Vorsicht bei Schnäppchen |
26.03.2012 15:47 Uhr |
Von Verena Arzbach, Frankfurt am Main / In Ferienstimmung nimmt mancher Urlauber vermeintlich günstige Medikamente als »Souvenir« mit nach Hause. Auch wer im Internet kauft, läuft Gefahr, statt des gewünschten Arzneimittels eine billige, gefälschte Kopie zu erhalten.
Wie sich jeder Einzelne vor Nachahmerprodukten schützen kann, erläuterte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main, in einem Vortrag auf der diesjährigen Interpharm.
Als Arzneimittelfälschung definiert die Weltgesundheitsorganisation WHO alle Medikamente mit vorsätzlich falschen Angaben bezüglich ihrer Identität (Zusammensetzung, Gehalt), Herkunft und/oder ihres Vertriebsweges. Diese Formulierung macht deutlich, dass die Fälschung immer mit betrügerischer Absicht erfolgt. Gerade in Entwicklungsländern kommen Fälschungen sehr häufig vor: Laut Schätzungen sind beispielsweise in Afrika 50 bis 60 Prozent aller Arzneimittel gefälscht.
Schwarzmarkt Internet
Weltweit werden mehr als 50 Prozent aller Fälschungen über das Internet vertrieben. Aber warum kaufen immer mehr Patienten Arzneimittel über das Internet und eröffnen den Fälschern damit diesen riesigen Markt? Aus Schamgefühl und dem Wunsch nach Anonymität, zum Beispiel beim Kauf von Mitteln gegen Erektionsstörungen, bestellen die Kunden oft in Internet-Shops. Aber auch die weitverbreitete Schnäppchenmentalität, spiele dabei eine Rolle, so der Referent. Da die Arzneimittelqualität in Deutschland sehr hoch ist, vertrauen viele Verbraucher blind auf eine generelle Sicherheit des Arzneimittelmarktes. Außerdem sei die Unterscheidung seriöser von unseriösen Anbietern im Internet oft schwierig, sowohl für geübte Internet-Nutzer, vor allem aber für ältere, im Umgang mit dem Medium unerfahrene Patienten .
Schubert-Zsilavecz forderte daher, Arzneimittel möglichst ausschließlich in der Apotheke vor Ort zu kaufen. Wer Medikamente über das Internet beziehen möchte, sollte unbedingt auf die Sicherheit des Anbieters achten. Als Zeichen für deren Seriösität nannte der Referent beispielsweise die Einforderung eines Rezepts bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die Angabe eines Impressums und einer Telefonnummer für eventuelle Nachfragen.
Der Weg über Großhandel und Apotheke oder den legalen Versandhandel sei in Deutschland insgesamt sehr sicher. Nur sehr selten tauchen vereinzelt gefälschte Arzneimittel über diese legale Verteilerkette auf. Im Jahr 2009 stellten Behörden beispielsweise gefälschte HIV-Präparate (Combivir®, Epivir® und Trizivir®) sicher. Die Ware enthielt zwar den Originalwirkstoff, vermutlich handelte es sich aber um illegal reimportierte Ware aus Afrika.
Lifestyle-Präparate beliebt
Der wissenschaftliche Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL) berichtete, eine Untersuchung des ZL habe gezeigt, dass sechs von zehn bei »dubiosen« Internet-Apotheken bestellte Viagra®-Präparate zwar den Wirkstoff Sildenafil enthielten, allerdings nur 50 bis 60 Prozent der deklarierten Menge. Nimmt ein Patient ein solches falsch deklariertes Arzneimittel zum ersten Mal ein, könnte er die einsetzende Wirkung als zu gering empfinden und daher die Dosis vermutlich auf zwei Tabletten erhöhen. Das Risiko einer starken Überdosierung ergibt sich für den Mann erst dann, wenn er bei seinem nächsten Kauf das Originalpräparat erhält und wieder zwei Tabletten nimmt.
Aber nicht nur Präparate gegen erektile Dysfunktion oder genetisch bedingten Haarausfall bei Männern sind beliebte Fälschungsobjekte. Es gibt keine Wirkstoffklasse, die nicht betroffen ist, denn Arzneimittelfälschungen sind lukrativ, informierte Schubert-Zsilavecz. So bringt ein Kilogramm gefälschtes Viagra® auf dem Schwarzmarkt circa 90 000 Euro ein, dieselbe Menge Heroin hingegen nur rund 50 000 Euro. Auch die zunehmende Globalisierung des Arzneimittelmarktes erschwert die Arbeit der Überwachungsbehörden, den Weg eines Arzneimittels zurückzuverfolgen: Viele Rohstoffe werden in China oder Indien produziert und später in den USA weiterverarbeitet.
Schubert-Zsilavecz forderte daher ein weltweit einheitliches System zur Verfolgung und Vermeidung von Fälschungen. Mit ihrem Aktionsprogramm IMPACT (= International Medical Products Anti-Counterfeiting Taskforce) kämpft die WHO schon gemeinsam mit internationalen Organisationen, Behörden und pharmazeutischen Unternehmern gegen Medikamentenfälschungen. Unter anderem werden durch ein Alarmsystem zeitnah nationale Behörden über die Entdeckung von Fälschungen informiert.
In Deutschland wurden im Jahr 2009 mit der 15. Novelle des Arzneimittelgesetzes Medikamentenfälschungen weiter erschwert. Viele pharmazeutische Unternehmer kennzeichnen ihre Packungen bereits mit Sicherheitsmerkmalen wie Hologrammen. Auch 2D-Datenmatrixsysteme (quadratische oder rechteckige Flächen als Muster mit Punkten) kommen immer häufiger zum Einsatz.
Die US-amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA empfiehlt die Radiofrequenz-Identifizierung (RFID) zur Verfolgung und Identifizierung von Arzneimitteln. Dabei können die Hersteller Informationen, beispielsweise zum Vertriebsweg, auf einem Mikrochip speichern und diesen auf dem Arzneimittel anbringen. Sämtliche gespeicherte Informationen können dann auch in der Apotheke per Radiowellen durch ein RFID-Lesegerät abgerufen werden. Trotz all dieser Maßnahmen sieht Schubert-Zsilavecz ein Problem: Auch wenn die legale Verteilerkette in Zukunft noch sicherer werde, sei der illegale Internethandel damit jedoch weiterhin kaum zu kontrollieren.
Die Verantwortung von PTA oder Apotheker im Kampf gegen Arzneimittelfälschungen sieht Schubert-Zsilavecz darin, das Bewusstsein der Patienten zu schärfen, indem sie diese über die Risiken gefälschter Arzneimittel aufklären. Gerade in Urlaubslaune auf Fernreisen ist schnell ein vermeintliches Schnäppchen erworben.
Zur Routinearbeit in der Apotheke gehöre die tägliche Prüfung von Fertigarzneimitteln laut Leitlinie der Bundesapothekerkammer, betonte der Referent. So mache sich auch die PTA am besten mit der Qualität der Originalarzneimittel vertraut und könne Fälschungen leichter erkennen. /
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