Schilddrüsenhormone und orale Gerinnungshemmer |
26.02.2009 09:38 Uhr |
Schilddrüsenhormone und orale Gerinnungshemmer
von Andrea Gerdemann und Nina Griese
Schilddrüsenhormone beeinflussen die Blutgerinnung. Dieser Zusammenhang wird dann vonbesonderer Bedeutung, wenn Patienten mit einer Schilddrüsenerkrankungeine Substitutionstherapie erhalten und gleichzeitig orale Antikoagulanzien einnehmen. Hier kann das Hormonpräparat die Wirkung des Gerinnungshemmers beeinflussen.
Levothyroxin und auch die Kombination aus Levothyroxin und Iodid sind häufig verordnete Arzneistoffe. Levothyroxin benötigen Patienten zur Substitutionstherapie bei Schilddrüsenerkrankungen, zum Beispiel bei deren Unterfunktion (Hypothyreose), einem Iodmangelstruma oder einer Schilddrüsenentzündung. Das Iodmangelstruma, das Laien als Kropf bezeichnen, tritt bei 30 Prozent der deutschen Bevölkerung auf und ist damit die häufigste Schilddrüsenerkrankung.
Die Behandlung mit Schilddrüsenhormonen beginnt einschleichend: Der Patient erhält meist 8 bis 14 Tage lang eine niedrige Dosis. Danach steigert der Arzt die Dosis in mehrwöchigen Abständen bis zur Erhaltungsdosis. Menschen mit einer Schilddrüsenunterfunktion sind oft lebenslang auf den Hormonersatz angewiesen. Da Nahrung die Bioverfügbarkeit von Levothyroxin um circa 20 Prozent verringert, müssen die Patienten ihre Tablette morgens nüchtern, das heißt eine halbe Stunde vor dem Frühstück einnehmen.
Verzögerter Wirkungseintritt
Auch der orale Gerinnungshemmer Phenprocoumon (wie Marcumar®) wird relativ häufig verordnet. Phenprocoumon, ebenso Warfarin, sind Cumarinderivate und werden auch als Vitamin-K-Antagonisten bezeichnet. Die Substanzen hemmen die Synthese mehrerer Gerinnungsfaktoren wie funktionstüchtigem Prothrombin sowie der Faktoren VII, IX und X in der Leber. Ihre Wirkung setzt erst nach zwei bis drei Tagen ein, wenn die noch im Blut vorhandenen Gerinnungsfaktoren abgebaut sind und sich die fehlende Neubildung in der Leber bemerkbar macht. Dieser verzögerte Wirkungseintritt ist auch für die Interaktion mit Schilddrüsenhormonen relevant.
Antikoagulanzien müssen Patienten einnehmen, wenn die Gefahr einer Gerinnselbildung besteht, zum Beispiel:
Sowohl eine Schilddrüsenüberfunktion als auch eine -unterfunktion beeinflussen wahrscheinlich die Metabolisierung von Gerinnungsfaktoren. Bei hypothyreoten Patienten verläuft die Metabolisierung langsamer, bei hyperthyreoten beschleunigt. Dies erklärt, warum Patienten je nach Schilddrüsenhormonstatus unterschiedliche Mengen oraler Antikoagulanzien benötigen: Hypothyreote Patienten benötigen erhöhte und hyperthyreote verminderte Dosen.
Die Wechselwirkung zwischen Schilddrüsenhormonen und oralen Antikoagulanzien gehört zu den pharmakodynamischen Interaktionen. Ihre klinische Relevanz ist in der Literatur gut dokumentiert. Bei Patienten, die mit oralen Antikoagulanzien behandelt werden, kann die blutgerinnungshemmende Wirkung zu Beginn einer Behandlung mit Schilddrüsenhormonen oder bei einer Dosiserhöhung im Verlauf von einigen Tagen zunehmen. Dadurch können Blutungen auftreten. Dass die Wechselwirkung verzögert eintritt, lässt sich wie folgt erklären: Es dauert einige Tage, bis die Blutgerinnungsfaktoren beschleunigt abgebaut werden.
Die Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen wie Hyper- und Hypothyreose verändert den Hormonstatus, so dass eine Anpassung der Therapie mit Antikoagulanzien häufig erforderlich wird. Daher muss bei jeder Veränderung der Schilddrüsenhormontherapie, also einer Neueinstellung oder einer Dosisänderung (Dosissteigerung und -erniedrigung), die Blutgerinnung (International Normalized Ratio = INR) bei den Patienten besonders engmaschig überwacht werden. Je nach gemessenem Wert passt der Arzt dann die Dosis des Gerinnungshemmers der neuen Situation an.
Beispiel aus der Praxis
Herr Schild, ein 65-jähriger Hausapothekenkunde, reicht in der Apotheke ein Rezept über L-Thyroxin 125 Henning® ein. Als die PTA das Präparat einscannt, zeigt die Software eine Interaktion mit einem bereits seit längerem verordneten Arzneimittel. Die Interaktionsmeldung bezieht sich auf Marcumar® (Phenprocoumon), das der Patient seit mehreren Jahren einnimmt. In der Interaktionsmonographie der ABDA-Datenbank finden sich die Informationen zum Effekt »Verstärkte Hemmung der Blutgerinnung« und zum Interaktionstyp die Notiz »pharmakodynamisch, wahrscheinlich/nicht vollständig geklärt«. Unter dem Stichwort Maßnahmen nennt die Software die Neuverordnung oder Dosisveränderung von Levothyroxin als Fälle, bei denen eine engmaschige Überwachung und gegebenenfalls eine Anpassung der Dosierung von Phenprocoumon erforderlich sind.
Da Herr Schild Stammkunde ist, kann die PTA in der Medikationshistorie nachschauen, ob er Levothyroxin zum ersten Mal oder in einer neuen Dosierung bekommt. Vor zwei Monaten hat der Patient schon einmal Levothyroxin erhalten, allerdings in der Dosis von 150 µg. Die Nachfrage der PTA, ob der Arzt ihn über die niedrigere Dosierung des L-Thyroxin informiert habe, bejaht Herr Schild. Er berichtet, die letzte Überprüfung der Schilddrüsenwerte habe ergeben, dass die alte Dosierung wohl zu hoch für ihn sei. Abschließend erkundigt sich die PTA: »Haben Sie in den nächsten Tagen noch einmal einen Arzttermin? Sie nehmen ja auch Marcumar ein. Manchmal muss der Arzt die Dosierung von Marcumar anpassen, wenn er die Dosierung der Schilddrüsenhormone ändert.« »Ach, es war eben so hektisch in der Arztpraxis. Da haben wir gar nicht über einen neuen Termin gesprochen«, antwortet Herr Schild.
Die PTA bietet Herrn Schild an, beim Arzt nachzufragen, wann er das nächste Mal zur Kontrolle des Blutgerinnungswertes in die Praxis kommen soll. Die Rücksprache ergibt, dass Herr Schild in vier Tagen noch einmal zur Messung bestellt ist, wahrscheinlich hatte der ältere Herr den Termin in der Hektik überhört. Die PTA gibt die Information daraufhin an Herrn Schild weiter.
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