Nicht immer ein Säure-Problem |
Ulrike Viegener |
22.01.2018 12:06 Uhr |
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) wie Omeprazol, Pantoprazol oder Esomeprazol haben sich in der Indikation Sodbrennen inzwischen fest etabliert. Der Marktanteil der Säureblocker ist seit ihrer Einführung nach oben geschnellt, und der Boom dauert an – eine Entwicklung, die von Experten kritisch gesehen wird. 2015 nahmen laut Daten der Barmer Ersatzkasse 13,4 Millionen Bundesbürger zumindest zeitweise einen PPI ein, was einem Zuwachs von rund 20 Prozent innerhalb von fünf Jahren entspricht. Mit Sorge beobachten die Experten besonders den überproportional hohen Zuwachs von PPI-Anwendungen bei jüngeren Menschen. Bei Frauen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren weisen die Barmer-Daten zwischen 2011 und 2015 eine Zuwachsrate von fast 80 Prozent aus!
Vom Deutschen Apothekerverband (DAV) publizierte Zahlen komplettieren das Bild: Danach stehen PPI sowohl bei Ärzten als auch bei Apothekern hoch im Kurs. 2015 wurden laut DAV rund 36 Millionen Packungen PPI auf Rezept abgegeben, und zusätzliche 4 Millionen Packungen gingen in den Apotheken für die Selbstmedikation über den Tisch. Nicht selten erfolgt der Einsatz der Säureblocker über einen längeren Zeitraum – bisweilen über viele Jahre hinweg.
Die Anwendungen sind im Verlauf der vergangenen 25 Jahre linear angestiegen, ohne dass sich das Indikationsspektrum PPI erweitert hat. Es sei deshalb zu vermuten, dass ihr Einsatz nicht immer indikationsgerecht erfolgt, schreiben die Autoren einer großen Übersichtsarbeit.
Keineswegs jedes Sodbrennen wird durch überschüssige Säure verursacht und verlangt nach einem PPI. Bei funktionellen Magen-Darm-Beschwerden stehen etwa Motilitätsstörungen im Vordergrund. Vor Abgabe eines Medikaments zur Selbstmedikation sollte deshalb im Beratungsgespräch der Versuch unternommen werden, den Ursachen des Sodbrennens auf die Spur zu kommen. Richtungsweisend ist die Frage nach begleitenden Beschwerden.
Begleitsymptome erfragen
Geht das Sodbrennen mit Völlegefühl, Übelkeit und krampfartigen Beschwerden einher, ist eher von einer funktionellen Dyspepsie/Reizmagen mit verzögerter Magenentleerung auszugehen. Vermutlich werden PPI jedoch in diesen Fällen relativ häufig eingesetzt, obwohl es keine Untersuchungen gibt, die ein solches Vorgehen rechtfertigen würden. Auch Sodbrennen nach schweren fettreichen Mahlzeiten, scharf gewürzten Speisen oder größeren Mengen Süßigkeiten ist kein Fall für PPI, wie die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) unterstreicht. Mit einer entsprechenden Ernährungsberatung ist den Betroffenen meist besser zu helfen.
Von unstrittigem Wert sind PPI dagegen in der Behandlung der gastroösophagealen Refluxkrankheit mit Sodbrennen als Leitsymptom. In diesem Fall ist das Sodbrennen tatsächlich mit einer gesteigerten Magensäureproduktion assoziiert. Infolge einer Funktionsstörung des unteren Schließmuskels der Speiseröhre (Ösophagussphinkter) läuft der saure Nahrungsbrei aus dem Magen zurück.
Domäne Reflux
Die Refluxkrankheit sollte konsequent behandelt werden, einerseits um die Symptome zu lindern und andererseits um zu verhindern, dass unter dem Einfluss der aggressiven Magensäure entzündliche Läsionen an der Ösophagusschleimhaut (Refluxösophagitis) entstehen. Auch besteht ein gewisses Risiko der Zellentartung. In seltenen Fällen verändern sich die Epithelzellen der distalen Speiseröhre durch den Reflux zu einer sogenannten Barrett-Schleimhaut, aus der sich ein Adenokarzinom entwickeln kann.
Angesichts dieses Szenarios ist es folgerichtig, die gastroösophageale Refluxkrankheit mit Säureblockern zu behandeln. PPI werden sowohl zur Akuttherapie als auch zur Rezidivprophylaxe angewendet. Abgesehen vom Sodbrennen zählen auch Heiserkeit und Schluckstörungen am Morgen zum Beschwerdebild der Refluxkrankheit, wenn, was gar nicht selten ist, der Reflux den Rachenraum erreicht (Laryngitis gastrica).
Mit Allgemeinmaßnahmen lässt sich bei Sodbrennen viel erreichen.
In der Kürze des Beratungsgesprächs sind die Möglichkeiten einer exakten Ursachenforschung natürlich limitiert. Abgesehen davon, dass das pharmazeutische Personal keine Diagnosen stellen darf. Doch unabhängig von möglichen Auslösern und Begleitsymptomen sollten PTA und Apotheker nach der Häufigkeit des Sodbrennens fragen: Treten die Beschwerden episodisch oder häufiger auf, oder sind sie sogar chronisch? Eine Selbstmedikation ist bei gelegentlichen akuten Episoden vertretbar, wiederholtes oder chronisches Sodbrennen muss immer ärztlich abgeklärt werden.
Auf jeden Fall sollten die Betroffenen darüber informiert werden, dass nicht medikamentöse Maßnahmen sehr hilfreich sind, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Bei akuten Episoden von Sodbrennen, die einmalig oder nur ab und zu auftreten, erscheint ein versuchsweiser Einsatz von PPI vertretbar. Auf keinen Fall jedoch sollten diese hoch potenten Medikamente über längere Zeit in Eigenregie angewendet werden.
Achtung Nebenwirkungen
Experten warnen deshalb vor einem unkritischen Gebrauch von PPI, weil sie bei längerer Anwendung zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können. Diese Problematik wird bislang unterschätzt: »In jüngster Zeit mehren sich Hinweise, dass eine langfristige Einnahme von PPI mehr Nebenwirkungen verursachen könnte als bislang bekannt«, so die DGVS. Die Verdachtsmomente müssten ernst genommen werden, auch wenn belastbare Daten zu den verschiedenen Risiken zum Teil noch fehlten. Zum Teil gehen die Risiken mit einer erhöhten Sterblichkeit einher.
Im »British Medical Journal« wurde unlängst eine Studie mit Daten von 350 000 US-Veteranen publiziert, in der PPI mit H2-Blockern verglichen wurden. Nach drei- bis sechsmonatiger PPI-Einnahme waren 17 Prozent mehr Patienten verstorben als in der Vergleichsgruppe, und bei PPI-Einnahme über sechs bis zwölf Monate waren es 31 Prozent mehr. Unterm Strich stand im ersten Behandlungsjahr ein Mortalitätsanstieg um rund 50 Prozent. Umgerechnet käme auf 500 Menschen, die PPI über ein Jahr hinweg einnehmen, ein Therapie-assoziierter Todesfall. Zu den Todesursachen wurden in dieser Studie keine Aussagen gemacht.
Als relativ gut belegt gilt ein erhöhtes Frakturrisiko besonders von Schenkelhals und Wirbelkörpern unter PPI-Langzeittherapie. Als Erklärung wird eine verminderte Resorption von Vitamin D favorisiert. Für Vitamin B12 ist gesichert, dass es bei anhaltender Säureblockade zu Mangelzuständen kommen kann. Bewiesen ist außerdem, dass unter PPI das Risiko gefährlicher Infektionen beziehungsweise Überwucherungen mit dem Darmbakterium Clostridium difficile steigt. Dafür dürften pH-Wert-abhängige Verschiebungen im Bereich der Darmflora verantwortlich sein. Grundsätzlich steht der Verdacht im Raum, dass PPI die Abwehr oral aufgenommener Keime reduzieren und so das Risiko von Infektionen, etwa von Pneumonien, erhöhen. Auch in punkto Nierenversagen, Demenz und Herzinfarkt haben sich Verdachtsmomente ergeben, wobei die Datenlage hier aber noch recht wackelig ist.
Rebound vermeidbar
Abgesehen von den genannten Risiken der PPI-Langzeittherapie ist der Rebound-Effekt ein relevantes, jedoch vermeidbares Problem. Werden die potenten Säureblocker nach Wochen oder Monaten abgesetzt, kommt es bei den meisten Patienten zu einer überschießenden Magensäureproduktion mit entsprechenden Beschwerden. Deshalb sollen PPI langsam ausgeschlichen werden.
Auch wenn Protonenpumpenhemmer heute verstärkt eingesetzt werden, stellen doch Antazida und H2-Blocker nach wie vor bei akutem Sodbrennen eine Therapieoption dar. Antazida wie die Schichtgittersubstanzen Magaldrat (wie Riopan®) oder Hydrotalcit (wie Talcid®) sowie Magnesium- und Aluminiumverbindungen (wie Maaloxan®, Phosphalugel®) haben den Vorteil eines raschen Wirkeintritts, allerdings hält ihre Wirkung nicht so lange vor. Bei H2-Blockern wie Famotidin (wie Pepciddual®) oder Ranitidin (wie Zantic®) setzt die Wirkung nach 30 bis 60 Minuten ein und dauert bis zu zwölf Stunden an.
Scheint nicht die Säure, sondern eine Motilitätsstörung der Urheber des Sodbrennens zu sein, bieten sich Prokinetika an. In den Leitlinien der DGVS wird zur Behandlung funktioneller dyspeptischer Beschwerden wie Sodbrennen auch das pflanzliche Kombinationspräparat Iberogast® empfohlen. Die darin enthaltenen neun Heilkräuter rund um die Schleifenblume entfalten laut Hersteller eine komplexe harmonisierende Wirkung auf die Magen-Darm-Tätigkeit und regulieren unter anderem die gestörte Motilität.
Auch eine moderate Säurehemmung und antientzündliche Effekte seien belegt. Die Wirkung tritt schnell ein, und die Verträglichkeit gilt als sehr gut. Eine Langzeittherapie ist möglich. Gleiches gilt auch für eine Pfefferminz-/Kümmelöl-Kombination (Carmenthin®), die sich zur Therapie dyspeptischer Beschwerden eignet. Das Präparat ist gut untersucht, es kann Studien zufolge funktionelle Verdauungsbeschwerden längerfristig bessern.
Mediterran gegen Säure
Bemerkenswert sind die Ergebnisse einer kürzlich publizierten Studie, der zufolge die Umstellung auf eine mediterrane Ernährung bei Refluxbeschwerden genauso wirksam ist wie eine medikamentöse Therapie. Teilnehmer waren Patienten mit Laryngitis gastrica, bei ihnen floss Magensäure bis in den Rachenraum zurück. Die betroffenen Patienten litten, abgesehen von Sodbrennen, unter Heiserkeit, Hustenreiz und Schluckbeschwerden.
In der am New York Medical College durchgeführten Studie stellte sich heraus, dass sich die Symptome durch eine Ernährung nach Vorbild der Mittelmeerküche mit viel frischem Obst und Gemüse, Fisch und hochwertigen pflanzlichen Ölen mindestens ebenso gut lindern lassen wie durch eine medikamentöse Therapie. In der Regel werden in dieser Indikation PPI eingesetzt. Die Ergebnisse der Studie, die in weiteren Studien überprüft werden müssen, stützen die Sichtweise, dass es keineswegs notwendig ist, immer gleich die schärfsten Geschütze aufzufahren. /