Zauberkraut und Allheilmittel |
20.04.2012 13:56 Uhr |
Von Ernst-Albert Meyer / An die Zauberkräfte der Farne glaubten fast alle Völker Europas. Viele Sagen und Legenden beschäftigen sich mit der mystischen Pflanze, die als Standort den dunklen Wald bevorzugt, den geheimnisvollen Lebensraum von Kobolden und Wichteln.
Farne sind älter als die Menschheit, haben Eiszeiten und Hitzeperioden überstanden, tolerieren sowohl Nässe als auch Trockenheit. Sie gehören zu den Gefäßsporenpflanzen und unterscheiden sich botanisch grundlegend von allen anderen Pflanzen. Da sie nicht blühen, bilden sie auch keine Samen, sondern vermehren sich durch Sporangien. Diese Sporenhäufchen halten Laien häufig für die »Farnsamen«. Auch wegen ihrer besonderen Gestalt haben die Farne immer schon die Fantasie der Menschen angeregt. Stattliche Pflanzen ohne Blüten und Früchte mit goldfarbenen »Körnlein« an der Blattunterseite müssen doch wohl das Werk geheimer Kräfte sein. Diese wollten sich die Menschen in früheren Zeiten nutzbar machen.
Da die Menschen sich eine blütenlose Pflanze nicht vorstellen konnten, war die Meinung weit verbreitet, der Farn »blühe« nur in der Johannisnacht. Und nur in der Nacht zur Sommersonnenwende am 24. Juni begaben sie sich in den dunklen Wald, um die zauberkräftigen »Farnsamen« zu gewinnen.
Sogar der große Arzt und Naturforscher Paracelsus (1493 bis 1541) soll Himmelbrandblätter (Blätter der Königskerze) unter die Farne gelegt haben, um ihre Sporen zu ernten. Das Volk hingegen sammelte die begehrten Samen nach festen Vorschriften, um nicht in die Klauen des Teufels zu geraten: So gingen die Mutigsten am Abend der Sommersonnenwende schweigend in den Wald zum Standort der Farne und steckten sieben Kreuze aus grünen Holunderzweigen kreisförmig in die Erde. Dann legten sie ihre Kleider ab und betteten ihr Hemd unter die Farnwedel. Anschließend verbargen sie sich hinter Sträuchern und verbrachten wachend die Johannisnacht. Am anderen Morgen fanden sie mit ein wenig Glück als Belohnung den kostbaren Samen auf dem weißen Linnen. Ihr Mut wurde belohnt: Wer den geheimnisvollen Farnsamen besaß, brauchte Tod und Teufel nicht zu fürchten, so der Aberglaube. Der Zaubersamen sollte seinem Besitzer verborgene Schätze anzeigen, ihn unverwundbar und blitzschnell unsichtbar machen. Unter Soldaten war die Auffassung weit verbreitet, dass der Farnsamen nicht nur hieb- und stichfest, sondern sogar kugelfest mache, wenn sie in Rock oder Weste »blühendes«, eingenähtes Farnkraut trugen. Darüber hinaus sollte das Farnkraut jedes Schloss aufsprengen können – eine Zauberkraft, die vermutlich Einbrechern sehr gelegen kam.
Sagen und Geschichten
Die begehrteste Zauberwirkung des Farnsamens bestand jedoch darin, seinen Träger unsichtbar zu machen, was heute als Analogiezauber bezeichnet wird, weil die Farnsporen wegen ihrer geringen Größe selbst so gut wie unsichtbar sind. Von dieser Eigenschaft berichten zahlreiche Legenden. So suchte einst ein Mann in der Johannisnacht sein Fohlen. Um es wiederzufinden, eilte er über Wiesen und durch Wälder. Dabei geriet ihm unbemerkt Farnsamen in die Schuhe. Als er ins Dorf zurückkehrte, wunderte sich der Bauer, dass ihn niemand ansprach. Deshalb rief er laut: »Ich habe das Fohlen nicht gefunden!« Das verursachte einen großen Schrecken bei den Dorfbewohnern, denn sie hörten seine Stimme, konnten ihn aber nicht sehen. Vergeblich versuchte der Bauer, sich von diesem Zauber zu befreien. Erst als er seine Schuhe auszog, wurde er wieder sichtbar.
Eine weitere Geschichte berichtet von einer ganz anderen Zauberkraft des Farnsamens: Im Spreewald hütete ein junger Bursche Gänse. Als Farnsamen in seine Schuhe geriet, verstand er plötzlich Wort für Wort, was sein Federvieh schnatterte. Voller Stolz wollte er seinem Herrn sein ungewöhnliches Können vorführen. Doch er war ein Prahlhans und zog vorher neue Schuhe an. Da war der Zauber vorbei, und der Bursche stand hilflos als Angeber vor seinem Herrn.
Bei den Bewohnern des Thüringer Waldes galt das Farnkraut als »Irrwurz«. Wehe dem, der abends darüber lief. Dieses Schicksal soll einen Wanderer ereilt haben. Er kam vom Wege ab und irrte stundenlang bis in die Dunkelheit umher. So entfernte er sich immer weiter von seinem Reiseziel. Erst als er erschöpft seine Schuhe auszog, fand er auf den richtigen Weg zurück.
Blühende Geschäfte
Es ist nicht verwunderlich, dass in Zeiten des finsteren Aberglaubens Landstreicher, fahrende Händler und Theriakkrämer ein lohnendes Geschäft witterten. Unter dem Siegel der totalen Verschwiegenheit boten sie für gutes Geld Farnsamen an, »welcher, um unsichtbar sich zu machen, als Mittel sehr geschätzt ist«, wie es in einer alten Stadtchronik heißt.
Der Aberglaube und der Handel mit Farnsamen nahm solche Auswüchse an, dass die Obrigkeit beschloss, dagegen einzuschreiten. Seit 1596 wurde im Aargau bestraft, wer laut äußerte, mit Farnsamen könne man sogar über den Teufel herrschen. Bei seiner Hinrichtung mit dem Schwert soll im Jahr 1601 in Erfurt der Verurteilte unter seinem Arm eine »gedorrte Farnblüte« getragen haben, »um sich fest« (unverwundbar) zu machen.
Im Jahr 1611 kündigte Herzog Maximilian von Bayern in seinem »Landgebot wider Aberglauben« demjenigen empfindliche Strafe an, »der den fahrnsamen hole«. Und 1612 erließen die Kirchenväter während der Synode von Ferrara das Verbot, in der Johannisnacht Farn oder seinen Samen zu sammeln. Nach den Prozessakten der Inquisition aus dem Jahr 1648 gab ein Angeklagter im oberösterreichischen Schornstein zu, Farnsamen geerntet und für Reichstaler verkauft zu haben. Sein Farnsamen habe die Kraft gehabt, Reisenden jeglichen Beistand zu gewährleisten, sodass »alle Hantierungen glücklich fortgingen.«
Auch die Väter der Botanik wandten sich in ihren Kräuterbüchern gegen den Farn-Aberglauben. So schrieb Otto Brunfels (1488 bis 1534) »von dem misszbrauch des Farensomens«: »Ist es dann kein natürlich ding/ so ist es gewisslich ein gespenst und betrügnuß …Ich habe aber noch keinen gesehen, der reich darmit sey geworden/ oder ein eintzig wunder darmit gewürckt habe.« Hieronymus Bock (1498 bis 1554) wollte dem Aberglauben auf den Grund gehen und beschloss, selbst Farnsamen zu sammeln – allein aus wissenschaftlichem Interesse. Da ihm die Sache nicht geheuer war, ging er in Begleitung von zwei Männern in den Wald, um das Geheimnis zu lüften. Ohne dass Zauberdinge geschahen oder der Teufel erschien, fand Bock »vnder einem stock/ mehr dann hundert körnlein«. Und nüchtern stellte er fest: »Wie nun solches zu gehe/ oder was für eyn geheymnüss die Natur darmit gemeyn/ ist mir verborgen.«
Schutz vor dem Teufel
Schon der Arzt Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) beschrieb das Farnkraut als blütenlose Pflanze und bezeichnete ihn als Bandwurmmittel (Anthelminthikum), was nahelegt, dass er den in Europa weit verbreiteten Wurmfarn (Dryopteris filix-mas oder Aspidium filix-mas) meinte. Aber auch andere Autoren der damaligen Zeit, zum Beispiel Plinius (23/24 bis 79 n. Chr.), kannten die Bandwurm tötende Eigenschaft der Wurmfarn-Wurzel. Im Mittelalter war die Anwendung als Bandwurmmittel hingegen kaum mehr bekannt.
Auch Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) ging in ihrer »Physica« ausschließlich auf den Aberglauben ein: »Der Farn habe so große Kraft in sich, dass ihn sogar der Teufel fliehe. Dort, wo der Farn wachse, übe der Teufel seine höllischen Künste nur selten aus, und das Haus, wo er aufbewahrt wird, sei vor dem Blitzschlag sicher. Auch in das Bett der Wöchnerin solle man Farn legen und in die Wiege des Neugeborenen, damit sie von den Ränken des Teufels verschont blieben.«
In der Volksmedizin galten Farne als wichtiges Heilmittel. Die Landbevölkerung war mit der Behandlung ihrer Krankheiten und Beschwerden auf sich selbst gestellt, weil die wenigen studierten Ärzte der damaligen Zeit in den Städten oder an den Höfen des Adels lebten. Nur selten verirrte sich ein wandernder Wundarzt oder Chirurg in die Dörfer. So entwickelten die Bauern ihre eigene Medizin, die sie von Generation zu Generation weitergaben. Als Allheilmittel wandten sie Farne äußerlich als getrocknetes Kraut oder innerlich als Tee gegen Rheuma, Gicht, Gliederschmerzen, offene Beine, entzündete Krampfadern und Hämorrhoiden an. Bei Ohrenschmerzen schliefen sie auf einem mit Farnkraut gefüllten Kissen. Gegen Zahnschmerzen zerquetschten sie frisches Farnkraut zwischen den Fingern und rieben mit dem Saft Zähne und Zahnfleisch ein. Es gibt sogar Hinweise auf die Verwendung von Farnen als Abortivum.
Geheimnis des Apothekers
Die Bedeutung des Gemeinen Wurmfarns als Bandwurmmittel entdeckte erst der Apotheker Daniel Matthieu in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder. Er mischte getrocknetes Farnkraut mit anderen kräftig abführenden Mitteln und hütete die Zusammensetzung als Geheimnis. Mit dieser Rezeptur hatte er so große Erfolge, dass Friedrich der Große ihm diese für eine Jahresrente von 200 Talern abkaufte und ihm zusätzlich den Titel eines Hofrates verlieh.
Der Extrakt aus dem Wurzelstock des Gemeinen Wurmfarns (Extractum Filicis siccum) fand auch als Monographie Eingang in die Arzneibücher, zum Beispiel in das DAB 6. Der Wirkstoff dieses Farns ist ein Stoffgemisch, Rohfilicin genannt. Es lähmt die Muskulatur und das Nervensystem des Bandwurmes, der dann mithilfe eines Abführmittels aus dem Darm getrieben wird. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite des Wurmfarnes kam es zu vielen Vergiftungen und sogar Todesfällen nach Anwendung des Extraktes, weshalb er heute nicht mehr in den Arzneibüchern enthalten ist. Als Bandwurmmittel werden heute synthetische Wirkstoffe wie Praziquantel (zum Beispiel Cesol®, Cysticide®) oder Niclosamid (Yomesan®) eingesetzt. Diese Substanzen wirken sicher und sind im Allgemeinen gut verträglich.
Homöopathen setzen das Mittel Filix Mas bei Sehschwäche durch Schädigung des Sehnerven ein. In der Anthroposophie kommen die drei Farnarten Wurmfarn, Hirschzunge und Tüpfelfarn in Kombination mit verschiedenen Weidenarten, zum Beispiel in Digestodoron® Weleda, bei Störungen der Sekretion und Motilität im Verdauungstrakt (Reizdarmbeschwerden) zur Anwendung.
Biogärtnern leisten die Farn- wedel, vor allem von Wurm- und Adlerfarn, gute Dienste. Als Mulchdecke sollen sie Schnecken vom Gemüsebeet fernhalten. Äpfel bleiben länger haltbar, wenn sie direkt nach der Ernte auf Farnkraut lagern. Aus den Farnwedeln hergestellte Brühen und Jauchen kann der Hobbygärtner mit Erfolg gegen Blattläuse, Blutläuse und andere Schädlinge einsetzen. Und wer seinem Hund oder seiner Katze die Plage mit Flöhen und anderem Ungeziefer ersparen will, stopft getrocknetes Farnkraut in das Liegekissen des Tieres. /
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