Manager seiner Krankheit |
26.02.2009 11:08 Uhr |
Manager seiner Krankheit
PTA-Forum / An der Universitätshautklinik Kiel leitet Professorin Dr. Regina Fölster-Holst eine Spezialsprechstunde für Neurodermitiker. Mehrere Ärzte beraten Betroffene die ganze Woche über, so groß ist der Bedarf an Aufklärung und Information. PTA-Forum befragte die Dermatologin nach den wichtigsten Botschaften, die Erkrankte dort erhalten.
PTA-Forum: Welche Bedeutung hat die ausführliche Information beim Krankheitsbild Neurodermitis?
Fölster-Holst: Die Aufklärung über das Krankheitsbild, dessen Triggerfaktoren und individuelle Therapien soll den Patienten in die Lage versetzen, Manager der eigenen Erkrankung zu werden.
PTA-Forum: Erleben Sie, dass Patienten auch fehl informiert sind, und mit welchen Irrmeinungen müssen Sie am häufigsten aufräumen?
Fölster-Holst: Das ist unser klinischer Alltag. Sehr häufig sind die Patienten der Ansicht, die Anwendung von Kortison würde andere atopische Erkrankungen wie Asthma verschlechtern. Diese Kortisonphobie wird teilweise von den Medien und Naturheilkundlern noch unterstützt. Ebenso herrscht häufig die Meinung, man dürfe die Haut nicht mit Pflegepräparaten verwöhnen, weil sie sonst keine eigene Leistung schafft. Das ist falsch, denn die Barrierestörung ist genetisch verursacht.
PTA-Forum: Was müssen die Patienten bei der Hautpflege beachten?
Fölster-Holst: Die Patienten sollten ihre Haut mindestens zweimal täglich pflegen. Es bietet sich zudem an, die Haut nach der Dusche noch in einem leicht feuchten Zustand einzucremen, da die Aufnahmefähigkeit dann sehr hoch ist. Nachgewiesenermaßen führt eine regelmäßige Hautpflege zur Einsparung von Kortison.
PTA-Forum: Mit welchen Argumenten nehmen Sie Ihren Patienten die Angst vor Kortison?
Fölster-Holst: Kortison ist ein körpereigener Stoff, der beispielsweise durch eine kalte Dusche im Körper verstärkt freigesetzt wird. Inzwischen gibt es viele kortisonhaltige Cremes und Salben, die ein niedriges Nebenwirkungsprofil aufweisen. Trotzdem ist es wichtig, dem Patienten einen genauen Behandlungsplan mitzugeben. Für mich hat sich dabei die sogenannte Ausschleichmethode bewährt: Anfangs wird für ein bis zwei Wochen täglich in Abhängigkeit vom Befund Kortison appliziert, im Anschluss zunächst alle zwei Tage, dann, falls überhaupt noch erforderlich, einmal pro Woche.
PTA-Forum: Welche Tipps geben Sie Betroffenen, um den Juckreiz besser zu beherrschen?
Fölster-Holst: Prophylaktisch Triggerfaktoren zu meiden, also Reizstoffe wie Seifen, Reinigungsmittel, Allergene wie Hausstaubmilben, Tierhaare, bei einigen Patienten auch Nahrungsmittel. Außerdem muss die Haut regelmäßig gepflegt werden. Akut sind hilfreich: die kurzfristige Anwendung kortisonhaltiger Cremes, Kühlung und die Ablenkung durch Entspannungsverfahren wie die Muskelentspannung nach Jacobson oder auch ein Spaziergang.
Suchen die Patienten in der Apotheke Rat, können PTA oder Apotheker ihnen die Informationen über potenzielle Triggerfaktoren und die Bedeutung der richtigen Hautpflege mit auf den Weg geben.
PTA-Forum: Welche Triggerfaktoren beobachten Sie am häufigsten und was können die Patienten dagegen tun?
Fölster-Holst: Zu den wichtigsten Triggerfaktoren zählen Reizstoffe, zum Beispiel Seifen und Reinigungsmittel, Bakterien wie Staphylococcus aureus, extreme Hitze, zu trockene Luft, Hausstaubmilben, Tierhaare und psychische Belastungssituationen. Eine exakte Diagnostik kann dem Patienten genau aufzeigen, welche der Triggerfaktoren für ihn bedeutsam sind.
PTA-Forum: Wie groß ist der Einfluss der Psyche auf eine Erkrankung?
Fölster-Holst: Bei psychischen Belastungssituationen verschlechtert sich nicht bei allen Patienten das Krankheitsbild der Neurodermitis. Für die Patienten, bei denen sie eine Rolle spielen, haben sich Neurodermitis-Schulungen bewährt. Neben dem Erlernen von Entspannungstechniken wird in Form von Rollenspielen der richtige Umgang mit Stress eingeübt.
PTA-Forum: Wie häufig treten spezifische Nahrungsmittelallergien auf und wie beurteilen Sie pauschale Diäten?
Fölster-Holst: Sehr häufig machen die Patienten unsinnige, völlig überflüssige Diäten, die lediglich zu Frust und über diesen sogar zur Verschlechterung der Neurodermitis führen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Nahrungsmittelallergiker unter den Neurodermitispatienten gibt. Wichtig ist, diese anhand der adäquaten Diagnostik durch Anamnese, Hauttestung, Blutuntersuchung und gegebenenfalls Provokationen herauszufiltern. Diese Betroffenen profitieren von einer Diät. Dabei ist zu beachten, dass gerade im frühen Kindesalter die Nahrungsmittelallergie vorübergehend auftritt und nach ein bis zwei Jahren nicht mehr nachzuweisen ist.
PTA-Forum: Welchen Nutzen messen Sie der Klimatherapie bei?
Fölster-Holst: Sie hat sich im Hochgebirge und an der Nordsee bewährt.
PTA-Forum: Welche Fortschritte in der Therapie erwarten Sie?
Fölster-Holst: Die Therapie wird mehr und mehr den ätiopathogenetischen Vorgängen gerecht. Bei der Therapie des Krankheitsbildes sollte die komplexe Interaktion von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren, die das Krankheitsbild entstehen lässt, berücksichtigt werden. Einige Umweltfaktoren hatte ich bereits oben erwähnt; inzwischen lassen sich auch immer mehr Gendefekte feststellen. Wenn bekannt ist, welche Bedeutung einzelne Gene haben, kann man genau hier therapeutisch ansetzen. Jüngstes Beispiel ist der Filaggrin-Defekt, der die Barrierestörung und somit die trockene Haut erklärt.