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Benzodiazepine

Abhängigkeit oft nicht bewusst

09.01.2018  09:54 Uhr

Von Nicole Schuster / Benzodiazepine lindern Spannungen und Angstgefühle und erleichtern das Einschlafen. Viele Patienten wissen jedoch nicht, dass die beliebten Arzneimittel längerfristig eingenommen vor allem für Senioren gefährlich werden können. Beim Absetzen ist ein langsames Ausschleichen wichtig. PTA können den Prozess motivierend und beratend begleiten.

Benzodiazepine und die ähnlich wirkenden »Z-Substanzen«*, also die Benzo­diazepin-Rezeptoragonisten Zopiclon und Zolpidem, gehören zu den bekanntesten Schlafmitteln, werden aber oft auch missbräuchlich angewendet – In Deutschland von geschätzten 1,5 Millionen Menschen, viele davon Frauen in höherem Lebensalter.

Die Arzneimittel wirken agonistisch an GABA-Rezeptoren und beeinflussen somit das Belohnungssystem. Patienten fühlen sich durch die Wirkung wohl. Das erklärt das Abhängigkeitspotential. Die Verstärkung der Wirkungen des hemmenden Neurotransmitters GABA macht auch die therapeutisch genutzten angst- und krampflösenden, entspannenden, beruhigenden sowie schlafanstoßenden Effekte aus.

Ärzte verschreiben die Mittel unter anderem, um Angst- und Schlafstörungen zu behandeln, des Weiteren auch bei psychotischen Erregungszuständen, Hirnkrampfanfällen und muskulären Verspannungen. Kurzzeitig und bei medizinischer Indikation angewendet, stellen sie sichere Arzneimittel dar. Ein Problem erwächst jedoch aus der regelmäßigen Einnahme über einen Zeitraum von länger als vier bis sechs Wochen. Dabei entwickeln sich Gewöhnung und Toleranz. Der eigentliche Zweck, die Behandlung einer gesundheitlichen Störung, rückt in den Hintergrund. Bei Dauerkonsumenten geht es oft nur noch darum, Entzugserscheinungen zu verhindern. Das Abgleiten in die Abhängigkeit geschieht dabei in der Regel unbemerkt.

Patienten erhalten Benzodiazepine auf legalem Weg nur durch eine ärztliche Verschreibung. Um ihren hohen Bedarf bei einer Abhängigkeit zu decken, lassen sich 10 bis 20 Prozent der Betroffenen von mehreren Ärzten Rezepte ausstellen. Müssen die Medikamente wiederholt von der Apotheke abgegeben werden, stehen Apotheker und PTA vor der Frage, wie sie auf den gesundheitsschädlichen Arzneimittelgebrauch reagieren sollen.

»Pharmazeutisches Personal sollte unter Vermeidung der Begrifflichkeit ›Abhängigkeit‹ über die möglichen Nebenwirkungen im Verlauf der Einnahme aufklären«, sagt Dr. Rüdiger Holzbach, Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie des Klinikums Arnsberg, gegenüber dem PTA-Forum. Warum Begriffe wie »Abhängigkeit« oder »Sucht« im Gespräch nicht zielführend sind, erklärt der Experte so: »Die meisten abhängigen Patientinnen und Patienten nehmen die Medikation gemäß ärztlicher Anordnung in der verschriebenen Dosis ein. Dass bei ihnen eine Abhängigkeit vorliegt, ist vielen nicht bewusst.«

Durch die ärztliche Verschreibung fühlt sich die Einnahme für sie legitimiert an. Zugang zu den Betroffenen finden PTA und Apotheker eher, wenn sie über die Nebenwirkungen aufklären. Dazu zählen Müdigkeit, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Muskelschwäche, Benommenheit, Schwindelgefühl und das Nachlassen sexueller Bedürfnisse. Erregung und Verwirrtheit sind unerwünschte Begleiterscheinungen vor allem bei älteren Menschen. Für diese Altersgruppe sind auch das durch die Einnahme bedingte Sturz- und somit Frakturrisiko kritisch. Für die erhöhte Sturzgefahr sind die muskelrelaxierenden Effekte der Benzodiazepine verantwortlich, aber auch Nebenwirkungen wie Schwindel und Benommenheit. »Zu den unerwünschten Begleiterscheinungen zählen auch eine Wirk­umkehr und das Apathiesyndrom«, sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psycho­therapie, der von 2009 bis 2013 das ­ABDA-Modellprojekt »Ambulanter Entzug Benzodiazepin-abhängiger Patienten in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt« wissenschaftlich begleitet hat. Das Apathiesyndrom äußert sich durch kognitive Defizite, eine emotionale Gleichgültigkeit und mangelnde körperliche Energie.

Am häufigsten liegt bei Benzodiazepinen eine primäre Niederdosis­abhängigkeit vor. Betroffene nehmen über einen langen Zeitraum hinweg täglich eine geringe, im therapeutischen Bereich liegende Dosis ein. Experten sprechen dabei von »Low-Dose-Abhängigkeit«. »Der Begriff wurde eingeführt, um zu beschreiben, dass zwar nicht die Kriterien einer Abhängigkeit vorliegen, beim Absetzen aber Entzugserscheinungen auftreten«, so Holzbach. Eher selten ist die primäre Hochdosisabhängigkeit, bei der Patienten die Dosis ex­trem steigern und sich die Persönlichkeit verändert. Die sekundäre Abhängig­keit von Benzodiazepinen ist bei Patienten anzutreffen, die noch weitere Suchtmittel wie Alkohol einnehmen und eine gefährliche Wirkverstärkung riskieren.

Das Abhängigkeitspotenzial besteht sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene. Die körperliche Gewöhnung ist dadurch begründet, dass der Körper auf die agonistische Wirkung an GABA-Rezeptoren mit einer Gegenregulation reagiert, die Wirkung deshalb schleichend nachlässt und Patienten infolgedessen ständig einen leichten Entzug erleben. Die psychische Abhäng­igkeit entsteht dadurch, dass sich der Anwender durch die Einnahme besser fühlt.

Doch wie gefährlich sind Benzodiazepine wirklich? Niedrig dosiert drohen auch über längere Zeiträume hinweg nicht zwingend Beeinträchtigungen auf körperlicher, psychischer oder sozialer Ebene. Der allmähliche Wirkungsverlust kann aber zu einer Dosiserhöhung führen. Steigt die Dosierung dann langsam über die Jahre hinweg an, sind Folgen wie eine verringerte Konzentrations- und Merkfähigkeit, körperliche Schwäche und eine emotionale Abstumpfung häufig. Bei länger andauernder Abhängigkeit von sehr hohen Dosen sinkt die Leistungsfähigkeit, Betroffene ziehen sich sozial zurück. Beziehungs­probleme können zum Scheitern von Ehen führen, und es drohen Isolation und Vereinsamung.

In kleinen Schritten zum Erfolg

Ein Entzug macht in jedem Alter Sinn, und auch betagte Patienten sollten dazu ermutigt werden. Das Apothekenteam kann aufklären und Entzugswillige auf ihrem Weg unterstützen. Benzodiazepine dürfen nie abrupt abgesetzt werden, da sich die unangenehmen Symptome sonst verstärken. »Apotheker und PTA sollten mit darauf achten, dass die Dosis in kleinen Schritten verringert wird. Das funktioniert, indem zum Beispiel auf ein Präparat in Tropfenform, wie Clonazepam, umgestellt wird, mit einer über den Tag verteilten Dosis, damit keine hohen Spiegelschwankungen auftreten«, rät der Experte. Bei zu schnellem Absetzen droht ein Rebound-Effekt mit Erscheinungen wie Schlafstörungen, innerer Erregung, Angst- und Spannungszuständen bis hin zu erhöhter Suizidneigung. Das Auftreten der Symptome verleitet dazu, die Substanzen wieder weiter in gewohnter Dosierung einzunehmen. Patienten hilft es, wenn PTA leicht verständlich erklären, warum das Ausschleichen erfolgt und dass eventuell unerfreuliche Symptome beim Herabdosieren wieder vorübergehen. Auch die Fortschritte sollten sie beleuchten: »Fragen Sie, ob es schon positive Folgen gibt, wie mehr Klarheit, Wachheit, bessere Konzentration, weniger körperliche Missempfindungen oder reduzierte Reizoffenheit.«

Sollte der Patient beim Abdosieren ein Ersatzmedikament einnehmen, etwa Melatonin? Dazu Holzbach: »Bei fachgerechter Abdosierung ist das häufig nicht notwendig. Voraussetzung ist eine adäquate Behandlung der Grunderkrankung, zum Beispiel von Ängsten, Depressionen sowie den häufig zur Verschreibung führenden Schlafstörungen.« Bei Letzteren rät er zu einer schlafhygienischen Beratung durch die PTA und empfiehlt, entsprechendes Informationsmaterial mit­zugeben. »Auch pflanzliche schlaf­anstoßende Medikamente können eine gute Unterstützung darstellen.« Regelmäßige ermutigende und beruhigende Gespräche mit dem Apothekenteam helfen Patienten beim Durch­halten. Normalerweise sollte der Entzug dann in zwei bis vier Monaten geschafft sein. /

*) Im Beitrag sind zur besseren Lesbarkeit ­Z-Substanzen und Benzodiazepine unter dem Begriff »Benzodiazepine« zusammengefasst.

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