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Arzneimitteltherapie

Neue Arzneistoffe im Januar 2012

20.01.2012  15:36 Uhr

Von Sven Siebenand /­Zum Jahresbeginn kamen zwei neue ­Medikamente auf den deutschen Markt. Rilpivirin ist ein neues HIV-Medikament, Azilsartan erweitert die Wirkstoffpalette bei den Antihypertonika. Bereits seit Mitte Dezember 2011 ist mit Tafamidis ein Orphan Drug zur Behandlung einer seltenen ­neurodegenerativen Erkrankung verfügbar.

In Deutschland leben rund 73 000 Men­schen mit einer HIV-Infektion. Ein Medikament, mit dem diese heilbar wäre, gibt es noch nicht. Dennoch kommt die Infektion heute keinem Todesurteil mehr gleich. Die modernen antiretroviralen Therapeutika haben sie vielmehr zu einer chronischen Krankheit gemacht.

Neues HIV-Medikament

Rilpivirin (Edurant® 25 mg Filmtabletten, Janssen-Cilag) ist der neueste HIV-Wirkstoff. Seit Mitte Januar steht er – in Kombination mit anderen antiviralen Medikamenten – für die Behandlung von HIV-1-Infektionen bei antiretroviral nicht vorbehandelten Erwachsenen zur Verfügung, deren Viruslast maximal 100 000 HIV-1 RNA-Kopien pro ml Blut beträgt.

Rilpivirin gehört zur Gruppe der Nicht-Nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI). Andere Vertreter dieser Klasse sind Etravirin, Efavirenz oder Nevirapin (siehe auch Kasten). NNRTI blockieren die Aktivität des viruseigenen Enzyms Reverse-Trans­kriptase. Dieses Enzym ist wichtig für die Vermehrung der Viren in den infizierten Zellen. Rilpivirin und Co. binden an einer Stelle neben dem aktiven Zentrum des Enzyms, sodass den natürlichen Substraten der Zugang zum aktiven Zentrum verwehrt ist. In der Konsequenz kann virale RNA nicht mehr in DNA umgeschrieben werden.

Die Patienten müssen in der Regel täglich eine Tablette mit dem Essen einnehmen. Bei der Einnahme auf nüchternen Magen ist die Verfügbarkeit von Rilpivirin deutlich geringer. Wenn der Patient eine Rilpivirin-Dosis vergessen hat und dies innerhalb von zwölf Stunden nach dem üblichen Einnahmezeitpunkt bemerkt, kann er die Tablette so schnell wie möglich nehmen. Ist die zwölf Stunden-Frist vorbei, sollte er erst am Folgetag sein gewohntes Dosierungsschema wieder aufnehmen. Wendet sich ein Patient an PTA oder Apotheker, weil er sich innerhalb von vier Stunden nach der Einnahme von Rilpivirin erbrechen musste, können diese ihm raten, eine weitere Tablette mit einer Mahlzeit zu schlucken. Liegt das Erbrechen mehr als vier Stunden zurück, muss er bis zum nächsten Tag warten.

In der Fachinformation weist der Hersteller explizit noch einmal darauf hin, dass Rilpivirin stets mit anderen HIV-Medikamenten kombiniert werden muss. Das ebenfalls ab Mitte Januar verfügbare Präparat Eviplera® von Gilead Sciences enthält neben 25 mg Rilpivirin noch 200 mg Emtricitabin und 245 mg Tenofovir. Eviplera ermöglicht nun auch nicht vorbehandelten HIV-Patienten, nur eine Tablette pro Tag einnehmen zu müssen. Bisher war Atripla® das einzige Präparat in Deutschland, das ein sogenanntes Single-Tablet-Regimen möglich gemacht hat. Allerdings ist Atripla, obwohl die Einzelsubstanzen als erste Wahl empfohlen werden, nicht für die ersten Monate nach Therapiestart zugelassen, sondern erst, wenn die Viruslast für drei Monate unter der Nachweisgrenze liegt.

Wirkstoffklassen der HIV-Medikamente und ihre Vertreter

Klasse Vertreter
Nukleosidanaloge/Nukleotidanaloge Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) Abacavir, Didanosin, Emtricitabin, Lamivudin, Stavudin, Tenofovir, Zidovudin
Nicht-Nukleosidale Reverse- Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) Efavirenz, Etravirin, Nevirapin, Rilpivirin
Protease-Inhibitoren (PI) Atazanavir, Darunavir, Fosamprenavir, Lopinavir/Ritonavir, Nelfinavir, Saquinavir, Tipranavir
Entry-Inhibitoren Enfuvirtide, Maraviroc
Integrase-Inhibitoren Raltegravir

Wie andere HIV-Medikamente ist auch Rilpivirin nicht frei von Nebenwirkungen. So wurden in Studien unter anderem sehr häufig Kopfschmerzen, Übelkeit und erhöhte Werte des Gesamtcholesterols und des LDL-Cholesterols registriert. Gegenüber anderen NNRTI könnte Rilpivirin dennoch Vorteile haben, denn Efavirenz verursacht zum Beispiel zentralnervöse Nebenwirkungen wie Schwindel und unruhige Träume.

Die Patienten dürfen Rilpivirin nicht gleichzeitig mit einer Reihe anderer Medikamente einnehmen. Der Grund: Wegen der Induktion der CYP3A4-Enzyme oder eines erhöhten pH-Werts im Magen kann die Rilpivirin-Konzentration im Blut signifikant abnehmen und damit gleichzeitig die therapeutische Wirkung des Arzneistoffs. Diese Gefahr besteht bei folgenden Wirkstoffen:

  • den Antiepileptika Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenobarbital und Phenytoin,
  • den Tuberkulostatika Rifabutin, Rifampicin und Rifapentin,
  • Protonenpumpenhemmern wie Omeprazol, Esomeprazol, Lansoprazol, Pantoprazol und Rabeprazol,
  • dem systemischen Glucocorticoid Dexamethason (außer einer Behandlung mit einer Einzeldosis) sowie
  • Johanniskraut-Präparaten (Hypericum perforatum).

 

Schwangere sollten nur dann Rilpivirin erhalten, wenn dies dringend erforderlich ist. Stillenden wird geraten, während der Therapie mit Rilpivirin nicht zu stillen.

Neuer Blutdrucksenker

Ärzte können seit Mitte Januar 2012 erwachsenen Patienten ein weiteres Medikament gegen essenzielle Hypertonie verschreiben: Azilsartan (Edarbi® 20, 40 oder 80 mg Tabletten, Takeda Pharma). Wie der Arzneistoffname bereits verrät, handelt es sich dabei um ein weiteres Sartan. Andere Wirkstoffe dieser Klasse sind zum Beispiel Val­sartan, Olmesartan, Telmisartan oder Losartan.

Die Patienten müssen Azilsartan einmal täglich entweder alleine oder in Kombination mit anderen Antihypertonika, entweder mit oder ohne Nahrung einnehmen. Üblicherweise beträgt die tägliche Dosis 40 mg. Wenn der Blutdruck mit 40 mg nicht ausreichend gesenkt wird, kann der Arzt die Dosis auf 80 mg erhöhen oder die Therapie zum Beispiel um ein Diuretikum wie Chlortalidon oder Hydrochlorthiazid (HCT) oder auch einen Calciumkanalblocker erweitern.

Azilsartan ist – wie die anderen Sartane auch – ein sogenannter Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonist. Die Substanz blockiert die Wirkung des körpereigenen Hormons Angiotensin II und sorgt dafür, dass Blutgefäße im Körper verengt werden. Sartane besetzen die Rezeptoren, an die Angiotensin II normalerweise bindet, hemmen dadurch die Wirkung des Hormons und führen so zu einer Erweiterung der Blutgefäße. In der Folge sinkt der Blutdruck.

Die in Studien am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen von Azilsartan waren Schwindel, Durchfall und der Anstieg des Enzyms Kreatinphosphokinase im Blut. Frauen, die seit mehr als drei Monaten schwanger sind, dürfen den neuen Wirkstoff nicht erhalten. Es ist bekannt, dass Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten während des zweiten und dritten Schwangerschaftstrimesters fetotoxisch und neonatal-toxisch wirken. Als Vorsichtsmaßnahme sollten Frauen im ersten Schwangerschaftstrimester und in der Stillzeit ebenfalls keinen Arzneistoff dieser Klasse einnehmen. Gleiches gilt für Bluthochdruckpatienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung, dekompensierter Herzinsuffizienz oder Nierenarterienstenose und für Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung. Bei leichter bis mäßiger Störung der Leberfunktion kann der Arzt die Therapie mit einer 20-mg-Dosis beginnen. Auch für über 75-jährige Patienten sollte er diese niedrigere Anfangsdosis in Betracht ziehen.

Für die Apothekenpraxis ist folgende mögliche Wechselwirkung von Bedeutung: Werden Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten mit nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAID) kombiniert, kann die blutdrucksenkende Wirkung des Sartans nachlassen, sich die Nierenfunktion verschlechtern oder der Kaliumspiegel im Serum ansteigen. Apropos Kalium: Auch die Kombination von Azilsartan mit kaliumsparenden Diuretika, Kaliumpräparaten oder Arzneimitteln wie Heparin kann den Kaliumspiegel erhöhen. Um eine Hyperkaliämie zu vermeiden, sollte der Serum-Kalium-Spiegel, soweit erforderlich, ­regelmäßig kontrolliert werden.

Wegen der möglichen Gefahr eines Anstiegs des Lithium-Blutspiegels und der damit verbundenen erhöhten Toxizität wird von der gleichzeitigen Einnahme von Azilsartan und Lithiumpräparaten abgeraten. Wenn diese Kombination erforderlich ist, empfiehlt der Hersteller in der Fachinformation eine sorgfältige Kontrolle des Serum-Lithium-Spiegels.

Neues Orphan Drug

Seit Mitte Dezember 2011 ist mit Tafamidis (Vyndaqel® 20 mg Weichkapseln, Pfizer) ein neues Orphan Drug auf dem deutschen Markt, das für Patienten mit einer seltenen neurodegenerativen Erkrankung entwickelt wurde: die familiäre Amyloid-Polyneuropathie vom Transthyretin-Typ (TTR-FAP). Davon sind weltweit rund 8000 Menschen betroffen. Woran genau sind diese Menschen erkrankt? Bei ihnen ist das Transthyretin(TTR)-Gen mutiert, was dazu führt, dass instabiles TTR gebildet wird, welches zu Amyloidfibrillen verklumpt. Diese Fibrillen können sich in unterschiedlichen Organen ablagern, zum Beispiel in den Nerven, den Nieren oder im Herzen, und dort die normale Organfunktion beeinträchtigen. Die Lebensqualität der TTR-FAP-Patienten ist aufgrund der Folgen dieses Gendefekts deutlich verschlechtert. Zu den typischen Symptomen zählen

  • die Polyneuropathie (zum Beispiel Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und Schwäche in den unteren Gliedmaßen) sowie
  • eine schwere Störung des autonomen Nervensystems, die sich häufig in Erektionsproblemen, abwechselnder Diarrhö und Obstipation, unbeabsichtigtem Gewichtsverlust, niedrigem Blutdruck, Harninkontinenz, aber auch Harnverhalt und verzögerter Magenentleerung äußert.

Im Verlauf der Erkrankung verlieren viele Betroffene ihre Gehfähigkeit und sind auf einen Rollstuhl angewiesen. In der Regel tritt TTR-FAP zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr auf und schreitet dann langsam über durchschnittlich etwa zehn Jahren fort.

Tafamidis ist der erste und derzeit einzige zugelassene Wirkstoff, der den Verlauf der peripheren neurologischen Störungen der Patienten mit TTR-FAP verzögern kann. Der Arzneistoff wird als sogenannter Transthyretin-Stabilisator bezeichnet und ist bei erwachsenen Patienten mit symptomatischer Polyneuropathie im Stadium 1 indiziert. Er soll verhindern, dass die falsch gefalteten Proteine und damit Amyloidablagerungen entstehen.

Die Patienten sollen täglich eine 20-mg-Weichkapsel mit oder ohne Nahrung einnehmen. Als Nebenwirkungen von Tafamidis wurden vor allem Diarrhö, Oberbauchschmerzen sowie Harnwegs- und Vaginalinfekte beobachtet. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Therapie mit Tafamidis verhüten, wegen der langen Halbwertszeit des Arzneistoffs sogar noch einen Monat nach Behandlungsende. Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere und Stillende sollen den neuen Wirkstoff nicht erhalten. /

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