Arzneimittel im Wasser |
Trinkwasser sollte auch künftig nicht zu viele Arzneistoffe enthalten. Um die Balance für die Gesundheit der Menschen zu erhalten, bedarf es rasch an vielen Stellen nachhaltigeres Handeln. / Foto: Adobe Stock/peterschreiber.media
Forscher finden mittlerweile rund um den Globus Arzneimittelrückstände flächendeckend in allen Oberflächengewässern. Die höchsten Werte haben sie für Carbamazepin, Metformin und Paracetamol gemessen. Neben den Arzneimitteln müssen die Ökosysteme noch eine Mixtur aus Kosmetika, Substanzen aus Textilien, Sonnenschutz-, Pflanzenschutz-, Waschmitteln und Lebensmittelzusatzstoffen verkraften. Im Trinkwasser sind hierzulande die gefundenen Werte noch niedrig, sodass offiziell zurzeit keine Gefahren für die Gesundheit bestehen. Doch eine alternde Bevölkerung und zunehmender Medikamentenkonsum lassen für die nächsten Jahre ein stetiges Ansteigen der Konzentrationen erwarten.
Der überwiegende Teil der in Gewässern gefundenen Arzneistoffe, nach Schätzungen 85 Prozent, ist das Ergebnis des bestimmungsgemäßen Gebrauchs von Humanarzneimitteln. Diese verlassen den Körper mit Urin oder Stuhl in unveränderter oder metabolisierter Form und gelangen über die Kläranlagen in die Oberflächengewässer. Topisch angewendete Externa landen über den Abfluss von Waschbecken oder Dusche ebenfalls in der Kanalisation, wenn ihre Arzneistoffe nicht vorher resorbiert und zusammen mit denen der Peroralia metabolisiert wurden. Die toxische Wirkung auf tierische und pflanzliche Wasserbewohner konnten Forscher bereits eindeutig belegen. Hier befindet sich unsere Gesellschaft in einem Zielkonflikt zwischen den individuellen Ansprüchen des Patienten auf bestmögliche Versorgung mit Medikamenten und dem Schutz der allgemeinen Gesundheit und der Umwelt vor den negativen Effekten der Rückstände.
Weniger häufig finden Tierarzneimittel den Weg in das Wasser. Das liegt daran, dass Tiere weniger Arzneimittel verbrauchen als der Mensch. Die Rückstände landen dann aber ohne den Umweg über eine Klärgrube direkt auf den Feldern und Weiden und gelangen von dort mit Niederschlägen in die Gewässer oder ins Grundwasser. Aus Aquakulturen gelangen die Arzneimittel direkt in das Wasser von Flüssen, Seen und Meeren.
Fast zu vernachlässigen sind hierzulande die Abfälle aus der pharmazeutischen Industrie. Die Hersteller haben sich verpflichtet, für deren Entsorgung selbst aufzukommen und nicht den Weg über die kommunalen Kläranlagen zu wählen. Da jedoch hierzulande nur ein verschwindend geringer Anteil an Arzneistoffen hergestellt wird, ist dieser Aufwand in Relation zum deutschlandweiten Verbrauch an Medikamenten durchaus überschaubar. Anders sieht es an den Hauptproduktionsstätten in Indien und China aus. Dort leiten die Firmen ihre Abwässer zum Teil immer noch ungeklärt in Flüsse ein. Nicht zu unterschätzen ist der Anteil, der das Wasser durch unsachgemäße Entsorgung von Arzneimitteln aus Haushalten belastet, weil hier unveränderte, aktive Wirksubstanzen die Gewässer verunreinigen.
Bis heute sind die Kläranlagen in Deutschland nicht darauf ausgelegt, die sogenannten Mikroverunreinigungen aus dem Wasser herauszufiltern. Dazu zählen neben den Arzneistoffen auch Pflanzenschutzmittel, Haushaltschemikalien, Körperpflegeprodukte und Biozide. Konventionelle Klärwerke sind lediglich in der Lage, über mehrere Reinigungsstufen Feststoffe und biologisch abbaubare organische Substanzen zu eliminieren und die Abgabe von Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff in die Gewässer zu regulieren. Der mikrobielle Abbau von Arzneistoffen und anderen stabilen Chemikalien gelingt jedoch nicht, im besten Fall produzieren die Bakterien im Klärwerk stabile, in ihrer Zusammensetzung aber teilweise noch unbekannte Metabolite. Im Fall von Arzneistoffen sind diese meist wasserlöslich und fließen in Gewässer ab. Unlösliche Substanzen werden mit dem Klärschlamm in Biogasanlagen verbrannt oder auf Agrarflächen als Dünger ausgebracht.
In den Klärwerken liegen die Konzentrationen an Arzneistoffen zwischen einem und zehn Mikrogramm pro Liter, durch den Verdünnungseffekt sinken diese in Fließgewässern auf bis zu 100 Nanogramm pro Liter. Forscher finden an einzelnen Stellen, zum Beispiel an kleinen Flüssen mit niedriger Fließgeschwindigkeit, mitunter aber auch sehr viel höhere Werte.
Bevor ein Arzneistoff von einer Weide oder einer Lagerfläche für Klärschlamm zusammen mit Niederschlägen ins Grundwasser gelangen kann, muss er in der Regel mehrere Erdschichten passieren, die die Lösung filtern. Doch in diesen verschwinden die Substanzen nicht einfach. Arzneimittelrückstände mit einer hohen Sorptionsaffinität, zum Beispiel Tetracycline, binden stärker an der Feststoffmatrix im Boden und werden irgendwann durch Erosionsprozesse in
Oberflächengewässer gespült, während Substanzen mit einer niedrigen Sorptionsaffinität wie beispielsweise Sulfonamide direkt ins Grundwasser dringen. Dort finden sich durchaus Arzneistoffe in etwa in der Größenordnung wie in Flüssen.
In den Wasserreservoirs sind viele Arzneistoffe relativ stabil. Experten gehen nicht davon aus, dass sie sich dort in nennenswertem Umfang abbauen. Auch Wasserbewohner, die die Stoffe aufnehmen, scheiden sie irgendwann wieder in ihre Umgebung aus. Das Problem löst sich also nicht durch Abwarten, mit der Zeit wird es eher kumulieren. Einig sind sich die Wissenschaftler bereits darüber, dass Antibiotikarückstände die Entstehung von Resistenzen begünstigen und dass die Rückstände hochwirksamer Arzneistoffe wie Hormone und Zytostatika eines Tages zu ernsthaften Problemen in der Wasserversorgung führen können. Wie die Summe aller im Wasser gelösten Mikroverunreinigungen auf Mensch und Natur wirkt, ist noch längst nicht erforscht. Auch die Gewässerproben finden derzeit nur punktuell statt, ein flächendeckendes Monitoring ist nicht in Sicht.
Trinkwasser wird in Deutschland aus Oberflächenwasser und Grundwasser gewonnen. Bis auf wenige Ausnahmen können Arzneistoffe in mehreren Reinigungsstufen oxidativ und absorptiv entfernt werden. Mit zunehmender Belastung der Wasserressourcen wird dieser Prozess immer aufwendiger. Der Branchenverband der Gas- und Wasserwirtschaft DVGW hat die Mikroverunreinigungen aufgelistet, die nachweislich die Trinkwasserqualität gefährden und deren Eintrag in die Gewässer dringend gestoppt werden muss. Neben Pestiziden, Bioziden und Industriechemikalien sind das vor allem die Röntgenkontrastmittel Iopamidol und Amidotrizoesäure und die Arzneistoffe Valsartan (aber auch alle anderen Sartane), Gabapentin, Allopurinol, Diclofenac und Metamizol.
Von der Politik fordert der Verein eine Pharmastrategie zum Schutz der Gewässer. Diese müsste sowohl die Erforschung umweltverträglicher Arzneistoffe als auch die Berücksichtigung ihrer Umweltwirkungen im Zulassungsverfahren beinhalten. Krankenhäuser, Ärzte und Patienten sollten über eine umweltschonendere Anwendung von Arzneimitteln aufgeklärt werden. Auch die Trinkwassertoxikologen des Umweltbundesamtes warnen bereits seit Jahren davor, dass es unverantwortlich wäre zu warten, bis erste Gesundheitsschäden durch belastetes Trinkwasser nachweisbar sind.
Neben der Verringerung der Einträge ins Abwasser würde eine Aufrüstung der Klärwerke das Problem verkleinern. Diese müsste flächendeckend erfolgen, weil die Haupteintragsmenge an Arzneimitteln aus den privaten Haushalten stammt und nicht, wie man glauben könnte, aus Pflegeheimen und Krankenhäusern. Die Schweiz macht es bereits seit Jahren vor und reinigt ihre Abwässer zusätzlich mit einer vierten Reinigungsstufe. Nanofilter, Ozon, UV-Strahlung und Aktivkohle können tatsächlich die Arzneimittelrückstände aus dem Abwasser entfernen, verursachen aber zusätzliche Kosten. Für Deutschland würden jährlich 1,2 Milliarden Euro benötigt, die die Abwassergebühren um rund 15 Prozent verteuern würden.
Im Angesicht der gegenwärtigen Energiekrise ist es politisch schwer vermittelbar, dass die Endverbraucher die Kosten für die Abwasserreinigung allein tragen. Umweltverbände und auch die Partei Bündnis 90/Die Grünen, damals noch in der Opposition, forderten bereits vor einiger Zeit die Anwendung des Verursacherprinzips und die Umlegung der Kosten auf die Hersteller. Das Umweltbundesamt unter der Leitung von Dirk Messner, Bündnis 90/Die Grünen, fordert heute Maßnahmen entlang des gesamten Lebensweges des Arzneimittels und vor allem einen verantwortungsvolleren Umgang. »End-of-pipe-Lösungen« wie Abwasserreinigung und Trinkwasseraufbereitung hält er für »nicht zielführend«, gibt aber zu, dass die vierte Reinigungsstufe durchaus Erfolg versprechend ist.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schlug vor, eine Arzneimittelabgabe von rund zwei Euro pro Packung zur Finanzierung der vierten Reinigungsstufe einzuführen. Diese käme dem Verursacherprinzip am nächsten und würde finanzielle Anreize zur Senkung des Medikamentenverbrauches bieten. Die Kosten sollten auf alle Beteiligten vom Hersteller über Großhandel, Apotheken, Krankenkassen und gegebenenfalls auch Patienten verteilt werden. Die Hersteller argumentieren, Medikamente seien ein Grundbedürfnis der Menschen, und damit sei die Reinigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Übrigens: In der Schweiz haben sich die Einwohner in einer Volksabstimmung bereits vor fast zehn Jahren dafür entschieden, dass alle Einwohner die Kosten für die Nachrüstung der Kläranlagen übernehmen, statt ein Abgabensystem für potenziell schädliche Stoffe (nicht nur Arzneimittel) einzuführen, das undurchsichtig und praktisch kaum durchführbar wäre. Das kostet seither jeden Einwohner im Jahr neun Schweizer Franken.