Neue Arzneistoffe im Februar 2009 |
26.02.2009 09:55 Uhr |
Neue Arzneistoffe im Februar 2009
von Sven Siebenand
Vier neue Wirkstoffe sind im vergangenen Monat auf den deutschen Markt gekommen. Darunter befinden sich zwei Antikörper. Der eine kommt bei rheumatoider Arthritis, der andere bei Psoriasis zum Einsatz. Anwendungsgebiet der Neulinge drei und vier sind Angina pectoris sowie bestimmte potenziell bösartige Veränderungen der Blutbildung, die zu Leukämie führen können.
Foto: Adobe Stock/Africa Studio
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist bislang unheilbar und ihre Ursache unbekannt. Fest steht jedoch, dass es sich dabei um eine chronisch fortschreitende entzündliche Erkrankung der Gelenke und umgebenden Gewebe handelt. Häufig ist sie mit starken Schmerzen, Gelenkzerstörung und Komplikationen wie chronischer Müdigkeit und Anämie verbunden. Mehrere Eiweißstoffe, sogenannte Zytokine, sind am Entzündungsprozess beteiligt. Dazu gehören der Tumornekrosefaktor-(TNF)-alpha, Interleukin-1 (IL-1) und Interleukin-6 (IL-6). Es hat sich herausgestellt, dass IL-6 eine Schlüsselrolle im Entzündungsgeschehen spielt.
Seit Mitte Februar ist mit Tocilizumab (RoActemra® 20 mg/ml Konzentration zur Herstellung einer Infusionslösung, Roche Pharma AG) der erste monoklonale Antikörper gegen den IL-6-Rezeptor nun auch in Deutschland verfügbar. Vor der Zulassung in der EU wurde Tocilizumab bereits in mehreren Ländern, beispielsweise in Japan und in der Schweiz, eingeführt. Der neue Wirkstoff bindet spezifisch sowohl an lösliche als auch an membrangebundene IL-6-Rezeptoren. Hierdurch wird die entzündungsfördernde Wirkung von IL-6 gehemmt.
Gegen rheumatoide Arthritis
Zugelassen ist Tocilizumab in Kombination mit Methotrexat (MTX) für die Behandlung Erwachsener mit mäßiger bis schwerer aktiver RA, die unzureichend auf eine Behandlung mit einem oder mehreren Antirheumatika oder TNF-alpha-Inhibitoren angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Bei diesen Patienten kann der Arzt den Antikörper auch als Monotherapie einsetzen, falls eine MTX-Unverträglichkeit vorliegt oder die Fortsetzung der Therapie mit MTX unangemessen erscheint.
Die empfohlene Dosierung beträgt alle vier Wochen einmal 8mg pro kg Körpergewicht, aber nicht weniger als 480mg. Die Applikation erfolgt als etwa einstündige intravenöse Infusion. Bei älteren Patienten und solchen mit einer leichten Nierenfunktionsstörung muss die verabreichte Dosis nicht angepasst werden.
Falls bei einem Patienten eine schwerwiegende Infektion im Verlauf der Therapie auftritt, muss der Arzt die Anwendung von Tocilizumab bis zum Ende der Infektion unterbrechen. PTA oder Apotheker sollten die Patienten darüber informieren, dass sie umgehend einen Arzt aufsuchen müssen, falls sie Symptome einer Infektion bemerken.
Interaktionen beachten
Zu Beginn und ebenso am Ende der Therapie mit Tocilizumab sollten Patienten sorgfältig überwacht werden, wenn sie zusätzlich Arzneimittel einnehmen, die durch bestimmte Cytochrom-P-450-Enzyme metabolisiert werden. Zum Beispiel bei Wirkstoffen wie Atorvastatin, Theophyllin, Warfarin, Phenytoin und Ciclosporin könnten Dosisanpassungen erforderlich sein, damit diese Arzneisubstanzen ihre therapeutische Wirkung erzielen. Laut Fachinformation müssen Ärzte bei der Anwendung des neuen Wirkstoffs noch andere besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen beachten. Diese beziehen sich zum Beispiel auf das Vorliegen einer Lebererkrankung, eine mögliche Tuberkulose-Infektion und das Herz-Kreislauf-Risiko.
Zu den in Studien am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen unter Tocilizumab zählten unter anderem Infektionen des oberen Respirationstrakts, Kopfschmerzen sowie Bluthochdruck.
Ustekinumab bei Psoriasis
Mit Ustekinumab (Stelara™ 45 mg Injektionslösung, Janssen-Cilag) kam Mitte Februar ein weiterer monoklonaler Antikörper auf den Markt, der sich wie Tocilizumab gegen Interleukine richtet. Der Wirkstoff hat jedoch ein ganz anderes Indikationsgebiet: Ustekinumab ist eine neue Therapieoption bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis, wenn diese andere Behandlungen, zum Beispiel mit Ciclosporin und Methotrexat, nicht anwenden können oder darauf nicht ansprechen.
Der Antikörper Ustekinumab richtet sich gegen einen Bestandteil der Interleukine 12 und 23. Diese beiden Botenstoffe im Immunsystem sind an der Entzündung und anderen Prozessen beteiligt, die Psoriasis verursachen. Indem es die Wirkung dieser Interleukine blockiert, vermindert Ustekinumab die Aktivität des Immunsystems und die Symptome der Erkrankung.
Selbstbehandlung möglich
Der monoklonale Antikörper ist subkutan zu injizieren. Vier Wochen nach der ersten 45-mg-Dosis erfolgt eine zweite Injektion von 45 mg Wirkstoff. Darauf folgt alle zwölf Wochen eine weitere Gabe von 45 mg. Bei älteren Patienten ist keine Dosisanpassung notwendig. Anders sieht es bei Patienten aus, die mehr als 100 Kilogramm wiegen. Diese sollten 90-mg-Injektionen erhalten. In Absprache mit dem Arzt können sich die Patienten nach einer entsprechenden Schulung das Medikament selbst spritzen. Der Hersteller bietet spezielle Schulungsprogramme für Patienten an. Tipp: Hautareale, die von Psoriasis betroffen sind, wenn möglich, nicht als Injektionsstelle verwenden.
Wenn Patienten über 28 Wochen nicht auf die Behandlung ansprechen, sollte der Arzt das Ende der Therapie erwägen. Genauso wie bei Tocilizumab müssen Arzt und Patient auch bei Ustekinumab auf akute Infektionen achten. Vor Beginn der Behandlung sind Patienten auf eine mögliche Tuberkulose-Infektion zu untersuchen. PTA und Apotheker sollten dem Patienten empfehlen, sofort einen Arzt aufzusuchen, wenn während der Therapie Anzeichen einer Infektion auftreten. Der Mediziner muss dann entscheiden, ob er die Behandlung aus Sicherheitsgründen abbricht. Ferner sollte während der Ustekinumab-Therapie die gleichzeitige Immunisierung mit Lebendimpfstoffen unterbleiben.
Bisher liegen keine hinreichenden Daten für die Anwendung des Antikörpers bei Schwangeren vor. Als Vorsichtsmaßnahme sollten werdende Mütter Ustekinumab nicht bekommen. Gleiches gilt für unter 18-Jährige. Die in Studien am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen der neuen Substanz waren Infektionen der oberen Atemwege sowie Entzündungen der Nase und des Rachens. Laut Fachinformation können Immunsuppressiva wie Ustekinumab unter anderem das Risiko für bösartige Tumorerkrankungen erhöhen.
Ranolazin bei Angina pectoris
Mit Ranolazin (Ranexa® 375-/ 500-/ 750-mg Retardtabletten, Berlin-Chemie AG) kam Mitte Februar ein Arzneistoff für die Behandlung von Patienten mit stabiler Angina pectoris auf den deutschen Markt. Als Ergänzungstherapie verordnet der Arzt die neue Arzneisubstanz, wenn Patienten nicht ausreichend auf andere Arzneimittel wie Betablocker und Calciumantagonisten ansprechen oder diese Wirkstoffe nicht tolerieren.
Als empfohlene Anfangsdosis des verschreibungspflichtigen Wirkstoffs gelten zweimal täglich 375 mg. Nach zwei bis vier Wochen sollte der Arzt die Dosis auf zweimal täglich 500 mg oder 750 mg erhöhen. Bei älteren und bei Patienten mit einem Körpergewicht unter 60 kg sowie mit Nieren-, Leber- oder Herzproblemen sollte er mit besonderer Vorsicht die Dosis steigern. PTA oder Apotheker sollten den Patienten bei der Abgabe der neuen Arzneisubstanz raten, die Tabletten unzerkleinert und unzerkaut zu schlucken. Die Einnahme ist mit oder ohne Mahlzeit möglich.
Der Wirkmechanismus von Ranolazin ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Vermutlich reduziert der Wirkstoff den Einstrom von Natriumionen in die Herzmuskelzellen. Infolgedessen gelangen auch weniger Calciumionen in die Zellen. Diese bewirken normalerweise die Kontraktion des Herzmuskels. Indem Ranolazin den Calcium-Einstrom reduziert, trägt es zur Entspannung am Herzen bei und die charakteristischen Brustschmerzen bei Angina pectoris lassen nach.
Zahlreiche Kontraindikationen
Bei Patienten mit schweren Nieren- oder mittelschweren bis schweren Leberproblemen darf der neue Wirkstoff nicht zum Einsatz kommen. Außerdem ist die Kombination mit bestimmten Antiarrhythmika, zum Beispiel Sotalol und Chinidin, kontraindiziert. Eine weitere Kontraindikation besteht bei gleichzeitiger Einnahme von starken CYP3A4-Inhibitoren wie Itraconazol, Ketoconazol, Clarithromycin und Telithromycin, denn diese können die Plasmakonzentration von Ranolazin erhöhen. Andersherum wird erwartet, dass die gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin, Carbamazepin und Johanniskraut die Wirkung von Ranolazin aufhebt. Deshalb sollten Patienten, die einen CYP3A4-Induktor einnehmen, nicht gleichzeitig Ranolazin erhalten. Ebenso sollte der Arzt die Dosierung vorsichtig festlegen, wenn der Patient mittelstarke CYP3A4-Hemmer wie Diltiazem, Fluconazol oder Erythromycin sowie P-GP-Inhibitoren wie Verapamil und Ciclosporin einnimmt.
Die in Studien am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen der neuen Substanz sind Schwindel, Kopfschmerzen, Verstopfung, Erbrechen, Übelkeit und Schwächegefühl.
Das Orphan Drug Azacitidin
Mit Azacitidin (Vidaza® 25 mg/ml Pulver zur Herstellung einer Injektionssuspension, Celgene) kam Anfang Februar ein Orphan Drug zur Therapie myelo-dysplastischer Syndrome (MDS) auf den deutschen Markt. MDS sind potenziell bösartige Veränderungen der Blutbildung, die zu Leukämie führen können. Zugelassen ist das Präparat bei erwachsenen Patienten, für die eine Knochenmarkstransplantation nicht infrage kommt.
Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 75 mg/m2 Körperoberfläche. Das Mittel wird eine Woche lang täglich unter die Haut des Oberarms, Oberschenkels oder in die Bauchdecke injiziert. Nach einer dreiwöchigen behandlungsfreien Phase folgen mindestens sechs solcher Zyklen. Darüber hinaus ist es möglich, die -Behandlung fortzusetzen, so lange der Patient davon profitiert. Im Falle eines zustarken Konzentrationsabfalls der Blutzellen oder bei Nierenproblemen muss der Arzt den nächsten Zyklus verschieben oder die Dosis reduzieren.
Einfluss auf Blutzellen
Pharmakologisch betrachtet gehört Azacitidin zu den Zytostatika, genauer gesagt zu den Antimetaboliten. Die Substanz ist ein Cytidin-Analogon, das in das genetische Material, also RNA und DNA, der Zellen eingebaut wird. Das wirkt sich vermutlich darauf aus, wie die Zelle Gene an- und abschaltet. Zudem scheint der Arzneistoff die Bildung neuer RNA und DNA zu beeinflussen und somit die Probleme bei der Reifung und dem Wachstum junger Blutzellen im Knochenmark zu beheben und die Krebszellen bei Leukämiepatienten abzutöten.
Während der Therapie mit Azacitidin veränderte sich bei mehr als 60 Prozent der Patienten das Blutbild, unter anderem erniedrigte sich die Zahl der Blutplättchen sowie der weißen Blutkörperchen. Hinzu wurden Reaktionen an der Injektionsstelle und Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen beobachtet. Deshalb sollten Patienten vor Beginn der Behandlung mit dem Zytostatikum Antiemetika einnehmen. Patienten mit schweren Leberproblemen muss der Arzt sorgfältig auf Nebenwirkungen überwachen, bei Patienten mit fortgeschrittenem Leberkrebs darf er den neuen Wirkstoff nicht einsetzen. Kontraindiziert ist dieser auch bei Stillenden.
E-Mail-Adresse des Verfassers:
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