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Retaxierungen

BKKs außer Rand und Band

16.12.2011  15:24 Uhr

Von Daniel Rücker / Eine Retaxierungswelle unerträglichen Ausmaßes hat die Apotheker erfasst. Mehrere Betriebskrankenkassen aus Nordrhein-Westfalen weigern sich, Betäubungsmittelrezepte zu erstatten, wenn diese nicht hundertprozentig nach ihren Vorstellungen ausgefüllt sind. Nachvollziehen kann das niemand, es schreitet bislang aber auch keiner ein.

Wie die Novitas BKK, die BKK Hoesch und die BKK Vorort mit Betäubungsmittelrezepten umgehen, ist beispiellos. Es werden Rezepte auf Null retaxiert, weil der Arzt statt »3 mal 1 Tablette« auf dem Rezept »3 mal eine Tabl.« vermerkt. Dasselbe geschieht, wenn der Mediziner »Einnahme gemäß schriftlicher Anweisung« statt »Einnahme gemäß ärztlicher Anweisung« auf das Rezept schreibt. Fälle dieser Art gibt es derzeit in öffentlichen Apotheken zuhauf. In der Regel werden die Retaxierungen nicht von den Kassen selbst, sondern deren Dienstleister Protaxplus vorgenommen.

Politiker befremdet

Protaxplus-Geschäftsführer Normann Schuster hat vor neun Monaten einen kompletten Seitenwechsel vorgenommen. Bis dahin war der Jurist in der Geschäftsführung des Apothekerverbands Nordrhein dafür zuständig, Apotheker vor Retaxierungen zu schützen. Jetzt ist er Initiator einer Retaxierungswelle, die sogar bei Politikern für Befremden sorgt.

Zuerst warnten die beiden baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich (CDU) und Rainer Arnold (SPD) davor, die aggressive Retaxierungspraxis könne die Versorgung der in der Regel schwerstkranken Patienten verzögern. Kurze Zeit später schlug die Duisburger SPD-Bundestagsabgeordnete Bärbel Bas in dieselbe Kerbe. In einem Brief an ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den GKV-Spitzenverband fordert sie die Organe der Selbstverwaltung nachdrücklich dazu auf, die unterschiedlichen Auffassungen über die Rechtslage möglichst schnell zu klären.

Auch bei den Aufsichtsbehörden ist die Irritation groß. Die Retaxierungswelle der Betriebskrankenkassen kommt dort überhaupt nicht gut an. Es sei nicht die Aufgabe der Kassen, BtM-Rezepte auf Formfehler zu prüfen, schreibt die Bezirksregierung Düsseldorf der Apothekerkammer Nordrhein in einem Brief. Die Kammer hatte die Behörde um eine Stellungnahme zu den Retaxierungen gebeten. In Nordrhein-Westfalen werde der Verkehr mit Betäubungsmitteln von den Unteren Gesundheitsbehörden überwacht. Das sind hier die Amtsapotheker. Sie – und nicht die Krankenkassen – müssten BtM-Rezepte betäubungsmittelrechtlich prüfen. Es sei kein Grund »zu erkennen, der die abrechnenden Krankenkassen dazu befugt, Abrechnungen aus formal betäubungsmittelrechtlichen Gründen zu verweigern und damit Teil- und/oder Vollretaxationen zu begründen«, schreibt die Bezirksregierung.

So weit, so klar. Auch die BKK-Oberen werden dies gelesen haben. Beachten wollen sie die Vorgaben der Aufsichtsbehörden nicht. Dabei berufen sie sich auf den nordrhein-westfälischen Arzneimittelliefervertrag, der Retaxierungen wegen Formfehler zulasse. Zudem stützen sie sich auf Urteile des Bundessozialgerichts, nach denen dem Leistungserbringer keine Vergütung zustehe, wenn er gegen Vorschriften verstoßen habe. Allerdings waren dies Urteile wegen schwerer Verstöße. An dieser wackeligen Position halten die Kassen fest und ignorieren dabei auch eine Stellungnahme des Regierungspräsidiums Darmstadt. Das bestätigte in einer Sendung des Hessischen Rundfunks vollständig die Position der Bezirksregierung Düsseldorf.

Wer derart unempfänglich für Informationen ist wie die Betriebskrankenkassen, der ignoriert auch, was Patientenvertreter von der Retaxierungswelle halten – nämlich gar nichts. Wolfram Armin Candidus, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, wirft den Kassen vor, es gehe ihnen weniger um die Arzneimittelsicherheit als um die Möglichkeit, preiswert an Betäubungsmittel zu kommen.

Ärzte verwundert

Auch bei Ärzten löst die Retaxierungsstrategie der Krankenkassen Kopfschütteln aus. In einem Schreiben an die Apothekerkammer Nordrhein stellt der Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, Bernd Zimmer, zu den Retaxie­rungen der BKK klar: »Insgesamt halten wir daher trotz geringer formaler Abweichungen von den Regelungen der BtMVV einen vorwerfbaren Rechtsverstoß nicht für gegeben.« Die Apothekerkammer Nordrhein hatte die Ärztekammer gebeten, die Formulierung »alle 72 Stunden wechseln« bei der Verordnung eines fentanylhaltigen Pflasters zu bewerten. Das Urteil der Ärzte ist eindeutig: Die Formulierungen‚ alle 72 Stunden wechseln« oder »Wechsel alle 72 Stunden« stünden im Einklang mit den Angaben der Fachinformationen.

Wie lange die nordrhein-westfälischen Betriebskrankenkassen ihren aggressiven Kurs weiterfahren, bleibt angesichts des heftigen Gegenwindes abzuwarten. Die Einsparungen über nicht bezahlte BtM-Rezepte dürften sich, gemessen an den Gesamtausgaben der Kassen, wohl in Grenzen halten. Sie haben sich offensichtlich vergaloppiert. Jetzt braucht es jemanden, der die Zügel in die Hand nimmt und sie aus der Sackgasse herausführt. /

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