Arzneimittel in der Tierhaltung |
Rindern geht es in der Nutztierhaltung meist besser als Schweinen, die nach wie vor in der Regel in extremer Enge gehalten werden. / Foto: Adobe Stock/Dumrongsak Songdej
Hierzulande befindet sich die Erzeugung von Lebensmitteln in einem Strukturwandel. Die neue Generation von Landwirten verfügt über eine hochwertige Ausbildung und würde einerseits gerne in moderne Haltungsformen und nachhaltige Anbauprinzipien investieren, sieht sich aber auf der anderen Seite mit steigenden Produktionskosten, mehr Bürokratie und dem Preisdruck durch den Lebensmittelhandel konfrontiert. Kleine Höfe rechnen sich nicht mehr, die Unternehmen müssen eine Mindestgröße haben, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe geht deshalb immer weiter zurück, wobei die Betriebe immer größer werden. Das ist per se nicht schlecht, denn auch große Betriebe können umweltkonform und tierfreundlich arbeiten. Doch das Image eines der ältesten Berufszweige ist nicht gut.
Vor allem in der Schweinehaltung geht die Entwicklung hin zu immer größeren Beständen. Gegenwärtig leben 78 Prozent aller Schweine in Deutschland in Betrieben mit mehr als 1000 Tieren. Durchschnittlich besitzt ein Schweinehalter 1248 Tiere. Nur ein Prozent von ihnen kann sich über einen Auslauf freuen, lediglich vier Prozent dürfen auf Streu liegen. Der Rest lebt ausschließlich in Ställen mit Spaltenboden. Besser geht es dagegen den Rindern, 83 Prozent der Tiere leben in Laufställen und werden nicht mehr angebunden. Ein Drittel immerhin hat die Möglichkeit, auf der Weide zu grasen.
Für die Hühner haben sich in den letzten zehn Jahren die Haltungsbedingungen sehr verbessert. Nur noch vier Prozent verbringen ihr Leben in Käfigen, die bis zum Jahr 2025 auch verschwunden sein müssen. Zwei Drittel der rund 61 Millionen Legehennen in Deutschland leben in Ställen mit Bodenhaltung, ein Drittel darf im Freien picken.
Wo viele Tiere auf engem Raum leben, was bei einer überwiegenden Stallhaltung zwangsläufig der Fall ist, stellt die Übertragung von Krankheitserregern eines der größten Probleme dar. Wird ein Tier krank, behandelt der Landwirt oft gleich den ganzen Bestand mit, um größere Ausfälle zu verhindern. Routinemäßig fressen die Tiere die Arzneimittel in fertigen Mischungen direkt mit dem Futter. Erhalten wiederum viele Tiere Antibiotika, ist die Gülle stark mit deren Metaboliten belastet. Eigentlich müssten diese Ausscheidungen wie Sondermüll behandelt werden. Meist landen sie jedoch auf den Feldern der Landwirte, von dort gelangen die enthaltenen Schadstoffe ins Grundwasser oder mit den Niederschlägen in Oberflächengewässer.
Der früher praktizierte Einsatz von Antibiotika in der Tiermast als sogenannte Leistungsförderer für eine bessere Futterverwertung und damit ein schnelleres Erreichen des Schlachtgewichtes ist seit dem Jahr 2006 EU-weit verboten. Die extra für diesen Zweck zugelassenen Arzneimittel spielen heute keine Rolle mehr, doch der Verbrauch an Antibiotika ist nach 2006 trotzdem nicht zurückgegangen. Denn die Landwirte begannen, mit für therapeutische Zwecke zugelassenen Antibiotika in subtherapeutischen Dosen versetztes Mischfutter zu verfüttern, um die Mastergebnisse zu verbessern. Diese Praxis führte bekanntermaßen zur Entstehung einer ganzen Reihe von resistenten nosokomialen Keimen.
Im Jahr 2018 legten das Europäische Parlament und der Rat in einer Verordnung fest, dass die Anwendung von Tierarzneimitteln, speziell von Antibiotika, in Anbetracht der bekannt gewordenen bakteriellen Resistenzen stärker reglementiert werden muss. Neu zugelassene Tierarzneimittel sollen eine Umweltprüfung durchlaufen, bei der neben den Emissionen im Herstellungsprozess auch die Auswirkungen der Metaboliten auf den Boden und das Wasser berücksichtigt werden. Eine Überwachungsliste für Oberflächengewässer soll kritische Wirkstoffe und ihre Auswirkungen auf die Umwelt unter Beobachtung stellen. Ein Meldesystem erfasst umweltrelevante Vorfälle bei der Verabreichung von Tierarzneimitteln. Eine EU-weite Pharmakovigilanz-Datenbank sammelt unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Tierarzneimitteln.
Antimikrobielle Tierarzneimittel sollen nur nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abschätzung eine Zulassung erhalten. Die Verordnung fordert außerdem einen umsichtigen Einsatz antimikrobieller Wirkstoffe und die Vermeidung ihrer routinemäßigen prophylaktischen Anwendung. Bestimmte (Reserve-)Antibiotika sollen künftig ausschließlich der Verwendung am Menschen vorbehalten sein.
Seit dem 28. Januar 2022 gilt in Deutschland das neue Tierarzneimittel-Gesetz (TAMG), das die Forderungen der Europäischen Union in nationales Recht umsetzt. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erkennt jedoch in dem Gesetz hinsichtlich der Minimierung des Einsatzes von Antibiotika einen deutlichen Nachbesserungsbedarf, verspricht aber gleichzeitig, daran zu arbeiten. So fehlt zum Beispiel noch eine europaweit gültige Liste der Reserve-Antibiotika, deren Einsatz der Humanmedizin vorbehalten bleibt.
Doch es bewegt sich bereits etwas. Seit dem Jahr 2011 sind Tierhalter verpflichtet, die Behandlung ihrer Masttiere mit Antibiotika zu melden, um die Herkunft von Fleisch und Milch transparenter zu gestalten. Die Datenbank erfasst bisher Mastgeflügel, Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Seit der Einführung der Meldepflicht gingen die Abgabemengen von Tier-Antibiotika um fast 60 Prozent zurück. Seit dem Jahr 2019 ist jedoch wieder ein Anstieg um jährlich knapp fünf Prozent zu beobachten. Der Einsatz der von der Weltgesundheitsorganisation WHO als kritisch eingestuften Antibiotikagruppen der Cephalosporine der dritten und vierten Generation, der Fluorchinolone und Polypeptidantibiotika reduzierte sich in Deutschland in den Jahren zwischen 2016 und 2020 um 13,8 Tonnen.
Die Arbeitsgruppe Antibiotikaresistenz des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) überprüft seit dem Jahr 2014 die Resistenzsituation und stellte fest, dass vor allem in der konventionellen Geflügelhaltung, aber auch bei Rindern und Schweinen die Belastung mit gegen Fluorchinolone resistenten Bakterien nach wie vor hoch ist. Ökologisch arbeitende Betriebe schnitten in den Untersuchungen deutlich besser ab, weil hier die Verabreichung von Antibiotika schon immer wesentlich strenger reglementiert ist.
Antibiotika haben zwar den größten Anteil bei der Behandlung von Tieren, sind aber nicht die einzige umweltrelevante Veterinärarzneimittelgruppe. Antiparasitika, hormonell wirksame Substanzen, Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen und Entzündungen und lokal angewendete Arzneistoffe für Euter, Augen und Haut haben ebenfalls einen nicht geringen Einfluss auf die Umwelt. Deren Menge wird im Gegensatz zu den systemischen Antibiotika nicht erfasst, genauso wie die der für Haustiere verordneten Arzneimittel. Sie alle landen schlussendlich im Gegensatz zu den Humanarzneimitteln größtenteils direkt und ohne Umwege über Kläranlagen in der Natur. In den deutschen Gewässern wurden im Rahmen von Forschungsprojekten schon mehr als 150 Wirkstoffe gefunden, die auch unser Trinkwasser kontaminieren können. Möglicherweise sehen wir mit den Antibiotika in der Masttierhaltung nur die Spitze des Eisberges.
Besonders hohe toxische Wirkungen haben Antiparasitika, vor allem die Anthelminthika Fenbendazol und Ivermectin, das Insektizid Deltamethrin (zum Beispiel in Prevendog® Flohhalsbändern für Hunde) und ihre chemischen Verwandten. Die häufig in der Apotheke nachgefragten Insektizide wie Frontline® oder Advantage® enthalten die weniger kritischen Wirkstoffe Fipronil und Imidacloprid. Antiparasitika sind für Wasserbewohner wie Fische und Wasserflöhe stark toxisch. Für das Insektizid Deltamethrin und andere Pyrethroide ist eine hoch toxische Wirkung auf Bienen nachgewiesen.
Auch der Boden leidet unter der Wirkung von Antiparasitika. Sie töten Insekten, Würmer und Krebstiere, die auf der Weide die wichtige Aufgabe haben, den Tierdung zu zersetzen. Das führt dazu, dass die Tiere die Weideflächen nicht mehr akzeptieren und das Gras nicht mehr fressen. Fehlen die Bodenorganismen, büßt auch der Boden an Fruchtbarkeit ein, die Folge ist Erosion. Der Nitratabbau kommt ins Stocken und die Gewässer werden zusätzlich durch Nitrate verunreinigt. Über den Pfad Gülle-Boden-Pflanze können Tierarzneimittel auch in die humane Nahrungskette gelangen.
Selbst am Ende ihres Lebens belasten industriell gehaltene Tiere noch einmal die Umwelt. Im Jahr 2020 untersuchte die Umweltorganisation Greenpeace gemeinsam mit der Universität Greifswald die Abwässer aus sieben Schlachthöfen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Sechs der Betriebe (darunter die Großunternehmen Tönnies und Wiesenhof) leiteten ihre Abwässer nach betriebsinterner Reinigung direkt in Flüsse ein, einer über die kommunale Kläranlage. In allen Fällen zeigten Vergleiche mit flussaufwärts entnommenen Proben eine deutliche Belastung mit antibiotikaresistenten Bakterien, vor allem Escherichia coli und Klebsiella. Die Bakterien waren zum Teil gegen mehrere Wirkstoffe resistent, auch gegen das Reserve-Antibiotikum Colistin. Die Vermutung liegt nahe, dass nicht nur Antibiotika, sondern sämtliche den Tieren verabreichten Arzneimittel mit den Abwässern der Schlachtbetriebe in die Umwelt gelangen. Eine separate Untersuchung von Greenpeace aus dem Jahr 2021 hat zudem gezeigt, dass auch das konventionell erzeugte Fleisch selbst teilweise mit resistenten Keimen belastet ist.
Die Umweltorganisation fordert deshalb zu Recht, dass Politik und Handel ihrer Verantwortung nachkommen und mit fairen Preisen eine bessere Tierhaltung ermöglichen. Bis dahin können die Verbraucher auf Angebote von Billigfleisch verzichten und ihren Fleischkonsum reduzieren. Das kommt nicht nur den Tieren und der Umwelt, sondern auch der eigenen Gesundheit zugute.