Betroffene brauchen Disziplin und Fantasie |
20.05.2011 13:11 Uhr |
Von Iris Priebe / Martin Sacherl gehört zum Verwaltungsbeirat der Selbsthilfegruppe hereditäre Fructoseintoleranz. In seinem ersten Lebensjahr wurde bei ihm eine HFI diagnostiziert. Damals, vor rund 30 Jahren, war die HFI noch wenig erforscht, Informationen oder Rezepte zur Ernährung gab es kaum. Inzwischen hat der gelernte Elektrotechniker ein Buch über seine Krankheit verfasst.
PTA-Forum: HFI wurde bei Ihnen 1973 diagnostiziert, den Gentest gibt es erst seit 1995. Wie stellten die Ärzte bei Ihnen die Krankheit fest?
Sacherl: Zuerst schlossen die Ärzte diverse Organerkrankungen aus. Nach längeren Klinikaufenthalten fanden sie Hinweise auf die HFI. Aus diesem Grund wurde eine Leberbiopsie durchgeführt, wodurch die Erkrankung schließlich zweifelsfrei nachgewiesen wurde.
PTA-Forum: Sie waren damals noch nicht einmal ein Jahr alt. Wie haben Ihre Eltern die anfallenden Probleme bewältigt?
Sacherl: Nach der Diagnose erhielten meine Eltern nur einen Zettel mit spärlichen Informationen. Um die Ernährung an meinen Bedarf anzupassen, war also der Einfallsreichtum meiner Mutter gefragt.
Zu dieser Zeit waren glücklicherweise Fertigprodukte noch nicht so verbreitet wie heute. Meine Mutter teilte die Grundnahrungsmittel deshalb einfach in geeignete und nicht geeignete ein.
Sie schaffte es, mich ausgewogen und schmackhaft zu ernähren. Bis ich zehn Jahre alt wurde, holte ich schließlich einen Wachstumsrückstand von einem Jahr auf.
PTA-Forum: Wann wurde Ihnen das erste Mal richtig bewusst, dass Sie Verzicht üben müssen?
Sacherl: Mit etwa vier Jahren bekam ich Süßigkeiten von Gleichaltrigen geschenkt und durfte diese nicht essen. Auch erinnere ich mich an meine ersten Gaststätten- und Restaurantbesuche. Hier bereiteten die Köche für mich spezielle Gerichte zu.
PTA-Forum: An welchen Beschwerden merken Sie, wenn Sie unwissentlich doch einmal eine Speise oder ein Getränk mit Fruchtzucker zu sich genommen haben?
Sacherl: Erste Anzeichen sind Oberbauchbeschwerden mit daran anschließendem Durchfall.
PTA-Forum: Konnten Sie trotz HFI als Kind und Jugendlicher allen Aktivitäten unbeschwert nachgehen?
Sacherl: Da ich im Wachstum hinterher hinkte und eine schmächtige Statur hatte, war ich sportlich nicht so leistungsfähig wie meine gleichaltrigen Schulkameraden.
Bei Ausflügen in Schullandheime begleitete mich stets meine Mutter, um sicherzustellen, dass ich das Richtige aß.
Manchmal war ich etwas neidisch, wenn Freunde Süßigkeiten naschten oder ein Eis schleckten. Meine Mutter mahnte mich aber stets, diese Dinge zu meiden. Daher gab ich Süßigkeiten, die mir Mitschüler anboten, stets an meine Schwester weiter.
Nach dem Grundschulalter entwickelte ich eine starke Aversion gegenüber fructosehaltigen Lebensmitteln. Ab diesem Zeitpunkt machte es mir nichts mehr aus, wenn vor meinen Augen Süßigkeiten verzehrt wurden. Das ist auch heute noch so.
PTA-Forum: Wie reagieren Mitmenschen, wenn Sie bei einem gemeinsamen Essen bestimmte Speisen ablehnen?
Sacherl: In meinem Bekannten- und Freundeskreis wissen die meisten Bescheid, sodass keine Irritationen entstehen. Menschen, denen die HFI unbekannt ist, erkundigen sich oftmals nach dem Grund. Ihnen erkläre ich diesen entweder kurz oder ich lehne die angebotenen Speisen mit den Worten ab: Nein, danke, ich möchte das nicht essen. Dadurch vermeide ich weitere Fragen.
PTA-Forum: Und wie kommen Sie auf Reisen zurecht?
Sacherl: In Europa fühle ich mich auf Reisen nicht oder nur wenig eingeschränkt, da ich in den meisten Ländern immer etwas Geeignetes zu essen finde. Die Auswahl ist lediglich begrenzter.
Reisen nach Amerika sind schwieriger. Die vielen Fertigprodukte und Fast-Food-Gerichte enthalten oftmals Haushaltszucker, insbesondere die Saucen. Deshalb bevorrate ich mich zum Beispiel mit trockenem Brot und geeignetem Müsli.
Reisen nach Fernost traue ich mir derzeit nicht zu, da dort viele Speisen süß-sauer zubereitet werden und die Verständigung mit Einheimischen zu fatalen Fehlinterpretationen führen könnte, die für mich gesundheitliche Folgen nach sich ziehen.
PTA-Forum: Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente kommen durch Ihre stark eingeschränkte Ernährung deutlich zu kurz. Substituieren Sie diese?
Sacherl: Ja, ich ergänze meine Mahlzeiten mit geeigneten Vitaminpräparaten, die weder Saccharose, noch Fructose oder Sorbit enthalten. Einige Hersteller haben sich auf fructosefreie Nahrungsergänzungsmittel spezialisiert.
PTA-Forum: Wie machen Sie Betroffenen in der Selbsthilfegruppe Mut, die gerade von ihrer Krankheit erfahren haben?
Sacherl: Ich erzähle ihnen, wie ich mit den verschiedenen Alltagssituationen zurecht komme, höre mir ihre Probleme an und gebe ihnen Ratschläge und Tipps.
PTA-Forum: Zur Behandlung der HFI steht kein Medikament zur Verfügung. Wird derzeit daran geforscht?
Sacherl: Meines Wissens nach nicht. Vielleicht liegt das daran, dass die HFI eine seltene Erkrankung ist. Außerdem sind bei disziplinierter Ernährung keine Langzeitschäden zu erwarten. /