, welche Dosis nötig ist. Nicht alle geprüften Dosierungen seien wirksam gewesen. So habe sich beispielsweise gezeigt, dass die akute orale Verabreichung von L-Arginin (9 g/Tag) keine wirksame NO-Produktion auslösen konnte. Es seien große, prospektive, randomisierte klinische Studien erforderlich, um die offenen Fragen zu beantworten.
Die orale Einnahme von L-Arginin gilt allgemein als sicher. Als Nebenwirkungen wurden Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall und Blähungen berichtet, ebenso Gicht, Kopfschmerzen und allergische Reaktionen. Bei Asthmatikern können sich die Asthmasymptome verschlechtern. Menschen, die kürzlich einen Herzinfarkt hatten, sehen von der Einnahme besser ab, da es Hinweise gibt, dass das NEM bei ihnen das Sterberisiko erhöhen könnte. Des Weiteren könnte es sein, dass zu viel L-Arginin die Ausbreitung von Herpesviren im Körper fördert.
Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer reduzieren die Blutgerinnung. Die gleichzeitige Einnahme von L-Arginin könnte das Blutungsrisiko erhöhen. L-Arginin kann blutdrucksenkend wirken. Die Kombination mit einem Antihypertensivum erhöht möglicherweise das Risiko, dass der Blutdruck zu tief absackt. Bei Menschen mit Diabetes gibt es Hinweise, dass Arginin den Blutzuckerspiegel senken könnte. Die Patienten müssen bei gleichzeitiger Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) mit L-Arginin unter Umständen ihre Dosis an Antidiabetika anpassen. Da L-Arginin den Kaliumspiegel beeinflusst, verzichten Patienten, die kaliumsparende Diuretika einnehmen, auf eine Supplementation, um einen Anstieg des Kaliumspiegels zu vermeiden. Aus Sicherheitsgründen nehmen auch schwangere und stillende Frauen sowie Kinder und Jugendliche ohne ärztliche Anweisung keine NEM mit L-Arginin ein.
Ihrer Gesundheit zuliebe holen Männer mit Erektionsproblemen am besten immer ärztlichen Rat ein und sehen davon ab, die Störung in Eigenregie mit dafür nicht zugelassenen NEM zu behandeln. Bei den Betroffenen könnten Ursachen wie eine bisher nicht diagnostizierte Herz-Kreislauf-Erkrankung vorliegen, die adäquat therapiert werden sollte. Auf natürliche Weise können Bewegung, ein normales Körpergewicht, der Verzicht auf Rauchen und Cholesterolwerte im Normalbereich die Potenz verbessern.
Für die meisten Erwachsenen ist es nicht erforderlich, L-Arginin zu supplementieren. Sie können die Aminosäure selbst herstellen und nehmen sie über Nahrungsmittel wie Fisch, Meeresfrüchte, Nüsse, Sojaprodukte, Mais, Natureis, Hähnchen- und Schweinefleisch zusätzlich auf. Menschen mit bestimmten Krankheiten wie Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes produzieren weniger L-Arginin. Bei ihnen reicht im Normalfall jedoch die Aufnahme über eine ausgewogene Ernährung aus, um einem Mangel vorzubeugen.
Wer L-Arginin dennoch einnehmen möchte, bezieht die Präparate besser nicht aus dem Internet. Dort können Verbraucher an unseriöse Händler geraten, die ihren Produkten möglicherweise Arzneistoffe wie Sildenafil oder Tadalafil beigemischt haben. Solche und ähnliche unerlaubte Zusätze sind nicht deklariert. Auch versehentliche Verunreinigungen oder gesundheitsschädliche Produktionsrückstände können in NEM aus unklarer Quelle enthalten sein.