Artischocke: Delikatesse, Heilpflanze und Vasenschmuck |
Kerstin Pohl |
05.07.2022 16:00 Uhr |
Bereits die alten Ägypter kannten und kultivierten die Artischocke, ebenso wie die alten Römer. Die Araber brachten die Pflanze im ersten Jahrhundert nach Christus aus dem südlichen Mittelmeerraum nach Europa. Im 15. Jahrhundert gelangte sie aus Sizilien nach Frankreich und England, später auch in die USA. Im 18.Jahrhundert waren Artischocken als Zierpflanzen beim französischen Landadel sehr beliebt, da die Pflanze ein Sinnbild für Reichtum und vornehme Lebensart darstellte, quasi eine »Königin der Gemüse«.
Aber nicht nur als Edelgemüse ist die Artischocke beliebt, als Heilpflanze soll sie den Appetit anregen, die Verdauung fördern und zudem den Cholesterinspiegel positiv beeinflussen. Auch für Abnehmwillige ist sie wegen ihres geringen Energie- und hohen Ballaststoffgehalts sehr gut geeignet. Damit nicht genug, soll sie auch aphrodisierend wirken.
Artischocken sind ein Superfood, das mit 22 kcal je 100 g sehr wenige Kilokalorien enthält. Das wundert nicht, da der Wasseranteil knapp 83 g/100 g beträgt und das Gemüse praktisch kein Fett enthält. Auch der Anteil an Kohlenhydraten ist mit 2,6 g/100 g gering, dafür ist der Gehalt an Ballaststoffen mit knapp 11 g/100 g hoch.
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Wasser: 82,5 g | Phosphor: 130 mg
Protein: 2,4 g | Magnesium: 26 mg
Fett: fast fettfrei | Natrium: 47 mg
Cholesterinfrei | Vitamin C: 8 mg
Kohlenhydrate: 2,6 g | Eisen: 1,5 mg
Ballaststoffe:10,8 g | Kalium: 350 mg
Calcium: 53 mg | Folsäure: 68 µg
Retinol-Äquivalent: 17 µg | Biotin: 4,1 µg
Energiegehalt: Je 100 Gramm 22 kcal
Da die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu einer Aufnahme von 30 g Ballaststoffen pro Tag rät, sind Artischocken das ideale Lebensmittel, um diese Empfehlung umzusetzen. Zudem hat der Ballaststoff Inulin, ein wasserlösliches Fruktosepolymer, einen positiven Einfluss auf das Darmmikrobiom: Es stimuliert dort die Vermehrung von Bifidobakterien, die zu den Probiotika zählen und beispielsweise bei der Behandlung eines Reizdarms oder auch bei Magen-Darmbeschwerden eingesetzt werden.
Zwar enthalten Artischocken auch zahlreiche Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium und Eisen, ebenso wie Vitamine. Allerdings sind die Mengen im Vergleich zu anderen Gemüsen, bis auf einen hohen Folsäuregehalt von 68 µg/ 100 g und größere Mengen Carotionide, eher durchschnittlich.
Alles andere als durchschnittlich sind hingegen die Stoffe, die das Edelgemüse zu etwas Besonderem und einer gefragten Heilpflanze machen: die sekundären Pflanzenstoffe. Diese sind auch verantwortlich für den süßlich bis leicht bitteren Geschmack der Artischocke.
Therapeutisch wirksam sind die Blätter der Artischocke am Grunde des Stängels. Sie sind nicht zum Essen geeignet, aus ihnen werden jedoch wässrige Extrakte und Pulver gewonnen, die Anwendung finden bei funktionellen Verdauungsbeschwerden und Leber-Galle-Problemen.
Neben den Hauptnährstoffen enthalten Artischocken auch sekundäre Pflanzenstoffe, die im Organismus unterschiedliche Wirkungen entfalten. Diese sekundären Pflanzenstoffe wirken entzündungshemmend sowie antioxidativ und können so das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmte Krebserkrankungen reduzieren und das Immunsystem positiv beeinflussen.
Der hohe Gehalt an Inulin der Artischockenblüte ist besonders für Diabetiker von Interesse. Dieser unverdauliche Ballaststoff führt zu einem längeren Sättigungsgefühl und bewirkt, dass andere Kohlenhydrate langsamer aus der Nahrung ins Blut aufgenommen werde. Der Vorteil: Auf diese Weise werden hohe Blutzuckerspitzen vermieden.
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Mittlerweile sind Artischocken – obwohl ein exotisches Gemüse – das ganze Jahr über erhältlich. Das Feinschmeckergemüse hat einen feinherben, leicht bitteren Geschmack, der an Sellerie und Haselnüsse erinnert.
Artischocken sind vielseitig verwendbar, nicht nur als Belag auf einer Pizza, sondern auch als Vorspeise mit einer Vinaigrette oder Aioli serviert oder verarbeitet in Salaten und in Pastasoßen. Es gibt sie als Antipasti eingelegt oder naturbelassen im Glas und in Konservendosen.
Beim Kauf frischer Ware ist darauf zu achten, dass die Artischockenköpfe schwer in der Hand liegen. Die schuppenartigen Hüllblätter sollten dicht aufeinanderliegen und saftig sowie je nach Sorte intensiv grün oder violett sein. Die Blätter sollten keine welken oder trockenen, braunen Stellen und der Stiel keine dunklen Verfärbungen aufweisen. In ein feuchtes Tuch oder Küchenpapier gewickelt und dann in eine Plastiktüte gelegt können Artischocken mehrere Tage im Kühlschrank aufbewahrt werden. Der Stiel sollte nicht entfernt werden, da er als Feuchtigkeitsspender dient.
Kleine Sorten können komplett gegessen werden, bei größeren Artischocken werden nur die fleischigen Blütenblätter und der Boden verzehrt. An die besondere Delikatesse gelangt man nicht so leicht: das Artischockenherz, der untere, verdickte Teil eines Kelchblattes. Die nicht geöffneten Blüten, die unter den Blättern liegenden Härchen, das sogenannten »Heu« hingegen sind nicht essbar. Artischocken können nur verzehrt werden, solange sie noch nicht vollständig erblüht sind. Danach ist das Edelgemüse nicht mehr essbar.
Die Zubereitung frischer Artischocken erfordern etwas Geduld: Zunächst müssen sie gewaschen und der Stiel sowie die äußeren harten Blätter entfernt werden. Um eine unschöne Braunfärbung zu verhindern sollten Schnittstellen mit Zitronensaft beträufelt werden. Die Blütenköpfe können als Ganzes gebraten, frittiert oder in Salzwasser mit etwas Zitronensaft 20 bis 30 Minuten lang gekocht werden.
Artischocken müssen vor der Blüte geerntet werden. Danach sind sie nicht mehr essbar. / Foto: Adobe Stock/valya82
Beim Kochen sollten sie sollten stets vollständig mit Wasser bedeckt sein, damit sie sich nicht schwarz färben. Sobald sie gar sind, werden die Hüllblätter von außen nach innen abgezupft, durch die Zähne gezogen und ausgelutscht.
Bei der Verarbeitung von Artischocken ist zudem zu beachten, dass allergische Kontaktkzeme auftreten können. Sie werden ausgelöst durch den Hautkontakt mit dem Gemüse oder dem Pflanzensaft, der beim Schneiden und Ernten austritt. Die Symptome sind Hautausschlag und -rötungen, Jucken, Pusteln und Bläschen an den Händen. Das Kontaktallergen, das diese Reaktionen auslöst ist das Cynaropicrin. Von einer solchen Kontaktdermatitis auf rohe Artischocken sind Erntehelfer, Gärtner, Köche oder auch Gemüsehändler betroffen sowie Arbeiter, die dieses Gemüse in Konservenfabriken verarbeiten.
Artischocken werden bereits seit Jahrhunderten als Heilpflanze verwendet. Therapeutisch wirksam sind dabei die Blätter der Artischocke am Grunde des Stängels, die nicht zum Essen geeignet sind. Aus ihnen werden wässrige Extrakte und Pulver für Säfte, Tinkturen und Tees gewonnen. Ihre Heilwirkung machte die Artischocke zur Arzneipflanze des Jahres 2003.
Die Wirkungen der distelartigen Kulturpflanze sind vielfältig: So soll sie appetitanregend, verdauungsfördernd und auch cholsterinsenkend wirken. Artischockenextrakte und Tees wirken auf das gesamte Verdauungssystem, besonders aber auf Leber und Galle. Sie werden eingesetzt bei Beschwerden wie Übelkeit, Völlegefühl, Blähungen und Verdauungsproblemen. Bei funktionellen Verdauungsbeschwerden, die durch unzureichende Gallensekretion hervorgerufen werden, können Artischockenextrakte eine Normalisierung der Leber-Galle-Sekretion bewirken. Als Bestandteil von Galle-Leber-Tees und Teemischungen soll das Gemüse auch Schlankheitskuren unterstützen.
Ob Artischockenextrakt tatsächlich eine cholesterinsenkende Senkung hat, gilt es noch in Langzeitstudien nachzuweisen. Tierversuchen zufolge sollen Artischocken das »schlechte« LDL-Cholesterin und auch die Triglyceride nach 4 bis 12 Wochen reduzieren und die Werte des »guten« HDL-Cholesterins erhöhen. Das Gesamtcholesterin soll bis zu 12 Prozent gesenkt werden können. Ob diese Wirkung auch bei Menschen eintritt, muss jedoch erst in Langzeitstudien nachgewiesen werden.
Die Artischockenblätter und wässrige Extrakte oder Pulver daraus enthalten zudem Polyphenole wie die Phenolcarbonsäuren Cynarin und Chlorogensäure. Cynarin ist ein Bitterstoff, der die Sekretion der Gallenflüssigkeit steigert und damit die Fettverdauung erleichtert. Diese Wirkung wird auch bei der Herstellung eines speziellen italienischen Artischockenlikörs genutzt: Cynar. Dieser Magenbitter kann als Aperitif oder auch Digestif nach einem reichhaltigen Essen zur besseren Verdauung getrunken werden. Chlorogensäure wirkt ebenso wie Luteolin, ein gelber Pflanzenfarbstoff, der zur Gruppe der Flavonoide gehört, als Antioxidans. Ein weiterer sekundärer Pflanzenstoff in der Artischocke ist das Cynaropikrin, das als Bitterstoff den Geschmack des Gemüses ausmacht. Es stimuliert die Speichel- und Magensaftsekretion und regt auf diese Weise den Appetit und auch die Verdauung an.
Aber nicht immer sind Artischockenextrakte zu empfehlen. So sollten bei Gallensteinen oder einem Verschluss der Gallenwege keinesfalls Artischockenpräparte eingenommen werden, die die Beschwerden noch verschlimmern könnten. Vorsicht ist auch bei der Einnahme von Blutverdünnern geboten, da Artischockenextrakt deren Wirkung abschwächt. Davon betroffen sind die Wirkstoffe Phenprocoumon (wie Marcumar ® oder Falithrom®).
Auch Allergiker sollten vorsichtig sein. Bei einer Allergie gegen Korbblütler sollten keine Artischockenextrakte angewendet werden und zudem bei einer möglichen Kreuzallergie auch andere Korbblütler gemieden werden. Dazu gehören beispielsweise Schwarzwurzeln, Topinambur und Chicorée.
Personen die von einer hereditären Frucotseintoleranz (HFI) betroffen sind und Fructose sowie alle anderen Formen in denen Fruchtzucker vorkommt, meiden müssen, sollten auf den Verzehr von Artischocken verzichten. Das enthaltene Inulin stellt ebenfalls ein aus Fructose gebildetes Polysaccharid dar.
Obwohl bereits seit Jahrhunderten als Heilpflanze bekannt, wurden Artischocken nicht immer richtig eingesetzt. In den 1950er-Jahren beispielsweise wurden damit die Gelbsucht und Wassersucht behandelt. Leider mit dem falschen Pflanzenteil: Statt der Artischockenblätter wurde die in Wein gekochte Wurzel verwendet, die keinerlei therapeutische Wirkung hat.
Neben seiner Rolle als Lebens- und Heilmittel zeigt sich gelegentlich auch eine gänzlich andere Nutzung der Artischocke: als Wappenpflanze. In der spanischen Gemeinde Benicarló in der Provinz Castellón an der Mittelmeerküste, spielt der Anbau von Artischocken eine bedeutende Rolle. Das zeigt sich hier sowohl im Wappen als auch der jährlichen Fiesta de la Alcachofa, dem Artischockenfest. Außerdem gibt es sogar einen sogenannten PDO-Status (protected designation of origin), das heißt, eine geschützte Ursprungsbezeichnung für Artischocken und -produkte aus dieser Region.