Kein Tier soll leiden müssen |
21.06.2010 20:40 Uhr |
Kein Tier soll leiden müssen
von Regina Thomas
Die Katze zuckt und faucht, wenn sie eine Spritze erhält. Der Hund humpelt mit seiner verletzten Pfote. Tierbesitzer leiden häufig mit, wenn ihr geliebtes Haustier Schmerzen empfindet. Und sie sind dankbar für jeden Rat.
Schmerz hat eine wichtige biologische Warn- und Schutzfunktion: Er signalisiert dem Gehirn, wo der Schaden lokalisiert und wie umfangreich er ist. Der Organismus erhält damit die Chance, den schädigenden Einfluss zu unterbinden und zur Heilung beizutragen. So halten Mensch und Tier verletzte, schmerzende Körperteile zum Beispiel ruhig, bis die Heilungsvorgänge abgeschlossen sind. Für Wildtiere ist das überlebenswichtig. Für Tiere, die in menschlicher Obhut leben, hält die moderne Medizin glücklicherweise wirksame Schmerzmittel bereit.
Katze | Hund |
---|---|
Zurückziehen, Verstecken, Flucht | Zurückziehen, Verstecken, Flucht |
Apathie, verminderte Körperpflege | Apathie |
gekrümmte Brust-Bauch-Lage, Kauerstellung | Kauerstellung, aufgezogener Bauch, Seitenlage, Kopftiefhaltung |
Aggression | Aggression |
Schreien, Fauchen, Knurren, kehliges Heulen, helles Schreien | Winseln, Heulen |
Belecken schmerzender Körperpartien | Zittern |
gesträubtes Fell | Belecken schmerzender Körperpartien |
gesteigerte Pulsfrequenz, erweiterte Pupillen | gesträubtes Fell |
Schmerzen sicher erkennen
Leider können Hunde und Katzen sich nicht genau zu ihren Schmerzen äußern. Das macht die Beurteilung manchmal schwierig. Doch auch der Körper beziehungsweise das vegetative Nervensystem der Tiere reagiert auf Schmerzen ähnlich wie auf andere Stresssituationen: Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffbedarf steigen, die Sauerstoffaufnahme dagegen sinkt, weil das Kohlendioxid im Blut zu wenig abgeatmet wird. Als Folge nimmt der pH-Wert des Blutes ab. Das sind messbare Parameter, die durch die sogenannte Algimetrie erfasst werden können.
Andere Schmerzreaktionen des Tieres fallen auf, wenn der Besitzer es sorgfältig beobachtet: Typischerweise ändern die Tiere bei Schmerzen ihr Verhalten, zum Beispiel werden sie unruhig oder reagieren verängstigt. Beziehen sich die Schmerzen auf einzelne Körperregionen, beispielsweise die Gliedmaßen, führt dies häufig zu Entlastungsverhalten, das sich unter anderem in hinkendem Gang äußert. Manche Tiere reagieren auf starke Schmerzen apathisch, andere aggressiv. Bei länger anhaltenden Schmerzen können Appetitlosigkeit, nachlassender Stuhldrang, Speicheln und Erbrechen auftreten. Auch das Immunsystem leidet: Die körpereigene Abwehr wird geschwächt; die Anfälligkeit gegenüber Infektionen nimmt zu.
Ganz schwierig ist die Beurteilung von chronischen Schmerzen, zum Beispiel bei Arthrosen. Vielfach treten sie schleichend auf und sind so subtil, dass nur der Besitzer des Tieres sie wahrnimmt. Dazu gehören Steifigkeit, »Einlaufen« nach Ruhephasen, verlangsamtes Treppensteigen, verzögertes Einsteigen ins Auto, verminderte Spiel- und Lauffreudigkeit, aggressives Verhalten, verminderter Appetit und auch die Gewichtsabnahme.
Ursachen richtig einordnen
Jeder chirurgische Eingriff verursacht Gewebeschäden und damit Schmerzen. Deren Intensität und Dauer sind abhängig von der Art des chirurgischen Eingriffs und der Schmerzempfindung in der betroffenen Region. Weichteiloperationen und Eingriffe im Bauchraum sind zum Beispiel weniger schmerzhaft als Operationen im Bereich des Kopfes, der Gelenke oder bei Frakturen. Idealerweise erhalten die Tiere bereits vor der Operation, während des Eingriffs und ausreichend lange danach ein Analgetikum (perioperative Schmerzbekämpfung). Nur so wird gewährleistet, dass das Tier trotz Operation schmerzfrei bleibt und damit beste Voraussetzungen für die Genesung gegeben sind. Hier haben neben den nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) vor allem moderne Opioide ihren Platz.
Bösartige Tumoren sind häufig mit Schmerzen verbunden. Viele Krebswucherungen schädigen direkt das Gewebe, indem sie es infiltrieren, zerstören oder Geschwüre bilden. Tumore können durch ihr Wachstum auch das umgebende Gewebe zusammendrücken und die Blutzufuhr behindern. Darüber hinaus kann die Tumortherapie, eine Operation, Chemo- oder Strahlentherapie, Schmerzen zur Folge haben. Auch hier kommen neben NSAIDs Opiode, zum Beispiel in Pflasterform, zum Einsatz.
Etwa jeder vierte Hund leidet an chronischen Schmerzen infolge einer Osteoarthritis, einer Erkrankung des Bewegungsapparates. Eingeschränkte Beweglichkeit der betroffenen Gelenke und ständige oder wiederkehrende Lahmheiten sind typische Symptome. Häufig diagnostizieren Tierärzte Arthrosen erst im fortgeschrittenen Stadium, weil der Tierbesitzer die anfänglich subtilen Symptome chronisch schmerzender Gelenke falsch interpretiert und dem zunehmenden Alter anlastet. Wird der Arthroseschmerz jedoch nicht bekämpft, kommt ein Teufelskreis in Gang: Tiere mit schmerzenden Gelenken schonen betroffene Gliedmaße. Dies führt unweigerlich zu einem Abbau der Muskulatur, wodurch die natürliche Stützfunktion des Muskels für das Gelenk verloren geht. Das gesamte Gewicht lastet auf dem arthrotischen Gelenk und führt zu einer Überbelastung selbst bei normaler Bewegung. Das forciert das Fortschreiten der Arthrose. Die Schmerzbekämpfung mit NSAIDs kann unterstützt werden durch Präparate mit Grünlippmuscheln, die den Knorpelstoffwechsel stimulieren.
Werden Schmerzen nicht schnell genug und nicht ausreichend gelindert, können sie chronisch werden. Anhaltende oder ständig wiederkehrende Schmerzreize führen zur Übererregung des Nervensystems – es entwickelt sich ein »Schmerzgedächtnis«. Die Folge: Die Schmerzschwelle sinkt, Schmerzintensität, -ausdehnung und -dauer nehmen zu. So entwickelt sich aus dem akuten Schmerz auch beim Tier eine eigenständige Erkrankung, die »Schmerzkrankheit«. Um dies zu verhindern, muss der Schmerz deshalb rechtzeitig und wirksam bekämpft werden.
Therapie einleiten und fortführen
Viele der bei Tieren eingesetzten Analgetika sind aus der Humanmedizin bekannt. Es gibt jedoch wichtige Unterschiede. Nicht steroidale Antiphlogistika wirken entzündungs- und schmerzhemmend. Sie wirken gut und effektiv gegen Schmerzen, bei denen die Entzündung eine wichtige Rolle spielt: bei orthopädischen Eingriffen, Hautverletzungen, Knochentumoren, nach einer Operation beziehungsweise zahnärztlichen oder augenärztlichen Behandlungen sowie bei Gelenkentzündungen. NSAIDs gibt es in unterschiedlichen Formulierungen. Bei akuten intensiven Schmerzzuständen verabreicht der Tierarzt die Mittel intravenös, um möglichst schnell wirksame Blutspiegel zu erreichen. Zu Hause kann die Therapie mit Tabletten fortgeführt werden. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen empfehlen einige Hersteller, die Therapie auf wenige Tage zu beschränken. Wirkstoffe, auf die der Tierarzt zurückgreift, sind zum Beispiel Ketoprofen, Tolfenaminsäure, Vedaprofen, Meloxicam und Carprofen.
Achtung: Dagegen sind bestimmte, rezeptfrei in der Apotheke erhältliche NSAIDs für Tiere nicht geeignet. Dazu gehören Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Naproxen-haltige Präparate, Ibuprofen und Paracetamol.
Opioide werden aufgrund ihrer starken analgetischen Wirkung bei schweren Schmerzzuständen und bei akuten Schmerzen (Verletzung, Chirurgie) eingesetzt. Sie wirken auf das zentrale Nervensystem, indem sie spezielle (Schmerz-)Rezeptoren besetzen, die Schmerzwahrnehmung stoppen und die Schmerzschwelle erhöhen. In unterschiedlichem Maße lindern sie außerdem Ängste, hellen die Stimmung auf und können auch Rauschzustände hervorrufen. Ihre therapeutische Dosierungsbreite ist recht groß. Ihr Gebrauch unterliegt, wie in der Humanmedizin, den strengen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV).
Andere gebräuchliche Analgetika in der Veterinärmedizin sind steroidale Antiphlogistika (Corticosteroide). Diese Substanzen tragen durch ihre entzündungshemmende Wirkung in bestimmten Fällen zur Schmerzlinderung bei. Sie begünstigen allerdings degenerative Prozesse, also den Gewebeabbau, und wirken immunsuppressiv. Eine Dauertherapie mit Corticosteroiden ist deshalb keine Option. Ein sehr stark fiebersenkendes Schmerzmittel ist das Metamizol.
Dem Tierarzt stehen eine Vielzahl neuer, gut verträglicher Analgetika zur Verfügung, um Schmerzen bei Tieren sicher und effektiv zu bekämpfen. Häufig kann der Tierbesitzer die beim Tierarzt begonnene Therapie durch die Gabe von Tabletten bequem zu Hause weiterführen.
Wer das Thema weiter vertiefen und gleichzeitig Fortbildungspunkte erwerben möchte, kann am neuen Bayer-Fernkolleg »Schmerz bei Tieren« teilnehmen. Nähere Informationen unter www.tiergesundheit.bay-as.de
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
thomas.regina(at)gmx.de