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Pertussis

Eine Kinderkrankheit wird erwachsen

21.06.2010  21:05 Uhr

Pertussis

Eine Kinderkrankheit wird erwachsen

von Maria Pues

Während des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Wiesbaden räumten Experten mit einer Fehleinschätzung auf: Ehemals galt der Keuchhusten als Kinderkrankheit, heute erkranken vor allem Erwachsene.

Aus dem Alltag kennen PTA und Apotheker die Fälle: Erwachsene, manchmal Rentner klagen in der Apotheke über trockenen Husten, der partout nicht weggehen will. Selten haben sie Fieber. Zwar ähneln die Symptome denen einer Erkältung, doch die Beschwerden dauern zu lange. Verordnet der Arzt ihnen schließlich ein Antibiotikum, bessert sich der Husten dennoch nicht. Erst nach mehr als sechs Wochen klingt er langsam ab.

Husten über Wochen

Studien zeigen, dass in Deutschland etwa 10 Prozent der Husten-Erkrankungen, die länger als eine Woche dauern, durch das Bakterium Bordetella pertussis ausgelöst werden, den Erreger des Keuchhustens. In Großbritannien gehen Experten von 28 Prozent, in Frankreich sogar von mehr als 30 Prozent aus, erläuterte Professor Dr. Carl Heinz Wirsing von König vom Helios Klinikum Krefeld. Die Zahl der Erkrankten schwankt von einem Jahr zum anderen. Im Winter 2010/2011 rechnet der Mediziner, dass die Zahl der an Pertussis Erkrankten deutlich zunimmt.

Viele Patienten kennen Keuchhusten nur als Kinderkrankheit und glauben, dass sie nie wieder daran erkranken, wenn sie Pertussis einmal durchgemacht haben. Forscher hatten lange gehofft, die Impfung würde die Krankheit ausrotten. Doch leider bestätigte sich diese Hoffnung nicht. Wissenschaftler schätzen, dass die Immunität nach einer durchgemachten Erkrankung keine 15 Jahre anhält, der Schutz durch eine Impfung währt noch kürzer.

Da seit 1991 laut Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) Kinder bundesweit gegen Pertussis geimpft werden, steigt das Durchschnittsalter der Patienten sehr stark: Im Jahr 1995 waren die an Keuchhusten Erkrankten durchschnittlich 15 Jahre alt, im Jahr 2008 betrug das Durchschnittsalter bereits 42 Jahre. Auch die absolute Häufigkeit der Erkrankung hat zugenommen, wie Daten aus den neuen Bundesländern ergaben. Bundesweite Erhebungen gibt es nicht, da Pertussis nicht zu den meldepflichtigen Krankheiten gehört.

Nach Schätzungen erkranken pro Jahr in Deutschland zwischen 0,2 und 0,5 Prozent der Bevölkerung an Keuchhusten. Das entspricht 165 000 bis 412 500 Patienten. Drei Viertel von ihnen sind erwachsen, errechnete das Robert-Koch-Institut 2008.

Bakterien extrem infektiös

Es dauert ein bis drei Wochen nach der Ansteckung, bis ein Infizierter die ersten Symptome spürt. Bis zum Ende der Inkubationszeit kann er keine anderen Menschen infizieren. Danach aber ist die Ansteckungsgefahr für andere groß. Da die Bakterien extrem infektiös sind, erkranken deutlich mehr als drei Viertel aller Kontaktpersonen. Die Tröpfcheninfektion kann noch über eine Distanz von einem Meter erfolgen, deshalb reicht das Gespräch mit einem Erkrankten zur Übertragung schon aus. Sogar Geimpfte geben – wenn auch nur kurze Zeit – Erreger weiter.

Hat sich der Keuchhusten-Erreger in den Atemwegen festgesetzt, bildet er verschiedene Eiweiße. Einige »verankern« die Bakterien in der Bronchialschleimhaut, andere wirken als Toxine, die die Schleimhäute schädigen und Entzündungen hervorrufen. Der charakteristische Verlauf lässt sich in drei Phasen einteilen.

Das Stadium catarrhale dauert ein bis zwei Wochen und äußert sich wie ein grippaler Infekt: Husten, Schnupfen, eventuell leichtes Fieber und Mattigkeit stellen sich ein. Die Patienten halten sich noch auf den Beinen und können daher andere anstecken. Das macht dieses Stadium für Kontaktpersonen so gefährlich.

Quälende Attacken

Vier bis sechs Wochen dauert das folgende Stadium convulsivum. Anfallsweiser Husten quält die Erkrankten tagsüber, jedoch noch mehr in der Nacht. Die Patienten husten einen zähen, glasigen Schleim ab und erbrechen sich sogar manchmal anschließend. Wenn der Patient am Ende der Attacke gegen die geschlossene Stimmritze einzuatmen versucht, erzeugt dies häufig ein wiehmendes Geräusch. Tritt in dieser Phase Fieber auf, hat sich zumeist eine Sekundärinfektion eingestellt. Das abschließende Stadium decrementi dauert weitere sechs bis zehn Wochen. Während dieser Zeit lassen die Hustenanfälle langsam nach.

Nicht alle Patienten erleben die charakteristischen drei Stadien. So fehlt bei Säuglingen häufig der Husten, während vermehrt bedrohliche Atemstillstände auftreten. Dauern die Atemaussetzer länger als zehn Sekunden, wird das Gehirn nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, was dauerhafte Schäden nach sich ziehen kann. Pertussis ist für Säuglinge lebensbedrohend. In einigen Fällen war Keuchhusten Ursache für plötzlichen Kindstod.

Bei Erwachsenen steht als Symptom der trockene Dauerhusten im Vordergrund. Weil Keuchhusten bei Erwachsenen eher mild verläuft, besteht die Gefahr, dass sie in Unkenntnis andere infizieren: Noch bis zu drei Wochen nach Beginn des Stadium convulsivum können sie ihre Mitmenschen anstecken. So haben Studien gezeigt, dass Säuglinge häufig von erwachsenen Familienmitgliedern infiziert wurden, oft durch ihre Mütter. Das größte Risiko tragen Neugeborene und bis zu sechs Monate alte Säuglinge, denn sie verfügen weder über den sogenannten Nestschutz durch die Mutter, noch über einen ausreichenden Impfschutz. Die Grundimmunisierung wird erst mit dem vollendeten 2. Lebensmonat begonnen und ist erst mit knapp 1 Jahr abgeschlossen.

Zu später Einsatz von Antibiotika

Erkrankte Säuglinge entwickeln vermehrt Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen. Doch auch Erwachsene müssen mit Folgekomplikationen rechnen: Bis zu ein Viertel erkrankt an Lungenentzündungen, Rippen- und Leistenbrüchen, Blutungen im Gehirn oder Inkontinenz. Bereits bestehende Grunderkrankungen, zum Beispiel Bluthochdruck oder Diabetes, können sich verschlechtern. Manchmal wird die Einweisung in ein Krankenhaus nötig.

Aber auch die komplikationlos verlaufende Keuchhustenerkrankung belastet viele Patienten. Pertussis dauert viel länger als eine normale Erkältung. Obwohl es sich um eine bakterielle Infektion handelt, bleibt das Sekret hell und glasig wie bei Virusinfekten. Zwar sprechen die Bakterien auf bestimmte Antibiotika, zum Beispiel die Makrolide Roxithromycin oder Azithromycin, an. Dennoch verspüren die Patienten oft keine Besserung.

In vielen Fällen wird ein Antibiotikum zu spät verabreicht, da die Patienten zu Beginn der Erkrankung nicht zum Arzt gehen. Außerdem beseitigen die Arzneistoffe nicht die Symptome, die durch die Bakterien-Toxine hervorgerufen werden. Trotzdem sei die Gabe des Antibiotikums richtig und wichtig, so Wirsing von König, denn es helfe, die Überträgerkette zu unterbrechen. Schon fünf Tage nach Beginn der Antibiotikatherapie können die Patienten niemanden mehr anstecken. Daher verordnen Ärzte Personen, die Kontakt mit einem Erkrankten hatten, sogar manchmal vorsorglich ein Antibiotikum – unabhängig davon, ob sie geimpft sind oder nicht.

Impfen schützt

»Die Erwachsenen impfen, um die Kleinsten zu schützen«, riet der Mediziner eindringlich. Seit 1991 empfiehlt die STIKO schon die Impfung bestimmter Risikogruppen: Personal im Gesundheitsdienst, Mitarbeiter in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und in Gemeinschaftseinrichtungen, Frauen mit Kinderwunsch sowie deren direkte Kontaktpersonen. Inzwischen sollen sich laut STIKO alle Erwachsenen gegen Pertussis impfen lassen. Da es kein Mono-Präparat gibt, kann nur die Kombi-Impfung mit Tetanus, Diphtherie (und Polio) verabreicht werden. Daher rät die Impfkommission, beim nächsten Termin für die Tetanus-Impfung den Kombi-Impfstoff mit Pertussis anzuwenden.

Was aber ist zu tun, wenn der Tetanusschutz noch ausreicht und eine Familienangehörige ein Kind erwartet? Denn bei Tetanus haben Patienten häufig Angst vor einer »Überimpfung«. Professor Dr. Ulrich Heininger, Leitender Arzt für Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel gab in Wiesbaden Entwarnung: »In einer kanadischen Studie erhielten Menschen 1,5 bis 10 Jahre nach der letzten Tetanus-Impfung die Kombi-Impfung aus Tetanus und Pertussis. Die Verträglichkeit des Kombi-Impfstoffs war dabei unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Tetanus-Impfung.«

Sogar ein noch kürzerer Abstand sei möglich: In einer französischen Studie lagen nur vier Wochen zwischen der Tetanus- und der Kombinations-Impfung, ohne dass die zweite Impfung schlechter vertragen wurde. Inzwischen gehen Fachleute davon aus, dass sie im »Ernstfall« keinen Abstand mehr einhalten müssen.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
maria.pues(at)t-online.de

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