Pause mit Gewinn |
09.02.2015 11:45 Uhr |
Von Ulrike Becker / Nach allerlei Naschereien und üppigem Essen während der Wintermonate wächst im Frühjahr der Wunsch nach Leichtigkeit. Beim Fasten verzichten Menschen ein paar Tage komplett auf Nahrung. Wenn sie einige Regeln beachten, können sowohl Gesunde als auch Kranke von der vorübergehenden Esspause profitieren.
Jedes Jahr fasten schätzungsweise zwei bis drei Millionen Menschen. Vor allem im Frühjahr hat Fasten Hochkonjunktur, nicht zuletzt als religiös motivierte Tradition wie die christliche Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern. Die positiven Wirkungen des Fastens auf den Körper sind schon lange bekannt. Hippokrates empfahl: »Wer stark, gesund und jung bleiben will, sei mäßig, übe den Körper, atme reine Luft und heile sein Weh eher durch Fasten als durch Medikamente.« In Schriften von Hildegard von Bingen findet man ebenso die Empfehlung zum Fasten wie bei dem berühmten Naturarzt Sebastian Kneipp.
Fasten ist nicht gleich Fasten
Ist vom Fasten die Rede, muss zwischen unterschiedlichen Methoden sowie Fasten für Gesunde und therapeutischem Fasten unterschieden werden. Am populärsten ist das Heilfasten nach der Buchinger-Methode, das auch die Ärztegesellschaft für Heilfasten und Ernährung (ÄGHE) propagiert und das inzwischen gut untersucht ist. Bekannt geworden ist das Buchinger-Fasten durch den Arzt Dr. Hellmut Lützner, dessen Fastenbücher seit vielen Jahren Menschen durch das fünf- bis siebentägige Kurzzeitfasten für Gesunde begleiten. Zu den bekannten Fasten-Methoden zählen auch das F.-X.-Mayr-Fasten, das Molkefasten, die Schrothkur oder das Basenfasten (siehe Kasten).
Gemeinsam ist den verschiedenen Fastenarten, dass eine begrenzte Zeit freiwillig auf feste Nahrung und Genussmittel wie Coffein, Alkohol und Nicotin verzichtet wird. Fasten ist jedoch keine Nulldiät. Mindestens 2,5 Liter Wasser und Tee am Tag sowie je nach Fastenart auch kleinere Mengen Saft, Gemüsebrühe oder Molke sorgen für eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Die geringe Energiezufuhr von etwa 250 bis 500 Kilokalorien pro Tag reduziert den körpereigenen Proteinabbau zu Beginn des Fastens und führt dem Körper Vitamine und Mineralstoffe zu. Eine gründliche Darmreinigung mit Abführsalzen und/oder Einläufen sorgt dafür, dass Stoffwechselendprodukte ausgeschieden und der Verdauungstrakt praktisch lahmgelegt wird. Außerdem wird so verhindert, dass störende Hungergefühle aufkommen.
Buchinger-Fasten: Das von der Ärztegesellschaft für Heilfasten und Ernährung propagierte Heilfasten geht auf den deutschen Internisten Dr. Otto Buchinger (1878–1966) zurück. Neben reichlich Wasser und Tee gibt es täglich circa 250 Kilokalorien über Obst- oder Gemüsesäfte, frisch zubereitete Gemüsebrühe und Tee mit Honig.
F.-X.-Mayr-Fasten: Der österreichische Arzt Dr. Franz Xaver Mayr (1875–1965) empfahl zur Regeneration des Darms eine Milch-Semmel-Kur, bei der es intensiv gekaute, altbackene Weißmehlbrötchen mit frischer Milch gab. So sollte unter anderem das Kauen trainiert werden. Die internationale Gesellschaft der Mayr-Ärzte lehrt die besondere Diagnostik und Therapie des Dr. Mayr.
Schroth-Fasten: An Tieren beobachtete der Bauer Johann Schroth (1789–1856), dass sie im Krankheitsfall die Nahrungszufuhr einschränken oder verweigern. Kranken Menschen riet er zu tierisch-eiweißfreien, leicht verdaulichen Speisen wie Zwieback, trockenen Brötchen oder Getreidebrei und einem Wechsel zwischen Trocken- und Trinktagen. Heute wird die Schrothkur deutlich abgewandelt durchgeführt; charakteristisch sind spezielle feuchte Wickel.
Molke-Fasten: Die Flüssigkeitsversorgung wird hier mit frischer Molke oder Diät-Kurmolke ergänzt. Diese ist mit Molkeprotein und Milchzucker angereichert, um die Versorgung mit Proteinen und Mineralstoffen sicherzustellen.
Basenfasten: Die Heilpraktikerin Sabine Wacker propagiert zusammen mit ihrem Mann Dr. Andreas Wacker einen zeitlich begrenzten Verzicht auf tierisches Protein und Getreide und setzt ausschließlich auf basische Lebensmittel wie Gemüse, Kartoffeln und Obst, teilweise ergänzt mit Nüssen und pflanzlichen Ölen. Da hier Lebensmittel gegessen werden, gilt es nicht als Fasten im eigentlichen Sinne.
Langsam wieder an Nahrung gewöhnen
Bewegung und Entspannung runden die meisten Fastenprogramme ab und tragen viel zum Fastenerfolg bei. Als besonders wichtig erachten Experten auch das Fastenbrechen, den Übergang zurück zu fester Nahrung. Der Magen-Darm-Trakt, der einige Tage bis Wochen kaum gearbeitet hat, muss sich langsam wieder an Essen gewöhnen, damit es nicht zu Verdauungsbeschwerden kommt. Zum anderen sollte dabei die Chance genutzt werden, nicht gleich wieder in alte Essmuster zu verfallen. Denn direkt nach dem Fasten erlebt man Hunger und Sättigung besonders intensiv. Deswegen gehören zu den meisten Fastenmethoden auch Aufbautage mit moderaten Nahrungsmengen.
Flexibler Stoffwechsel
Für unsere Vorfahren war es überlebenswichtig, eine Zeit lang ohne Essen auszukommen. Der menschliche Stoffwechsel hat daher gelernt, flexibel auf das Nahrungsangebot zu reagieren und bei fehlendem Nachschub auf eine Ernährung »von innen« umzustellen. Nach etwa zwölf Stunden ohne Nahrung fängt der Körper an, Energie aus seinen eigenen Depots – vor allem den Fettreserven – zu mobilisieren. Blutzucker- und Insulinspiegel sinken durch die fehlende Kohlenhydratzufuhr, während der Blutspiegel des hormonellen Gegenspielers Glucagon ansteigt. Die Hormonkonstellation gibt dem Körper das Signal, vermehrt Fett aus dem Fettgewebe freizusetzen. Die Fettsäuren dienen nun zur Energiegewinnung, zunächst vor allem in der Muskulatur.
Das Hormon Glucagon fördert die Freisetzung von Glucose, die in Form von Glykogen in Leber und Muskulatur gespeichert vorliegt. Die Glykogenvorräte sind allerdings begrenzt und schnell aufgebraucht. Da das Gehirn auf Glucose als Energiequelle angewiesen ist, kommt es gleichzeitig zur Neubildung von Glucose in der sogenannten Gluconeogenese. Als Bausteine dienen Aminosäuren aus Proteinen sowie unter anderem Glycerin, das neben den Fettsäuren Bestandteil jedes Fettmoleküls ist.
Der Körper passt sich noch weiter an: Er baut während des Fastens aus den freigesetzten Fettsäuren sogenannte Ketonkörper auf. Sie können noch leichter als Fettsäuren von den Muskeln als Energiequelle genutzt werden. Ketonkörper haben zudem den angenehmen Nebeneffekt, das Hungergefühl zu unterdrücken. Aceton ist solch ein Ketonkörper, der abgeatmet wird und für den typischen Mundgeruch beim Fasten verantwortlich ist. Da der Körper sich auf die vermeintliche Notsituation einstellt, lernt auch das Gehirn nach einer Weile, Ketonkörper als Energiequelle zu nutzen. Das gilt ebenso für die anderen glucoseabhängigen Gewebe Nerven, Erythrozyten und Nierenmark. Dadurch sinkt der Glucosebedarf, und es müssen weniger Proteine für die Gluconeogenese herangezogen werden. Dieser Proteinsparmechanismus ermöglicht es dem Organismus, eine relativ lange Zeit ohne Nahrung zu überleben, ohne dass innere Strukturen Schaden nehmen.
Muskelabbau durch Fasten?
Der anfängliche Proteinabbau für die Glucoseneubildung führt immer wieder zu kontroversen Diskussionen. Weil dabei Muskelproteine abgebaut würden, möglicherweise auch am Herzmuskel, halten Kritiker Fasten für schädlich. Fastenexperten gehen jedoch davon aus, dass ein geringer Proteinabbau während des Fastens gesunden Menschen nicht schadet, zumal die meisten über ausreichende Reserven verfügen. Die Ärztegesellschaft für Heilfasten betont zudem, dass der fastende Körper als Hauptbrennstoff etwa ab dem dritten Tag eingelagertes Fett nutze und nicht das Protein aus der Muskulatur heranziehe. Eine Studie der Charité in Berlin hat dagegen gezeigt, dass 28-tägiges Fasten bei gleichzeitigem Ausdauertraining sogar zu einem Zuwachs an Muskelkraft führte und sich die Leistungsfähigkeit der Probanden verbesserte.
Fasten für Gesunde dient vor allem der Besinnung auf eine gesunde Ernährung und der Prävention von Übergewicht. Das therapeutische Fasten hat sich dagegen bei zahlreichen Erkrankungen bewährt. Verschiedene Kliniken bieten Fasten unter anderem für Menschen mit metabolischem Syndrom, Rheuma, Arthrose oder Burn-out an. Als optimal erachten Fastenärzte eine Dauer von zwei bis vier Wochen. Parallel führen die Patienten in den Fastenkliniken ein umfangreiches Bewegungs- und Gesundheitstraining durch. Starkes Übergewicht mit Begleiterscheinungen wie Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck ist der Hauptgrund für therapeutisch begleitetes Fasten. Aufgrund der extrem geringen Energiezufuhr stellt sich schnell ein Erfolgserlebnis auf der Waage ein. Gleichzeitig verbessern sich rasch zahlreiche Stoffwechselparameter, beispielsweise erhöhte Blutfett- und Blutdruckwerte, wie klinische Studien belegen. Fasten kombiniert mit körperlicher Bewegung reduziert zudem nachweislich die Insulinresistenz, ein wichtiger Risikofaktor für Typ-2-Diabetes.
Positive Erfahrungsberichte gibt es zudem bei Heuschnupfen, Migräne und Rheuma. Untersuchungen zeigen, dass Rheumapatienten während und nach dem Fasten weniger Schmerzen in den Gelenken spüren und sich die Entzündungsparameter im Blut verringern. Positive Effekte einer 15-tägigen Fastenkur von Arthrose-Patienten konnte unter anderem eine Studie an der Universität Jena dokumentieren. Die Schmerzen der Betroffenen waren auch nach drei Monaten noch geringer als zuvor.
Fasten kann auch bei zahlreichen Hauterkrankungen günstige Effekte zeigen, da sich Symptome wie Juckreiz, Schmerzen oder Entzündungen während der Nahrungspause verringern. Die Entlastung des Magen-Darm-Traktes kann sich auch günstig bei Patienten mit Reizdarmbeschwerden auswirken. Eine japanische Studie konnte nach zehntägigem Fasten unter anderem eine signifikante Verbesserung von Bauchschmerzen und Blähungen nachweisen. Fasten für kranke Menschen gehört aber immer unbedingt in die Hände von erfahrenen Fastenärzten.
Abnehmen und Glücksgefühl
Im Frühjahr fasten viele Menschen, um ein paar überflüssigen Pfunden zu Leibe zu rücken. Zwar purzeln selbst bei nur einer Fastenwoche durchaus ein paar Kilos. Doch wer nach dem Fasten in alte Gewohnheiten zurückfällt, hat die verlorenen Pfunde ebenso schnell wieder auf den Hüften. Wiederholtes Fasten, beispielsweise einmal pro Jahr, wirkt sich dagegen längerfristig positiv auf das Gewicht aus. Denn die Nahrungspause kann gerade für Übergewichtige ein idealer Einstieg sein, ungünstige Essgewohnheiten zu verändern und den Weg zu einer dauerhaften Ernährungsumstellung zu finden.
Durch die Stoffwechselumstellung beim Fasten sinkt auch die Konzentration von Stresshormonen im Blut, die sich im Übermaß ungünstig auf die Zellalterung auswirken. Nicht zuletzt sorgt Fasten auch für Glücksgefühle. Etwa ab dem dritten Fastentag steigt der Serotonin-Spiegel im Gehirn, wodurch sich die Stimmung aufhellt. Bislang stammen solche Beobachtungen allerdings überwiegend aus Tierversuchen. Ernährungspsychologen von der Universität Hohenheim sind aber überzeugt, dass Fasten generell die Psyche belohnt. Selbst wer nur eine Zeitlang auf Schokolade, Alkohol oder Fleisch verzichte, habe ein Erfolgserlebnis und verspüre mehr Selbstbewusstsein.
Erfolgreich fasten
Gesunde Menschen können durchaus in Eigenregie zuhause fasten. Gut bewährt hat sich eine Fastendauer von fünf bis sieben Tagen, mit einem Entlastungstag vorher und anschließenden zwei bis drei Aufbautagen, an denen noch reduziert gegessen wird. Zahlreiche Bücher mit ausführlichen Anleitungen helfen bei der Durchführung. Leichter fällt es den meisten aber, gemeinsam mit Gleichgesinnten an einem Fastenkurs teilzunehmen und sich dazu eine Auszeit vom normalen Alltag zu gönnen. Die fachliche Betreuung sorgt dafür, dass auch Bewegung und Entspannung nicht zu kurz kommen, und sie bietet Hilfe bei Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Bauchzwicken.
Menschen mit chronischen Erkrankungen sollten dagegen nicht auf eigene Faust fasten. Sie wenden sich am besten an eine Fastenklinik. Auch wer Medikamente einnimmt, braucht die Betreuung eines Fastenarztes, da möglicherweise die Dosis der Wirkstoffe angepasst werden muss. Keinesfalls fasten sollten Krebskranke oder Magersüchtige, die über zu geringe Körperreserven verfügen, sowie Menschen mit Schilddrüsenerkrankungen, fortgeschrittener Leber- oder Niereninsuffizienz und Schwangere und Stillende.
Den Nahrungsverzicht erleben die meisten Fastenden als eine bereichernde Erfahrung. Das Erlebnis, ganz ohne Essen auszukommen und sich trotzdem aktiv und fit zu fühlen, erfüllt mit Stolz und stärkt das Vertrauen in den eigenen Körper. Das Hinspüren, welche Bedürfnisse der Organismus während des Nahrungsverzichts signalisiert, weckt eine besondere Empfindsamkeit. Dadurch nimmt manch einer auch psychische Befindlichkeiten verstärkt wahr und ist offen für einen Denkanstoß. /