Aufmerksamkeit für spezielle Herzen |
In Deutschland wird etwa jedes 100. Kind mit einem Herzfehler geboren. Dank guter Behandlungsmöglichkeiten erreichen heute mehr als 90 Prozent von ihnen das Erwachsenenalter. / Foto: Getty Images/LeManna
Angeborene Herzfehler (AHF) sind die häufigsten Organfehlbildungen bei Neugeborenen. Jedes 100. Baby in Deutschland (etwa 8500 pro Jahr) kommt mit einem Herzfehler zur Welt. 40 verschiedene sind bekannt, viele davon mit weiteren Untergruppen. An zahlreichen Strukturen des Herzens können Fehler auftreten, die letztlich verhindern, dass das Herz ausreichend sauerstoffgesättigtes Blut durch den Körper pumpt. Normalerweise kommt sauerstoffarmes Blut über die Venen in den rechten Vorhof des Herzens und danach in die rechte Herzkammer. Diese pumpt es durch die Lungenarterie in die Lunge, wo es mit Sauerstoff angereichert wird. Anschließend fließt es zurück zum Herzen – diesmal in den linken Vorhof und die linke Kammer –, um dann über die Hauptschlagader in den Körperkreislauf gepumpt zu werden. Im Herzen gibt es vier Herzklappen, je eine zwischen Vorhof und Kammer und je eine am Eingang zur Lungen- und Körperschlagader. Sie haben wie ein Ventil die Funktion, das Blut nur in eine Richtung durchzulassen und zu verhindern, dass Blut zurückfließt.
Je nach Art und Schwere des Herzfehlers zeigen die Kinder nach der Geburt Symptome wie Atembeschwerden, Trinkschwäche, Lungenhochdruck und möglicherweise eine Blaufärbung von Haut und Schleimhäuten (Zyanose). Letztere ist ein Hinweis auf einen schweren Herzfehler. Es gibt aber auch Herzfehler, die erst im Laufe des Lebens erkannt werden. In einigen Fällen sind AHF vererbbar, die genauen Ursachen sind jedoch komplex. Viele Herzfehler entstehen aufgrund von kombinierten genetischen und Umweltfaktoren oder haben keine bekannte Ursache.
Aufgrund der enormen Fortschritte in der Kinderherzchirurgie seit den 1990er-Jahren erreichen mittlerweile über 90 Prozent der Kinder mit AHF das Erwachsenenalter. Damit stellen sie eine neue, wachsende Patientengruppe mit speziellen Bedürfnissen dar: Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EmaH). Derzeit leben in Deutschland über 350.000 EmaH. Auch wenn der Herzfehler gut korrigiert werden konnte, bleiben sie dennoch chronisch herzkrank. Noch viele Jahre später kann es zu teils lebensbedrohlichen Verschlechterungen kommen. Diese sind für die Betroffenen nicht immer wahrnehmbar, da sie sich oft schleichend entwickeln. Sie sollten deswegen unbedingt an ein EmaH-Zentrum angebunden sein oder bei einem Kardiologen mit EmaH-Zertifikat betreut werden.
Die Versorgungsrealität zeigt allerdings, dass dies nur bei einem kleinen Teil der EmaH der Fall ist. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen fühlen sich die Jugendlichen meist gut und haben andere Dinge im Kopf als ihren Herzfehler, sodass sie mit 18 Jahren beim Übergang in die Erwachsenenversorgung »verloren gehen«. Zum anderen gibt es ein allgemeines Informationsdefizit hinsichtlich des Komplikationspotenzials von AHF, nicht nur bei den EmaH selbst, sondern auch bei Haus- und Allgemeinärzten.
Ein zunehmendes Problem im Langzeitverlauf nach der Operation eines angeborenen Herzfehlers stellen Herzrhythmusstörungen dar. Diese schränken häufig die Lebensqualität der Patienten ein und sind in seltenen Fällen sogar lebensbedrohlich. Sie entstehen beispielsweise durch die chronische Unterversorgung des Herzens mit Sauerstoff oder sind unvermeidbare Folge der korrigierenden Operation. Dabei kann der Sinusknoten als Taktgeber in Mitleidenschaft gezogen werden oder es entstehen schnelle kreisende Erregungen (Tachykardie) um eine Narbe am Herzen. Die schnellen Herzschlagfolgen aus den Herzvorhöfen werden von Patienten als Herzrasen wahrgenommen und können eine Frequenz von über 200 Schlägen pro Minute erreichen. Aber auch Bradykardien mit Frequenzen unter 40 Schlägen pro Minute können auftreten.
Es ist für Patienten mit angeborenem Herzfehler wichtig, dass sie ihren Herzrhythmus in regelmäßigen Abständen in einem spezialisierten Zentrum anhand von EKG- oder Langzeit-EKG-Untersuchungen überprüfen lassen. Die Behandlung mit Antiarrhythmika ist zwar eine Option, aber häufig über einen längeren Zeitraum nicht effektiv und hat Nebenwirkungen, die sich negativ auf die Pumpleistung des Herzens auswirken können. Daher wird bei Tachykardien häufiger eine Katheterablation (Verödung) durchgeführt, die die Rhythmusstörung in den meisten Fällen erfolgreich beseitigt. Patienten mit Vorhofflattern oder -flimmern und insbesondere solche mit einer künstlichen Herzklappe benötigen häufig blutverdünnende Medikamente, um das Risiko eines Blutgerinnsels und eines Schlaganfalls zu minimieren. Manchmal ist das Einsetzen eines Defibrillators erforderlich (bei Bradykardien eines Herzschrittmachers).
Ist das Herz dauerhaft damit beschäftigt, eine Schwachstelle zu kompensieren, kommt es zu einer kontinuierlichen Überlastung und letztlich zu einer Herzinsuffizienz. Auch dies ist eine häufige Spätkomplikation bei Menschen mit AHF. Diese spüren allerdings, anders als ältere Menschen mit einer erworbenen Herzinsuffizienz, kaum Symptome, da sie Einschränkungen der Leistungsfähigkeit gewohnt sind. Die Behandlung einer Herzinsuffizienz bei AHF erfordert besondere Fachkenntnisse. Die medikamentöse Therapie orientiert sich an den Empfehlungen für die erworbene Herzinsuffizienz.
Am Herzen operierte Patienten haben zudem grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für eine infektiöse Endokarditis (Entzündung der Herzinnenhaut). Auch in der Allgemeinbevölkerung nimmt die Inzidenz weiter zu, die Mortalität liegt zwischen 10 und 20 Prozent. Symptome wie Fieber, Nachtschweiß und Abgeschlagenheit, die länger als ein paar Tage anhalten, müssen daher unbedingt abgeklärt werden. Patienten sollten auf eine gute Mund- und Zahnhygiene achten und auf Tätowierungen und Piercings verzichten. Ist eine medikamentöse Prophylaxe angezeigt, beispielsweise vor Eingriffen im Bereich der Mundhöhle, des Nasen-Rachen-Raumes oder der Atemwege, wird diese bei Erwachsenen mit 2 g Amoxicillin (bei Unverträglichkeit 600 mg Clindamycin) etwa 30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff durchgeführt. Sie ist wichtig bei Patienten mit Klappenersatz oder schon einmal überstandener Endokarditis.
Nicht verzichten sollten Menschen mit AHF auf Sport. Welche Sportart in welcher Intensität geeignet ist, muss individuell mit dem Kardiologen abgesprochen werden, der die Eignung mittels Belastungs-EKG und Ultraschall beurteilen kann. Nur in seltenen Fällen muss von sportlichen Aktivitäten abgeraten werden. Im Allgemeinen gilt folgende Regel: Sportarten mit überwiegend dynamischer Belastung (zum Beispiel Laufen, Radfahren, Badminton) sind günstiger als solche mit vorwiegend statischer Belastung der Muskulatur, wie etwa Gewichtheben und Bogenschießen.
Das Thema Verhütung und Kinderwunsch sollte schon frühzeitig angesprochen werden. Grundsätzlich kommen nur estrogenfreie Verhütungsmethoden infrage, da sie das Thromboserisiko nicht erhöhen. Besteht ein Kinderwunsch, lautet die Nachricht: Die meisten Frauen mit angeborenem Herzfehler können Kinder bekommen. Haben die Eltern einen AHF, ist jedoch das Risiko erhöht, dass auch das Kind einen angeborenen Herzfehler haben wird. Voraussetzung für eine erfolgreiche Schwangerschaft sind eine individuelle Beratung und Betreuung – und zwar gemeinsam von EmaH-spezialisierten Kardiologen und Gynäkologen. Bei den meisten Patientinnen ist eine vaginale Geburt möglich und sogar empfohlen, da sie weniger belastend für das Herz-Kreislauf-System ist als ein Kaiserschnitt.
Es gibt viele verschiedene Arten von Herzfehlern. Manche treten einzeln in verschiedenen Schweregraden auf, bei anderen ist es eine Kombination aus mehreren Defekten.