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Arzneimitteltherapie

Ein Quartett neuer Wirkstoffe

25.01.2013  14:23 Uhr

Von Sven Siebenand / Mitte Dezember 2012 kamen mit Dapagliflozin ein Antidiabetikum und mit Aflibercept ein Mittel zur Behandlung der feuchten altersabhängigen Makuladegeneration weitere zwei neue Arzneistoffe auf den deutschen Markt. Die ersten beiden Neulinge in 2013 sind das Antibiotikum Fidaxomicin und Ingenol­mebutat zur lokalen Behandlung aktinischer Keratosen.

Trotz einiger Forschritte in der Behandlung ist die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) bei Senioren in westlichen Industriestaaten immer noch die häufigste Ursache für eine Erblindung und schwere Sehbehinderungen. Bei der Erkrankung ist der zentrale Teil der Netzhaut (Makula, gelber Fleck) beeinträchtigt. Man unterscheidet die trockene und feuchte Variante der AMD. Die feuchte Form wird durch ein abnormales Wachstum der Blutgefäße unter der Makula verursacht. Tritt aus diesen Blutgefäßen Flüssigkeit und Blut aus und entsteht eine Schwellung, führt dies bei den Betroffenen zu einem allmählichen Verlust des Sehvermögens, ausgehend vom Zentrum der Wahrnehmung.

Infolgedessen können ansonsten rüstige Rentner nicht mehr lesen, ihre Mitmenschen nicht gut erkennen und auch nicht mehr Auto fahren. Durch die steigende Lebenserwartung schätzen Experten, dass die Zahl der Betroffenen in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen wird. Neben dem Alter an erster Stelle zählen zu den Risikofaktoren auch die genetische Ausstattung und das Rauchen. Bisher wurde die AMD mit Pegaptanib (Macugen®) oder Ranibizumab (Lucentis®) therapiert oder Off-label mit Bevacizumab (Avastin®).

Aflibercept

Mit Aflibercept (Eylea® 40 mg/dl Injektionslösung in einer Durchstechflasche, Bayer Pharma) steht nun ein Arzneistoff mit längerer Wirkdauer zur Verfügung. Aflibercept injiziert ein Arzt unter sterilen Bedingungen in den Glaskörper (intra­vitreale Injektion) und zwar jeweils einmal im Monat 2 mg in drei aufeinander folgenden Monaten, anschließend nur noch alle zwei Monate. Nach einem Jahr Behandlung kann die Häufigkeit der Injektionen, je nach Ansprechen auf die Therapie, weiter gesenkt werden. Wissenschaftler werden in einer speziellen Studie das Dosierungsschema ermitteln, mit dem sich die Verbesserung des Sehvermögens nach dem ersten Behandlungsjahr optimal erhalten lässt.

An der Entstehung der feuchten AMD ist maßgeblich der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor VEGF beteiligt. Deshalb erwies sich die Behandlung mit Anti-VEGF-Substanzen wie Ranibizumab, Pegaptanib und Bevacizumab als wirkungsvolles Prinzip. Auch Aflibercept setzt hier an. Bei dieser biotechnologisch hergestellten Substanz handelt es sich um einen löslichen »Köderrezeptor«, der mit hoher Affinität an VEGF-A bindet und dadurch dessen Wirkung blockiert und darüber hinaus noch zusätzlich den plazentaren Wachstumsfaktor PIGF. Beide Wachstumsfaktoren sind an der Stimulierung des abnormalen Wachstums von Blutgefäßen bei Patienten mit AMD beteiligt. Durch die Blockade dieser Faktoren verringert Aflibercept das Wachstum der Blutgefäße und damit gleichzeitig den Flüssigkeitsaustritt und die Schwellung.

Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Aflibercept zählen Blutungen der Bindehaut (27 Prozent), Augenschmerzen (10 Prozent), Glaskörperabhebung (8 Prozent), Linsentrübung (Katarakt, 8 Prozent), Glaskörperschlieren (8 Prozent) und erhöhter Augeninnendruck (7 Prozent). Nach jeder Injektion sollte der Arzt daher immer den Augeninnendruck des Patienten überprüfen. Da auch Infektionen im Auge nach Injektion von Aflibercept auftreten können, darf der Arzt Patienten mit bereits bestehender Infektion das Mittel nicht verabreichen, auch nicht, wenn er eine Infektion vermutet. 28 Tage vor oder nach einem durchgeführten oder geplanten Eingriff am Auge sollte die Behandlung unterbrochen werden.

Aflibercept wird demnächst möglicherweise bei weiteren Augenerkrankungen zum Einsatz kommen, zum Beispiel beim diabetischen Makulaödem. In anderer Darreichungsform will die Firma Sanofi-Aventis den Wirkstoff als Arzneimittel gegen Darmkrebs auf den Markt bringen.

Dapagliflozin

Den Stoffwechsel der Glucose regulieren unter anderem auch die Nieren. Diese filtern üblicherweise täglich 180 g Glucose und resorbieren diese aus dem Primärharn zurück in den Blutkreislauf. Ein wichtiger Natrium-Glucose-Cotransporter in der Niere ist SGLT-2 (SGLT = Sodium dependent Glucose transport) und außerdem ein vom Insulin unabhängiger Weg für die Rückresorption der Glucose ins Blut. Durch die selektive Blockade von SGLT-2 lässt sich die Rückresorption reduzieren und somit die Ausscheidung überschüssiger Glucose mit dem Harn erhöhen. Mit Dapagliflozin (Forxiga® 5 und 10 mg Filmtabletten, AstraZeneca/Bristol-Myers Squibb) ist der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse auf den deutschen Markt gekommen: die SGLT-2-Inhibitoren.

Dapagliflozin ist zur Verbesserung der Blutzucker­kontrolle bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes zugelassen. Es ist indiziert in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Wirkstoffen einschließlich Insulin oder als Monotherapie bei Patienten, die Metformin nicht vertragen. Ergänzend zur Therapie sollen die Patienten ihre Ernährung umstellen und sich mehr bewegen.

In klinischen Studien reduzierte Dapagliflozin das Gewicht der Teilnehmer und senkte deren Blutdruck. Trotz dieser Beobachtung ist die Substanz nicht zur Gewichtsabnahme oder zur Behandlung von Fettleibigkeit oder hohem Blutdruck zugelassen und sollte auch nicht bei Typ-1-Diabetikern zum Einsatz kommen.

Die empfohlene Tagesdosis beträgt 10 mg, die der Patient zu jeder beliebigen Tageszeit unabhängig von einer Mahlzeit einnehmen kann. Wird Dapagliflozin mit Insulin oder insulinotropen Antidiabetika, wie Sulfonylharnstoffen, kombiniert, muss der Arzt eventuell die Dosis des Insulins beziehungsweise insulinotropen Antidiabetikums reduzieren, um das Risiko von Unterzuckerungen zu verringern.

Da die Wirkung des SGLT-2-Hemmers von der Nierenfunktion abhängt, ist seine Wirksamkeit bei Patienten mit verminderter Nierenfunktion geringer. Laut Fachinformation empfiehlt der Hersteller, Dapagliflozin nicht bei Patienten mit moderater oder schwerer Nierenfunktionsstörung anzuwenden. Sicherheitshalber sollte die Nierenfunktion der Patienten regelmäßig kontrolliert werden. Liegt eine schweren Funktionsstörung der Leber vor, soll der Arzt die Therapie mit 5 mg beginnen. Wenn der Patient diese Dosis gut verträgt, kann der Arzt die Dosis auf 10 mg pro Tag erhöhen.

Aufgrund des Wirkmechanismus steigert Dapagliflozin die Diurese. Der Arzt sollte deswegen zum Beispiel kein Schleifen-Diuretikum mit dem neuen Antidiabetikum kombinieren. Dadurch kann der diuretische Effekt noch verstärkt werden und das Risiko für Dehydratation und Hypotonie steigt. Bei Patienten, die einen Volumenmangel entwickeln, empfiehlt der Hersteller in der Fachinformation, Dapagliflozin vorübergehend abzusetzen.

In den klinischen Studien führte die Therapie mit dem neuen Wirkstoff – verglichen mit Placebo – in erster Linie dann vermehrt zu Unterzuckerungen, wenn die Patienten zusätzlich Insulin oder Sulfonylharnstoffe erhielten. Als Monotherapie oder in Kombination mit Metformin verursachte Dapagliflozin jedoch nicht häufiger eine Hypoglykämie als Placebo.

Schon während der Entwicklung des Medikaments entstand die Vermutung, dass die Glucose-Ausscheidung mit dem Harn möglicherweise das Risiko für Harnwegsinfekte erhöht. Das zeigte sich auch in den Zulassungsstudien. Zu den häufig beobachteten Nebenwirkungen von Dapagliflozin zählen Harnwegsinfektionen, Infektionen im Genitalbereich, Rückenschmerzen, Dyslipidämie und Polyurie.

Schwangere und Stillende sollten Dapagliflozin nicht einnehmen.

Fidaxomicin

Clostridium difficile-Bakterien gehören zur natürlichen Darmflora und verursachen normalerweise keine Beschwerden. Wird aber das Gleichgewicht der Darmflora, zum Beispiel durch Antibiotika, durcheinandergebracht, können sich diese Bakterien vermehren und Toxine produzieren, die unter anderem Durchfall und Fieber hervorrufen. Lange Zeit galten in diesem Fall Metronidazol und Vancomycin als Standardtherapien. Inzwischen steigen unter diesen Medikamenten jedoch die Rückfallraten. Mit Fidaxomicin (Dificlir® 200 mg Filmtabletten, Astellas Pharma) kam Mitte Januar ein neues Antibiotikum auf den deutschen Markt, das für Erwachsene mit durch Clostridium difficile-Bakterien verursachten Darmentzündungen eingesetzt werden kann. Die Patienten sollen zehn Tage lang täglich zwei 200-mg-Tabletten jeweils im Abstand von zwölf Stunden einnehmen.

Ein Expertengremium der europäischen Arzneimittel­agentur EMA empfahl wegen mangelnder Daten, bei Patienten mit Leber- und Nierenproblemen weitere Studien mit Fidaxomicin durchzuführen. Bis die Ergebnisse vorliegen, sollen Ärzte Patienten, deren Nierenfunktion schwer beeinträchtigt sowie Leberfunktion moderat bis schwer beeinträchtigt ist, das neue Präparat nur mit Vorsicht verordnen. Laut Fachinformation existieren keine Daten zu Patienten mit begleitender chronisch-entzündlicher Darmerkrankung. Aufgrund des Risikos einer verstärkten Resorption und von systemischen Nebenwirkungen sollte der Arzt diesen Patienten Fidaxomicin deshalb ebenfalls nur mit Vorsicht verschreiben.

Fidaxomicin gehört zur neuen Gruppe der makrozyklischen Antibiotika. Es wirkt bakterizid und hemmt das bakterielle Enzym RNA-Polymerase. Dadurch können die Clostridium difficile-Bakterien keine Proteine mehr herstellen, sodass ihr Wachstum und ihre Vermehrung gestoppt werden. Fidaxomicin wirkt sehr spezifisch, sodass die übrige Darmflora weitgehend erhalten bleibt.

Die häufigsten Nebenwirkungen des neuen Antibiotikums sind Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung.

Das Spektrum an Interaktionen ergibt sich daraus, dass Fidaxomicin dem P-Glykoprotein als Substrat dient. Daher sollen Ärzte den neuen Arzneistoff nicht mit potenten P-Glykoprotein- Inhibitoren wie Ciclosporin, Ketocon-azol, Erythromycin, Clarithromycin, Verapamil, Dronedaron und Amiodaron kombinieren, da dies den Blutspiegel des Antibiotikums stark erhöhen kann.

Außerdem sollten Ärzte Schwangeren den Wirkstoff aus Sicherheitsgründen nicht verschreiben. Bei Stillenden müssen sie entscheiden, ob diese das Stillen unterbrechen sollen oder sie auf die Behandlung mit Fidaxomicin verzichten beziehungsweise die Behandlung unterbrechen. Dabei müssen der Nutzen des Stillens für das Kind und der Nutzen der Therapie für die Frau gegeneinander abgewogen werden. /

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