Trockene Augen, trockener Mund |
Als Syndrome bezeichnen Mediziner Krankheitsbilder, bei denen mehrere Symptome gleichzeitig auftreten. Jedes Symptom für sich ist nicht charakteristisch für die Erkrankung, allein die Kombination. Auch das Sjögren-Syndrom zeichnet sich durch verschiedene Krankheitszeichen aus, vor allem trockene Augen, Mundtrockenheit und Gelenkschmerzen. Hinzu kommen Müdigkeit und Konzentrationsschwäche, Schwellungen der Speicheldrüsen, Karies, trockene Haut und Nasenschleimhäute, Hustenreiz sowie Durchblutungsstörungen in Fingern und Zehen.
Benannt ist die Krankheit nach dem schwedischen Augenarzt Henrik Samuel Conrad Sjögren (1899 bis 1986). Dieser beschrieb im Jahr 1933 erstmals in seiner Dissertation, dass einige seiner Patienten unter trockenen Augen litten, gleichzeitig aber auch ihre Mundschleimhaut extrem trocken war und ihre Gelenke schmerzten. Sjögren stellte als erster einen Zusammenhang zwischen diesen Symptomen her.
Weil bei einigen Patienten die rheumatischen Beschwerden fehlen, unterteilten 30 Jahre später Fachleute das Syndrom in eine primäre Form ohne Beteiligung der Gelenke und eine sekundäre Form mit Gelenkbeschwerden.
Das Sjögren-Syndrom wird zu den Kollagenosen gerechnet, einer uneinheitlichen Gruppe von Autoimmunerkrankungen, bei denen vor allem das Bindegewebe in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Körper bildet dabei Antikörper, die dafür sorgen, dass körpereigenes Gewebe zugrunde geht. Beim Sjögren-Syndrom greifen die Antikörper und später Zellen des Immunsystems sezernierende Drüsen an, zum Beispiel Tränen-, Speichel- und Schweißdrüsen, aber auch die Bauchspeicheldrüse sowie Schleim bildende Drüsen im Bronchial- und Magen-Darm-Trakt. Wenn diese Drüsenzellen im Verlauf der Krankheit zerstört werden, bilden sie immer weniger Sekret, und der Patient kämpft mit stetig zunehmenden Problemen.
Auslöser unklar
Leidet ein Patient unter den für das Sjögren-Syndrom typischen Symptomen, ist jedes einzelne leider so unspezifisch, dass viele Ärzte und Betroffene die Beschwerden zunächst als Bagatelle abtun. So vergehen bis zur eindeutigen Diagnose durchschnittlich zehn Jahre.
Nach aktuellen Schätzungen erkranken jedes Jahr etwa vier Erwachsene unter einer Million Menschen am Sjögren-Syndrom. Interessanterweise sind fast ausschließlich Frauen davon betroffen, nur 1 von 20 Patienten ist männlich. Sehr häufig treten die ersten Symptome nach dem 45. Lebensjahr auf. Einige Studien lassen den Rückschluss zu, dass die Wechseljahre den Krankheitsverlauf beeinflussen. Allerdings dokumentierten Wissenschaftler auch Einzelfälle, bei denen die Krankheit nach den Wechseljahren zurückging.
Die genauen Ursachen und Auslöser sind bis heute nicht aufgeklärt. Ärzte beobachten, dass die Krankheit familiär gehäuft auftritt. Daher vermuten sie, dass eine genetische Disposition existiert, das heißt, nicht die Krankheit selbst wird vererbt, sondern die Veranlagung. Darüber hinaus diskutieren Forscher, ob Infektionen, Hormone oder Stress den Ausbruch des Syndroms begünstigen.
Einig sind sich Mediziner nur darin, dass eine bereits bestehende entzündlich-rheumatische Erkrankung ein Risikofaktor für das Syndrom ist. Rund 33 Prozent der Patienten leiden bereits an einer anderen Autoimmunerkrankung und entwickeln ein sekundäres Sjögren-Syndrom.
Tränen versiegen
Damit der Mensch gut sieht, muss stets ein feuchter Tränenfilm die Oberfläche der Augen bedecken. Bei jedem Blinzeln verteilt sich der Film gleichmäßig darüber. Er besteht aus drei aufeinander liegenden Schichten: zuunterst einer Schleimschicht aus Mucin, einer wässrigen Zwischenschicht und einer Lipidphase auf der Augenoberfläche. Produziert wird dieser Tränenfilm von verschiedenen Drüsen. Die wässrige Flüssigkeit wird von den großen Tränendrüsen sezerniert. Die Lipide werden von den Meibom’schen Drüsen an den Lidkanten und der Schleim von den Becherzellen der Bindehaut erzeugt. Die Mucinschicht sorgt dafür, dass die wässrige Schicht besser auf der Bindehaut haftet, während die Lipidschicht ganz außen verhindert, dass der Tränenfilm verdunstet. So hält der Tränenfilm das Auge ausreichend feucht, kann Fremdstoffe ausspülen, Keime abtöten und versorgt die Hornhaut mit Sauerstoff und Nährstoffen.
Verändert sich die Zusammensetzung des Tränenfilms oder wird insgesamt zu wenig gebildet, brennen, kratzen oder jucken die Augen. Patienten mit Sjögren-Syndrom haben das Gefühl, Sandkörner seien ihnen ins Auge geflogen. Außerdem werden sie empfindlicher gegenüber Zugluft und Licht.
Test | Nutzen | Durchführung |
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Saxon-Test | Messung der Speichelproduktion | Der Patient kaut über 2 Minuten einen Gaze-Schwamm. Der Schwamm wird vorher und nachher gewogen, um die Speichelmenge zu bestimmen, die sich im Schwamm gesammelt hat. |
Schirmer-Test | Messung der Tränenproduktion | Der Augenarzt hängt Filterpapierstreifen in die äußeren Augenwinkel des Patienten. Nach 5 Minuten misst er, wie weit die Tränen in das Papier eingezogen sind. |
Lippen-Biopsie | Suche nach Entzündungsanzeichen | Entnahme eines kleinen Gewebestückes aus der Unterlippe und mikroskopische Untersuchung |
Bluttest | ergänzt die Diagnostik | Der Bluttest auf Autoantikörper alleine beweist allerdings nicht das Vorliegen eines Sjögren-Syndroms. |
Paradoxerweise tränen den Patienten manchmal die Augen, weil die Drüsen reflexartig vermehrt Tränenflüssigkeit absondern. Doch da diese Tränen nur den Wasseranteil des Tränenfilms erhöhen, bringen sie keine wirkliche Besserung.
Mit der Zeit schwellen die Lider an oder die Lidränder entzünden sich. Langfristig entwickeln sich chronische Bindehaut- und Hornhautentzündungen. Ohne Behandlung können die Patienten zunehmend schlechter sehen und sogar erblinden.
Künstliche Tränen
Augenärzte verordnen den Betroffenen meist Augentropfen, die auch als künstliche Tränen bezeichnet werden. Nach ihren Inhaltsstoffen lassen sich vier Gruppen unterscheiden: synthetische Polymere, Cellulosederivate, Dexpanthenol und Hyaluronsäure. Synthetische Polymere wie Polyvinylpyrrolidon, Polyacrylat oder Carbomer (wie in Protagent®, Vidisept®) und Cellulosederivate wie Hypromellose (zum Beispiel in Artelac®, Sicca-Stulln®) lindern eher leichte Symptome. Bei stärkeren Beschwerden eignen sich besser Dexpanthenol- oder Hyaluronsäurepräparate (wie in Dispatenol®, Hylo-Comod®, Artelac® Advanced).
Tipps für die Beratung: Die Augentropfen sollen die Patienten alle drei Stunden neu anwenden. In der Regel müssen sie selbst ausprobieren, welches Präparat ihnen am besten hilft. Daher kann es sinnvoll sein, nach einigen Wochen oder Monaten das Präparat zu wechseln.
Sind die Speicheldrüsen mitbetroffen, verordnen Ärzte auch Pilocarpin-Filmtabletten (Salagen®). Dieser Arzneistoff stimuliert über bestimmte Rezeptoren die Speichel- und Tränendrüsen und steigert ihre Sekretproduktion. Als Parasympathomimetikum verursacht der Wirkstoff jedoch auch eine Reihe unerwünschter Wirkungen wie Herzklopfen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schnupfen, Bauchschmerzen oder Übelkeit und ist daher nicht für jeden Patienten geeignet.
Bei starken Beschwerden kann der Augenarzt zudem das Tränenpünktchen mit einem Silikonpfropfen verschließen. Dieser Kanal liegt in der Nähe der Nase und sorgt normalerweise für den Abfluss der Tränen. Der Pfropf verzögert dann das Ablaufen der Tränenflüssigkeit.
Zur Unterstützung der Sjögren-Betroffenen hat die Deutsche Rheuma-Liga den Ratgeber »Wenn die Drüsen streiken – das Sjögren-Syndrom« herausgebracht. Die 44-seitige Broschüre informiert laienverständlich über das Krankheitsbild und gibt zahlreiche Tipps. Außerdem können Interessierte unter www.rheuma- liga.de ein zweiseitiges Merkblatt zur Erstinformation herunterladen.
Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V., Maximilianstr. 14, 53111 Bonn (bitte 1,45 € Rücksendeporto beilegen), Fax: 0228-7660620, E-Mail: bv(at)rheuma-liga.de oder per Info- Telefon 01804 600 000 (20 Cent pro Anruf aus dem deutschen Festnetz, bei Mobiltelefon maximal 42 Cent).
Bilden sich ständig Lidverkrustungen, sollten die Patienten die Lider regelmäßig und vorsichtig reinigen, damit sich diese nicht dauerhaft entzünden. Dazu benetzen sie Wattepads mit abgekochtem Wasser und legen diese Augenkompressen lauwarm für 5 bis 10 Minuten auf die Augen. Anschließend lassen sich die Verkrustungen leicht entfernen.
Gesunde Menschen bilden 1 bis 2 Liter Speichel pro Tag. Dieser entsteht in den Speicheldrüsen, die im Ohr, im Unterkiefer und unter der Zunge liegen, sowie in kleinen Speicheldrüsen in der Mundschleimhaut. Der Speichel hat vielfältige Funktionen: Er befeuchtet die Mundhöhle, puffert Säuren, schützt die Zähne vor Karies, erleichtert Kauen, Schlucken und Sprechen, und die enthaltenen Enzyme spalten Nahrungsbestandteile auf.
Kaum Speichel
Sjögren-Patienten produzieren kaum noch Speichel, sodass der Mund-Rachen-Raum stark austrocknet. Sobald die Betroffenen essen, fühlt sich ihr Mund völlig ausgedörrt an und sie können kaum noch schlucken. Einigen Patienten fällt sogar das Reden schwer.
Solange die Speicheldrüsen noch eine Restfunktion haben, lassen sie sich mithilfe verschiedener Maßnahmen zur Speichelbildung anregen. Zum Beispiel können die Patienten Kaugummis kauen, am besten zuckerfreie Sorten. Außerdem sollen sie viel Wasser trinken und die Luftfeuchtigkeit in der Wohnung erhöhen. Zusätzlich helfen salzhaltige Lutschtabletten (wie Nisita®) aus der Apotheke. Sie aktivieren den Speichelfluss, beugen Mundgeruch vor, neutralisieren überschüssige Säuren und unterstützen die Regeneration der Mundschleimhaut. Viele Patienten freuen sich auch über die Empfehlung eines Sprays als synthetischen Speichelersatz (wie Glandosane®). Bei trockener Nasenschleimhaut können Betroffene die Augenbehandlung gut mit einem befeuchtenden Nasengel kombinieren (beispielsweise Bepanthen® oder Salina Nasen-Gel).
Nur eine ausreichend feuchte Vaginalschleimhaut hält Erreger in Schach und ermöglicht einen schmerzfreien Geschlechtsverkehr. Daher benötigen die meisten Patientinnen ein Vaginalgel (Replens® sanol), eine Vaginalcreme (Vagisan® FeuchtCreme) oder Vaginalovula (wie Vulniphan®). Nach der regelmäßigen Anwendung der Präparate lassen Juckreiz, Brennen und Missempfindungen beim Intimverkehr nach.
Ewig erschöpft
Ein Symptom, das viele chronische Erkrankungen begleitet, ist die Fatigue (franz. Müdigkeit). Warum sich auch Sjögren-Patienten oft dauerhaft erschöpft fühlen, ist nicht geklärt. Möglicherweise sollten Menschen mit chronischen Krankheiten längere Ruhephasen einlegen, damit sich ihr Organismus regenerieren kann. Bei Patienten mit sekundärem Sjögren-Syndrom verhindern die rheumatischen Schmerzen häufig erholsamen Schlaf. Eine andere These ist, dass die Autoimmunkrankheit auch Nerven in Mitleidenschaft zieht. Das würde erklären, warum die Fatigue bestehen bleibt, obwohl Medikamente die Entzündungsprozesse stoppen.
Begleitende Therapie
Patienten mit sekundärem Sjögren-Syndrom erhalten von ihren Ärzten fast immer eine Basistherapie, beispielsweise mit dem Antimalariamittel Chloroquin (wie Resochin®) oder dem Zytostatikum Methotrexat (wie MTX oder Lantarel®). Beide Arzneistoffe zählen auch zu den Antirheumatika, die Autoimmunreaktionen und somit den Verlauf entzündlich-rheumatischer Erkrankungen bremsen. Sie kommen ebenfalls bei chronischer Polyarthritis und systemischem Lupus erythematodes zum Einsatz. /