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Leben mit einem neuen Organ

21.05.2010  16:22 Uhr

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Leben mit einem neuen Organ

von Daniela Biermann

In Deutschland erhalten jährlich mehr als 4000 Menschen ein neues Organ. Um zu verhindern, dass das Immunsystem des Empfängers das Transplantat abstößt, sind die Patienten ein Leben lang auf Medikamente angewiesen. Der Tag der Organspende am
5. Juni rückt das Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Damit eine Organtransplantation gelingt, müssen die Gewebemerkmale von Spender und Empfänger möglichst weitgehend übereinstimmen. Doch außer bei eineiigen Zwillingen ist die Oberflächenstruktur der Zellen von Mensch zu Mensch recht verschieden. Daher bildet der Empfänger immer Antikörper gegen das fremde Spenderorgan, im schlimmsten Fall kommt es zur Abstoßung – das neue Organ stirbt ab. Als in den 1960er-Jahren die Entwicklung immunsupprimierender Medikamente gelang, konnten überhaupt erst Organe erfolgreich verpflanzt werden. Diese Arzneimittel müssen die Patienten allerdings lebenslang einnehmen.

Um die Abstoßung zu unterbinden, blockieren die Medikamente über verschiedene Wege das körpereigene Immunsystem. Das macht wiederum den Empfänger empfindlicher für Krankheitserreger. So erkranken Transplantierte häufig an Infekten wie Erkältungen und Pilzerkrankungen. Ein banaler Infekt kann für sie schwere Folgen haben. Besonders gefährdet sind die Patienten in den ersten Monaten nach der Transplantation. Hier ist die Abstoßungsgefahr besonders groß, daher müssen die Medikamente in dieser Zeit hoch dosiert werden. Weil das Immunsystem normalerweise auch über entartete Zellen wacht, haben Organtransplantierte ebenfalls ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken.

Im Laufe der Behandlung entscheidet der Arzt, ob der Patient einzelne Präparate absetzen oder austauschen kann oder ob eine niedrigere Dosis ausreicht. Für alle Medikamente gilt: Die Dosierung erfolgt individuell. Oft muss dazu der Blutspiegel der Arzneistoffe regelmäßig überwacht werden. Bei allen Medikamenten leiden die Transplantierten in der Regel unter einer Reihe von Nebenwirkungen.

T-Lymphozyten im Visier

Die Organabstoßung vermitteln bestimmte Immunzellen, die T-Zellen oder T-Lymphozyten genannt werden. Der Körper bildet jedoch unzählbare Varianten dieser T-Zellen gegen verschiedene Antigene. Zwar wäre es am besten, mit einem Arzneimittel nur die T-Zellen abzuschalten, die sich gegen die Oberflächenstrukturen des Spenderorgans richten. Ein so spezifischer Eingriff ist allerdings noch nicht möglich. Daher beginnt die Therapie mit einem breiten Angriff auf alle Lymphozyten. Um das Immunsystem nicht ganz schachmatt zu setzen, muss eine Balance zwischen Zerstörung und Nachbildung der Zellen gefunden werden.

Das Wachstum der T-Zellen verhindert das Zytostatikum Azathioprin (wie Imurek®). Es wirkt schnell und unterdrückt auch die Vorstufen der T-Zellen. Ähnlich reagiert der Körper auf Mycophenolsäure (wie CellCept®, Myfortic®). Häufig treten als unerwünschte Wirkungen Übelkeit und Erbrechen sowie allgemeines Unwohlsein auf. Da die Arzneistoffe die Bildung von roten und weißen Blutkörperchen unterdrücken, kommt es zu Leukopenien, einem Mangel an Leukozyten, und einer Blutarmut. Die weitere Liste der Nebenwirkungen ist lang, dazu gehören unter anderem Durchfall, Schmerzen, Harnwegs- und andere Infekte, Bluthochdruck und Blutvergiftung.

Das Wachstum der T-Zellen hängt vom Botenstoff Interleukin-2 (IL-2) ab. Daher kommen ebenfalls Arzneistoffe zum Einsatz, die die IL-2-Synthese hemmen wie Glucocorticoide, Ciclosporin (wie Sandimmun®) und Tacrolimus (wie Prograf®). Corticocoide erhalten die Patienten anfangs in hohen Dosen (0,75 bis 1,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht am Tag Prednisolon-Äquivalente), danach möglichst unterhalb der sogenannten Cushing-Grenze (0,1 bis 0,125 mg/kg Körpergewicht pro Tag). Denn bei einer Langzeittherapie mit hohen Dosen tritt sonst das Cushing-Syndrom auf: Gesicht und Nacken des Patienten sind aufgedunsen, der Stoffwechsel gerät in eine Schieflage ähnlich wie beim Diabetes, Muskelschwäche, Osteoporose und Bluthochdruck treten auf.

Ciclosporin und Tacrolimus wirken relativ spezifisch auf T-Zellen, daher sind Anämien seltener. Leber- und Nierenfunktion können jedoch gestört werden. Bei einer Langzeittherapie können sich Stoffwechselstörungen entwickeln wie Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Adipositas und Typ-2-Diabetes, die mit entsprechenden Medikamenten behandelt werden müssen. Ciclosporin regt zudem das Wachstum der Haare und des Zahnfleisches an. Unter Tacrolimus können neurologische Störungen wie Krämpfe und Psychosen auftreten. Da beide Medikamente die Nieren angreifen, dürfen sie nicht mit anderen nephrotoxischen Arzneistoffen wie Aminoglykosiden kombiniert werden.

Sirolimus (Rapamune®) und Everolimus (Certican®) fehlen Nephro- und Neurotoxizität. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Körper nach wie vor Lymphozyten bildet. Zu den Nebenwirkungen zählen Hypercholesterinämie, Hypertriglyceridämie, Anämie, Thrombozytopenie und Wundheilungsstörungen.

Gezielte Antikörper

Am spezifischsten auf das Immunsystem wirken die Anti-IL2-Rezeptor-Antikörper Basiliximab (Simulect®) und Daclizumab (Zenapax®). Sie blockieren aktive T-Lymphozyten, ohne sie zu zerstören. Doch auch hier ist mit Nebenwirkungen zu rechnen. Da beide Substanzen Anteile aus Maus-Proteinen enthalten, können entsprechende Antikörper die Therapiedauer begrenzen. Um Abstoßungsreaktionen zu verhindern, werden sie meist mit Ciclosporin und Corticoiden kombiniert.

Eine Abstoßungskrise kann mit dem monoklonalen Antikörper Muromonab-CD3 (Orthoclone® OKT3) behandelt werden. Er richtet sich gegen T-Zell-Rezeptoren vom Typ CD3, sodass die T-Zellen absterben. Doch diese Therapie kann zu einem Zytokin-Freisetzungs-Syndrom führen, was sich in grippeähnlichen und neuropsychiatrischen Symptomen bis hin zum lebensgefährlichen Schock äußert.

Infekte vermeiden

Trotz der teilweise schweren Nebenwirkungen ist es wichtig, dass die Patienten ihre Medikamente regelmäßig einnehmen. Zum Schutz vor Infektionen sind außerdem Impfungen in angemessenem Abstand vor der Transplantation sinnvoll. Der Patient sollte möglichst viele der von der STIKO empfohlenen Impfungen erhalten, beispielsweise gegen Tetanus, Diphtherie und Influenza. Nach der Transplantation darf er nur noch mit Totimpfstoffen immunisiert werden. Allerdings sind dann eine höhere Impfdosis oder ein kürzerer Abstand notwendig, da der Körper auf die Totimpfstoffe zum Teil nicht stark genug reagiert. Um den Transplantierten auch vor Erkrankungen zu schützen, gegen die er nicht geimpft werden kann, sollten sich die Personen in seinem Umfeld, vor allem die Kinder, entsprechend impfen lassen.

Nach der Transplantation gelten auch Einschränkungen in der Ernährung. Da einige Immunsuppressiva die Blutfettwerte, den Blutzuckerspiegel und den Blutdruck negativ beeinflussen, sollte der Patient auf sein Gewicht achten. Er darf nicht übergewichtig werden. Wegen der erhöhten Infektionsgefahr ist bei der Essenszubereitung besondere Hygiene erforderlich. Ähnlich wie Schwangere sollten Transplantierte einige Lebensmittel meiden, zum Beispiel rohes Fleisch, rohen Fisch und rohe Eier. Besonders in den ersten Monaten nach der Transplantation sollten sie auf Gemüse- und Obstsorten aus Bodennähe wie Salat und Erdbeeren verzichten, da diesen bei natürlicher Düngung Bakterien anhaften können. Auch Grapefruitsaft ist tabu, da er die Blutspiegel einiger Arzneimittel erniedrigt.

Die meisten Immunsuppressiva treten zudem in Wechselwirkung mit anderen Medikamenten, auch mit Arzneimitteln aus der Selbstmedikation. Zum Beispiel kann Johanniskraut die Dosis von Ciclosporin erniedrigen, sodass eine Abstoßung möglich wird. Daher sollten Organempfänger mit ihrem Arzt sprechen, bevor sie nicht-verschreibungspflichtige Präparate in der Apotheke kaufen. Ein wichtiger Service für Transplantierte ist ein gründlicher Interaktionscheck, sobald sie ein neues Medikament verordnet bekommen.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
biermann(at)govi.de

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