PTA-Forum online
Hochsensibilität

Fluch oder Segen?

08.02.2016  10:38 Uhr

Von Manuela Kupfer / Manche Menschen nehmen Dinge wahr, die für andere nicht existieren; sie fühlen, was andere nicht empfinden; hören Stimmen und Geräusche, die andere nicht hören können. Sie gelten als hochsensibel.

Hochsensibilität ist keine Erkrankung, sondern eine besondere Art der Reizverarbeitung. Dennoch leiden viele Betroffene unter ihrem Anderssein. Und ihre Umwelt betrachtet sie oft als komisch, nicht belastbar oder sogar verrückt.

Besonders Orte mit vielen Menschen empfinden Hochsensible schnell als unerträglich: zu laut, zu voll, zu nervig. Eindrücke aus ihrer Umwelt – Geräusche, Farben, Gerüche, Berührungen, Emotionen – nehmen sie intensiver wahr, in bestimmten Situationen reagieren sie stärker als andere. Betroffene haben das Gefühl, wie ein Schwamm alles aufzunehmen, ohne filtern zu können, oder als würden sie zehn Radiosender gleichzeitig hören, was ein ständiges Rauschen im Kopf verursacht. Ihre Antennen sind pausenlos auf Empfang gestellt. Ein Leben ohne Filter führt zur Reizüberflutung, das empfinden Hochsensible als Dauerstress.

Annähernd jeder Fünfte

Erst seit wenigen Jahren haben Autoren in der Fachliteratur das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität erwähnt – bis dahin waren besonders feinfühlige Menschen häufig Vorurteilen ausgesetzt: Ihre Wahrnehmungen seien pure Einbildung, bestenfalls wurden sie als zart besaitet, teilweise aber auch als schizophren oder verrückt eingestuft.

1997 prägte die US-amerikanische Psychologin Dr. Elaine Aron, Pionierin auf diesem Forschungsgebiet und selbst hochsensibel, die Begriffe »Sensory Processing Sensitivity« (SPS) und »Highly Sensitive Person« (HSP). Ihre Untersuchungen, die sie oft gemeinsam mit ihrem Mann Arthur durchführt, gelten als Grundsteine für die Forschung auf dem Gebiet der SPS. Aron geht davon aus, dass das Nervensystem von 15 bis 20 Prozent der Menschen sie empfindlicher für innere und äußere Reize macht. Dabei handelt es sich aber weder um eine Krankheit, noch um eine Störung, sondern um eine spezielle Konstitution des reizverarbeitenden Systems mit einer gene­tischen Grundlage.

Erste Erkenntnisse zur genetischen Ursache der Hochsensibilität gibt es seit 2011. Bei Erbgutanalysen fanden Forscher zehn Gen-Orte auf sieben Genen des Dopamin-Systems sowie ein Serotonin-Transporter-Gen, die mit SPS in Verbindung stehen. Ebenfalls im Jahr 2011 wiesen sie neurologische Besonderheiten bei HSP nach. Studenten mussten aus mehreren Landschaftsbildern diejenigen herausfinden, die unterschiedlich starke Veränderungen erfahren hatten.

Die Hirnaktivität der Probanden wurde dabei mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie aufgezeichnet. Im Vergleich zu durchschnittlich sensiblen waren bei hochsensiblen Menschen Netzwerke aktiv, die mit visueller Aufmerksamkeit und Augenbewegungen in Verbindung stehen. Sie brauchten länger, um die Unterschiede in den Bildern zu entdecken, waren aber nicht weniger treff­sicher. Vermutlich achten Hochsensible stärker auf Details und brauchen für die Reizverarbeitung mehr Zeit.

In Deutschland laufen einige Studien unter Federführung der Psychologin Sandra Konrad an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. So untersuchen die Wissenschaftler beispielsweise die Gehirne hochsensibler Menschen mittels Kernspintomographie. Dabei zeigte sich, dass bei ihnen die Zentren für die visuelle Verarbeitung stärker aktiviert sind. Wahrscheinlich lässt sich HSP bereits anhand ihrer Augenbewegungen bei der Betrachtung von Testbildern erkennen. Die Forscher fanden also Unterschiede bei der Aufnahme sowie bei der Verarbeitung sensorischer Reize.

Permanente Reizüberflutung

Zwar steht das HSP-Konzept noch am Anfang seiner wissenschaftlichen Anerkennung und es fehlt eine eindeutige Definition. Doch es mehren sich die Hinweise, dass die höhere sensorische Verarbeitungssensitivität ein Persönlichkeitsmerkmal ist, das die Betroffenen offener für ganz unterschiedliche Reize macht.

Die neurologischen Besonderheiten führen dazu, dass bei ihnen weitaus mehr Informationen aus der Umwelt ungefiltert ins Gehirn gelangen als bei anderen Menschen. Folglich sind bei ihnen die Grenzen der Aufnahmefähigkeit schneller erreicht und die Speicher voll. Das Ergebnis sind Überreizung und Erschöpfung. Viele leiden unter ihrer Überempfindlichkeit und fühlen sich irgendwie als Sonderlinge. In manchen Fällen entwickeln sich aber auch Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen. Diese können wiederum die Hochsensibilität verstärken.

Stressmanagement

Da Lärm, Hektik, starke Emotionen und die Stimmungen der Mitmenschen sie täglich intensiv herausfordern, sollten Hochsensible früh lernen, ihre Gefühle einzuordnen und sich innerlich von der Umwelt abzugrenzen. Oftmals müssen sie ihren Tagesplan abspecken und Ruhepausen einplanen. Betroffene müssen die Möglichkeit haben, sich zurückzuziehen, zum Beispiel in einem abgedunkelten Raum, um der Reizüberflutung entfliehen zu können. Außerdem sollten sie möglichst Situationen meiden, die voraussichtlich zur Überstimulation führen. Auch auf die Gefahr hin, dann als Sonderling zu gelten.

Die meisten Menschen sind erleichtert, wenn sie von ihrer besonderen Veranlagung erfahren, etwa durch das Ergebnis eines der online verfügbaren Tests. Häufig stellt sich ein Aha-Effekt ein, manche bezeichnen dies sogar als Offenbarung. Sie verstehen ihr Anderssein nun besser und können ihren Alltag umstrukturieren. Wohin man seine Aufmerksamkeit lenkt, welche Reize man zulässt und welche man ausblendet, lässt sich trainieren, erfordert aber auch einige Übung.

Feinfühligkeit als Gabe

Die meisten Hochsensiblen empfinden ihre Veranlagung als etwas Besonderes, manche bezeichnen sie als Wahrnehmungsbegabung. Denn sie besitzen so feine Antennen, dass sie Dinge bemerken, die anderen verborgen bleiben. Sie fühlen selbst die Empfindungen ihrer Mitmenschen und spüren ganz schnell, wenn etwas beim Gegenüber nicht in Ordnung ist. Außerdem sind sie als gute Zuhörer bekannt. Das kann in sozialen und therapeutischen Berufen, aber auch in der Personalführung sehr hilfreich sein.

Ähnliches gilt für eine extrem empfindliche Nase in der Parfum-Branche oder für sehr feine Ohren im Berufsfeld der Tontechnik. Aufgrund ihrer oftmals künstlerischen Begabung sind Hochsensible häufig in kreativen Berufen zu finden. Wer also gelernt hat, mit seinen besonderen Fähigkeiten umzugehen, für den ergeben sich Möglichkeiten, die besondere Wachheit als Vorteil zu nutzen.

Besondere Persönlichkeit

Das Persönlichkeitsmerkmal der Hochsensibilität zeigt sich in der Regel bereits im Kindesalter. Solche Kinder sind fremden Menschen und neuartigen Situationen gegenüber weniger aufgeschlossen und reagieren insgesamt eher abwartend. Interessiert sie hin­gegen ein Thema, sind sie überaus wissbegierig und können sich gut konzentrieren. Da sie sich meist gut alleine beschäftigen können, werden sie häufig als Träumer oder Spätentwickler eingestuft.

Die Hamburger Psychologin Konrad erarbeitet die Validierung einer deutschsprachigen Fassung der HSP-Skala, die Aron entwickelte. Dieser liegt ein dreifaktorielles Modell der Hochsensibilität zugrunde – mit den Faktoren leichte Erregbarkeit, ästhetische Sensibilität und niedrige sensorische Reizschwelle.

Einige Wesenszüge hochsensibler Menschen sind im Kasten aufgelistet und in potenzielle Stärken und Schwächen aufgeteilt. Insgesamt ist die Gruppe jedoch recht heterogen, die Ausprägungen variieren stark. Nicht jeder Aspekt trifft auch auf jede HSP zu, Männer sind wahrscheinlich gleichermaßen betroffen wie Frauen. /

Stärken und Schwächen bei Hypersensibilität

Eigenschaften, die oft als Stärken betrachtet werden:

  • außergewöhnliche Empathie
  • detailgenaues Arbeiten
  • ganzheitliches, vernetztes Denken
  • Kreativität/künstlerische Begabung
  • Gewissenhaftigkeit
  • ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
  • schnelles Erfassen der Stimmungen der Mitmenschen


Eigenschaften, die häufig als Schwächen betrachtet werden:

  • schnelles Zurückziehen
  • scheinbar geringere Belastbarkeit
  • geringe Stressresistenz
  • schnelle Erschöpfung
  • leichtes Erschrecken
  • Ablehnung von Veränderungen
  • schnelle Überreizung durch äußere Einflüsse wie Licht, Geräusche, Gerüche, Temperatur, Menschenmengen
  • höhere Empfindlichkeit gegenüber Medikamenten und Coffein, Allergieneigung
  • hohe Beeinflussbarkeit durch die Stimmung anderer
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.