Apotheker planen Musterprozess zu Rezeptur-Retaxationen |
Bei der Abrechnung bestimmter Rezepturen herrscht nach der Kündigung der Hilfstaxe ein »vertragsloser« Zustand. / © Getty Images/Kzenon
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hatte die Anlage 1 (Stoffe) und 2 (Gefäße) der Hilfstaxe zum 31. Dezember 2023 gekündigt. Die Verhandlungen mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) waren gescheitert. Die Kassenseite hatte sich geweigert, die gestiegenen Kosten bei Rezepturen in der Hilfstaxe abzubilden – obwohl die Preise zuletzt Anfang 2019 angepasst wurden.
Seit Jahresbeginn gilt deshalb ein »vertragsloser Zustand«. Und das bedeutet: Stoffe und Gefäße können nach §§ 4 und 5 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) abgerechnet werden. So lautet auch die Empfehlung des DAV – der den Apotheken rät, das damit einhergehende Risiko von Retaxationen in Kauf zu nehmen.
Mehrere Krankenkassen hatten angekündigt, das Vorgehen nicht zu akzeptieren und die abgerechneten Packungen nur anteilig zu bezahlen. Und sie lassen Taten folgen. Mehrere AOKen haben bereits Rezepte über Rezepturen retaxiert. Die AOK Bayern hat sogar die Einsprüche des Bayerischen Apothekerverbands (BAV) schon abgelehnt.
Auch die AOK Hessen hat laut dem Hessischen Apothekerverband (HAV) schon zahlreiche Retaxationen ausgesprochen und pocht auf die Abrechnung von Teilmengen. Der Verband hatte angekündigt, seine Mitglieder bei Auseinandersetzungen mit den Kassen zu unterstützen. Retaxationen liegen nach Informationen der PZ auch schon von verschiedenen BKK vor sowie im Ersatzkassenlager von DAK und KKH. Kassen wie BIG direkt gesund und IKK haben über den Dienstleister SpectrumK Retaxationen ausgesprochen.
Die Apotheken müssten – bei abgelehntem Einspruch – vor Gericht um die Erstattung streiten. Um eine Vielzahl von Prozessen zu vermeiden, strebt der DAV einen Musterprozess an. Die Fallkonstellation ist nicht besonders komplex, vermutlich lassen sich die rechtlich relevanten Fragen in einem Stellvertreterverfahren gut klären.
Die Vertragspartner einigen sich dann in der Regel auf den Verzicht der Einrede der Verjährung in allen anderen Fällen. Diese ruhen dann bis zu einer endgültigen Klärung im Musterprozess. Detaillierte Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern hat es aber nach Informationen der PZ aber noch nicht gegeben.
Rückenwind in einem etwaigen Rechtsstreit könnte der DAV durch ein anderes Verfahren erhalten, das der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) gegen die AOK Nordwest führt. Der Fall liegt derzeit beim Bundessozialgericht (BSG). Die Kasse hatte wiederholt auch bei Rezeptur-Rezepten retaxiert, die nicht von den Anlagen 1 und 2 der Hilfstaxe betroffen waren. Während der AVWL hier von einer Abrechnung nach AMPreisV ausging, erstattete die Kasse nur entsprechend der tatsächlich verwendeten Menge einen anteiligen Arzneimittelpreis.
Schließlich traf man sich in der Sache vor Gericht. Das Sozialgericht Münster wie auch im Berufungsverfahren das Landessozialgericht Essen gaben der Apothekerseite recht und verpflichteten die Kasse zur Erstattung des vollen Preises. Ausgestanden ist die Sache aber noch nicht. Die AOK Nordwest ist in Revision gegangen und strebt vor dem BSG eine höchstrichterliche Klärung an.
Dort wird nun letztinstanzlich über die Auslegung des § 5 Absatz 2 AMPreisV hinsichtlich der Frage gestritten, ob bei der Berechnung der Festzuschüsse auf Rezepturarzneimittel vom Einkaufspreis der üblichen Abpackung eines verwendeten Stoffes beziehungsweise der erforderlichen Packungsgröße verwendeter Fertigarzneimittel auszugehen ist, selbst wenn bei der Zubereitung des Rezepturarzneimittels der Inhalt der üblichen Abpackung beziehungsweise Packungsgröße nicht vollständig verbraucht wird. Einen Termin zur Verhandlung gibt es noch nicht.