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Hereditäres Angioödem

So früh wie möglich spritzen

27.04.2010  20:53 Uhr

Hereditäres Angioödem

So früh wie möglich spritzen

von Elke Wolf, Frankfurt am Main

Es ist das Dilemma dieser Krankheit, dass man die massiven Schwellungen im Gesicht oder an den Extre­mitäten meist als allergische Reaktion missdeutet. Dabei versteckt sich hinter den Symptomen etwas völlig anderes: das Hereditäre ­Angioödem.

»Selbst Ärzte im Notarztwagen kennen diese Erkrankung oft nicht!«, informierte Privatdozent Dr. Wolfhart Kreuz, Leiter der Gerinnungs- und Immundefektambulanz der Universitätskinderklinik Frankfurt am Main, auf einer Pressekonferenz. Das Hereditäre Angioödem (HAE) werde erschreckend häufig mit allergischen Reaktionen verwechselt, spreche aber weder auf Antihistaminika, Corticoide noch Adrenalin an.

Dabei seien drei Unterschiede zu einer Allergie oder zu einer Unverträglichkeit offensichtlich, so Kreuz. »Diese Schwellungen entwickeln sich langsamer als allergische Ödeme, und sie sind farblos bis weiß. Außerdem schmerzen sie zwar, jucken aber nicht, was eigentlich die Fehldiagnose als Urtikaria ausschließen müsste.« Die Schwellungen kündigen sich oft durch ein Prickeln auf der Haut oder einen Spannungsreiz an. Innerhalb einiger Stunden entwickelt sich dort ein Ödem. Weiteres Indiz für eine Attacke: Bei manchen bilden sich ein bis zwei Tage vor der Schwellung girlandenförmige rötliche Hautekzeme. Sind die Schwellungen erst einmal da, halten sie sich zwischen drei bis fünf Tage, manchmal auch eine ganze Woche. Wie häufig es zu einer Attacke kommt, ist individuell unterschiedlich. Ein Drittel der Patienten muss mindestens einmal im Monat damit rechnen, einige Betroffene sogar zwei- bis dreimal in der Woche.

Ungehemmte Schwellung

Grund für diese massiven wiederkehrenden Ödeme ist nicht die überbordende Histaminausschüttung wie bei einer allergischen Reaktion, sondern ein Defekt im Komplementsystem. Dieses besteht aus Plasmaproteinen, die sich üblicherweise an Oberflächen von Krankheitserregern heften, damit Zellen des Immunsystems die Erreger finden und zerstören können. Bei HAE-Patienten ist dieses Komplementsystem in seiner Funktion beeinträchtigt. Grund ist ein seltener und schwerwiegender Gendefekt, der autosomal dominant vererbt wird. An HAE Erkrankten mangelt es an einem speziellen Protein, dem C1-Esterase-Inhibitor. In der Folge laufen das Komplement- und auch das Kallikrein-Kinin-System ungebremst auf Hochtouren; das Gewebshormon Bradykinin wird im Übermaß gebildet. Es verändert die Durchlässigkeit der Gefäße und sorgt für die lokalen Ödeme.

Doch nicht nur Gesicht und Extremitäten können anschwellen. Auch die Atemwege und der Gastro-Intestinal-Trakt reagieren auf die extrem hohen Bradykininkonzentrationen. Ödeme in den Atemwegen können lebensbedrohlich sein. Studien aus Frankfurt und Mainz haben gezeigt, dass bei rund der Hälfte aller HAE-Patienten im Laufe ihrer Krankheit der Kehlkopfbereich anschwillt. Vor allem diese Larynxödeme bedingen die hohe Sterblichkeit von HAE-Patienten (30 bis 50 Prozent), wenn die Krankheit nicht diagnostiziert und deshalb falsch therapiert wurde. Aber auch die Schwellungen der Schleimhaut im Magen-Darm-Trakt belasten die Patienten. Bei Kindern beginne die Erkrankung oft mit unspezifischen Bauchschmerzen, deren Ursache dann aber nicht diagnostiziert wird, informierte der Mediziner. Erbrechen, Durchfall, kolikartige Krämpfe durch Flüssigkeit im freien Bauchraum täuschten nicht selten eine Blinddarmentzündung oder einen Darmverschluss vor. »Bis zum Erwachsenenalter nimmt die Stärke der Attacken zu«, berichtete Kreuz.

Die HAE-Vereinigung e.V.

Der Verein wurde im Oktober 1997 mit zunächst 21 Mitgliedern gegründet. Zurzeit gehören der Selbsthilfegruppe bereits 330 Mitglieder an, zu weiteren 340 betroffenen Familien besteht brieflicher und telefonischer Kontakt. Der Verein stellt das Krankheitsbild ausführlich im Internet vor unter www.angiooedem.de  und versendet Informationsmaterialen. Dort erhalten Betroffene zum Beispiel einen Kalender, in dem sie die Attacken und auslösende Faktoren notieren können, und einen Notfallausweis mit Passbild im Scheckkartenformat. Ärzte können dort eine Notfall-Therapieempfehlung anfordern.

HAE-Kompetenz in Frankfurt

Unter Kreuz Führung hat sich die Ambulanz für Blutgerinnungsstörungen und Immundefekte der Universität Frankfurt am Main zur weltweit größten Anlaufstelle für HAE-Patienten entwickelt. Kreuz und sein Team betreuen inzwischen rund 550 Patienten aus dem In- und Ausland. Mit circa 1600 Betroffenen in Deutschland gehört HAE zu den seltenen Erkrankungen. Laut Kreuz gibt es jedoch eine Dunkelziffer, die etwa dreimal so hoch liegen dürfte.

Standardtherapie bei akuten Attacken ist sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen die Substitution des fehlenden Proteins durch C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat (Berinert® P). Das Konzentrat wird intravenös gegeben. Es normalisiert die Gefäßpermeabilität, und bereits 30 Minuten nach der Injektion geht die Schwellung zurück. Es wirkt zuverlässig und wird gut vertragen. Je früher das Plasmaprotein im akuten Fall verabreicht wird, desto effektiver lässt sich die Schwellung abmildern.

Kreuz ist es zu verdanken, dass die meisten Betroffenen ein nahezu normales Leben führen können, ohne dauernde Fehltage am Arbeitsplatz, ohne Tage voller Scham in den eigenen vier Wänden und mit normalen Urlauben und sportlichen Aktivitäten. Das Team der Ambulanz schult die Patienten so, dass sie sich selbst zu Hause behandeln können. Die Betroffenen lernen, wie sie sich das Präparat intravenös verabreichen müssen und wann welche Dosis erforderlich ist. Was vor einem Vierteljahrhundert mit einzelnen Patienten begann, hat inzwischen Schule gemacht. 

Wenn eine Operation oder ein Besuch beim Zahnarzt ansteht, wird in Frankfurt als Kurzzeitprophylaxe vorsorglich substituiert. Es ist bekannt, dass Stress, Infektionen, Traumata, zahnärztliche Eingriffe oder kleine Routineoperationen wie die Entfernung der Mandeln als Trigger wirken und oft zu Schwellungen im Bereich des Kehlkopfes führen. Bei Frauen lösen vermutlich auch das Auf und Ab der Hormone innerhalb des Zyklus oder die Einnahme oraler Kontrazeptiva eine Attacke aus.

Seit rund eineinhalb Jahren ist der Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonist Icatibant (Firazyr®) als Alternative zum C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat auf dem Markt. In Frankfurt versucht man, die Therapie zu individualisieren und das jeweils geeignete Präparat für den einzelnen Patienten auszuwählen. So hat zwar Icatibant den Vorteil, dass es subkutan verabreicht werden kann. Für Kinder und Schwangere ist es derzeit nicht zugelassen.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
pr-ewolf(at)t-online.de

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