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Dermatologie

Zielgruppe Neurodermitiker

Datum 20.05.2011  14:03 Uhr

Von Tanja Schweig / Die intensive Beratung von Neurodermitikern erfordert viel Zeit, denn sie erwarten kompetente Aussagen zum Krankheitsbild, den individuellen Triggern und zur Hautpflege. Doch wer sich besondere Kenntnisse über das atopische Ekzem aneignet, gewinnt auch einen treuen und dankbaren Kundenstamm.

Mehr als 75 Prozent der Neurodermitiker erleiden ihren ersten Schub bereits bis zum Alter von zwei Jahren. Keine andere Haut­erkrankung ist unter Kindern weiter verbreitet als das atopische Ekzem. In Deutschland sind zwischen 8 und 16 Prozent der Kinder betroffen. Dennoch verläuft die Neurodermitis in den meisten Fällen milde, und die Prognose ist gut: Bei über 80 Prozent der Kinder heilt sie bis zur Einschulung ab.

Genetische Disposition

Noch immer gibt die Pathogenese den Wissenschaftlern Rätsel auf. Zwar haben sie viele Details inzwischen aufgeklärt, und die Forscher wissen genau, wo das Immunsystem der Patienten aus der Bahn läuft. Sogar ein Chromosom, auf dem eine der entscheidenden Fehlcodierungen liegt, ist entdeckt und entschlüsselt. Nach ihm haben die Forscher gefahndet, weil ihnen auffiel, dass das Ekzem in bestimmten Familien gehäuft vorkommt. Eltern vererben die Veranlagung zur Neurodermitis ihren Kindern: Wenn ein beziehungsweise beide Elternteile an Neurodermitis leiden, ist das Risiko, dass ihre Kinder erkranken, um 35 Prozent beziehungsweise sogar um 70 Prozent erhöht.

Zurzeit machen Wissenschaftler mehrere Faktoren für den Ausbruch der Hautentzündung verantwortlich. Bluttests zeigen, dass bei 80 Prozent der Kinder die IgE-Werte schon von Geburt an stark erhöht sind. Sie reagieren sensibler als gesunde Kinder auf Allergene. Ihre Behandlung nehmen die Allergologen besonders ernst, denn im Laufe der Jahre entwickeln viele von ihnen Folgekrankheiten und durchlaufen den sogenannten »atopischen Marsch«. Dazu zählen: Nahrungsmittelallergien, Heuschnupfen, eine allergische Rhinitis auf Hausstaubmilben oder Tierhaare und das Asthma bronchiale. Etwa 40 Prozent der Neurodermitiker werden später Asthmatiker! Besonders gefährdet sind Kinder, die bereits vor dem 2. Lebensjahr auf Kuhmilch oder Umweltallergene allergisch reagieren.

Dass ein Kind an Neurodermitis erkrankt ist, erkennen auch die meisten Laien an der veränderten Haut. Sie unterscheidet sich stark von gesunder: Ihre Talgproduktion ist vermindert, die Schweißsekretion gestört. Der Wasser- und Fettgehalt in der Hornhaut ist reduziert, der Hornzellkitt, der den Raum zwischen den Zellen abdichtet, stark verändert zusammengesetzt. Daher erfüllt die Haut ihren Barriereschutz nicht mehr richtig. Mechanische und chemische Reize setzen ihr heftiger zu als gesunder Haut. Sie reagiert schließlich überempfindlich und entzündet sich rasch.

Auch der Gehalt an Ceramiden ist he­rabgesetzt. Ceramide sind nicht nur Teil des Hornzellkitts, sondern sie wirken auch antimikrobiell. Weil die Abwehrkraft nachlässt, besiedeln vermehrt Keime die Haut, allen voran der Pilz Malassezia furfur und das Bakterium Staphylococcus aureus. Im Vergleich: Das Bakterium lässt sich bei mehr als 90 Prozent der Neurodermitiker auf der Haut nachweisen, bei Gesunden jedoch nur bei höchstens 5 Prozent. Die gestörte Hautbarriere können Stoffwechselprodukte der Pilze und Bakterien leicht durchdringen und als Allergene zu einer Sensibilisierung führen. Staphylococcus bildet zum Beispiel Toxine, die T-Lymphozyten auf den Plan rufen und eine Vielzahl von Immunprozessen in Gang setzen.

Schließlich fanden Forscher im Blut der Patienten sogar Autoantikörper gegen ­bestimmte Enzyme, was ein Zeichen dafür ist, dass sich der Körper nun selbst gegen seine Proteine richtet.

Akut oder chronisch

Diese Immunreaktionen und die strukturellen Hautveränderungen sorgen gemeinsam dafür, dass die Haut zu Entzündungen neigt. Eine kleine Irritation reicht aus, und plötzlich flammt das atopische Ekzem auf. Der höllische Juckreiz quält die Patienten so sehr, dass sie die Haut aufkratzen. Zunächst nässen die Ekzeme, später verkrusten sie. Wenn der akute Schub nachlässt und die Haut abheilt, bleiben extrem trockene, schuppende Hautbereiche zurück. Besteht die Krankheit schon einige Jahre, verändern sich diese Stellen zunehmend: Sie verfärben sich bräunlich oder bilden eine grobe, faltige Struktur aus. Fachleute nennen dieses Phänomen Lichenifizierung.

Abhängig vom Lebensalter treten die Hautentzündungen an jeweils anderen Körperstellen auf. Bei Säuglingen und Kleinkindern unter zwei Jahren befallen die Ekzeme sehr oft die Wangen sowie die Außenseiten der Arme und Beine. Entzündungen auf der Kopfhaut bezeichnen Ärzte als Milchschorf. Der massive Juckreiz und das Nässen sind in dieser Lebensphase besonders ausgeprägt.

Im Kindesalter lassen die akuten Entzündungsphasen etwas nach, dafür treten die chronischen Phasen immer stärker in den Vordergrund. Jetzt werden die Gelenkbeugen zu den bevorzugten Orten für Ekzeme. Das bleibt auch im Erwachsenenalter so, allerdings können zusätzlich das Gesicht, der Hals und die Brust betroffen sein. Immer häufiger bilden sich lichenifizierte Stellen. Manche Erwachsene leiden später nur noch unter Hand- oder Fußekzemen.

Schübe verhindern

Heilbar ist die Neurodermitis bisher nicht. Daher verfolgen Dermatologen gemeinsam mit den Patienten ein Ziel: Sie versuchen die Zeitintervalle zwischen den Schüben möglichst lange auszudehnen. Wenn es dann doch zu einem Schub kommt, muss dieser rasch und konsequent bekämpft werden. Die Therapie orientiert sich deshalb immer daran, in welchem Stadium sich die Neurodermitis gerade befindet: In der chronischen Phase braucht der Patient eine rückfettende Basispflege und in der akuten Phase stark entzündungshemmende Präparate.

Außerdem müssen die Patienten beziehungsweise deren Eltern über sogenannte Provokationsfaktoren aufgeklärt werden. Darunter verstehen Ärzte eine ganze Reihe Umweltfaktoren, die Schübe triggern. Wie bedeutsam die einzelnen Trigger für jeden Patienten wirklich sind, muss von Fall von Fall erst herausgefunden werden. Konkret heißt das: Zunächst sollte ein Arzt durch diagnostische Tests abklären, ob ein Kind tatsächlich eine Allergie auf Kuhmilch entwickelt hat, bevor es lebenslang auf ein so gesundes Nahrungsmittel verzichtet. Häufig zwingen Eltern, die nicht richtig informiert sind, ihren Kleinkindern extrem strikte und unsinnige Diäten auf. Für das Kind bedeutet das unter Umständen eine Mangelernährung. Genauso sollte der Arzt sicher eine Hausstauballergie nachgewiesen haben, bevor der Patient seine Wohnung mit hohen Kosten und viel Aufwand saniert. Sind die Trigger aber eindeutig entlarvt, kann der Betroffene sie gezielt ausschalten und so Schübe verhindern.

Die kontinuierliche Hautpflege ist für jeden Patienten ein Grundpfeiler der Therapie. In den chronischen Phasen müssen alle Betroffenen ihre Haut mit wirkstofffreien Präparaten mehrmals täglich eincremen. Denn nur damit lässt sich die gestörte Barriere der Haut wiederherstellen und ihre Widerstandskraft verbessern. Die Pflegecremes führen der Haut nicht nur fehlende Lipide zu, oft in Form von Nachtkerzensamen- oder Borretschöl, sondern manche ergänzen auch Ceramide. Viele Produkte enthalten zusätzlich Feuchthaltefaktoren wie Harnstoff, Glycerin oder Milchsäure. In der Beratung können PTA oder Apotheker ihren Kunden folgende Tipps zu Pflegeprodukten geben:

  1. Die Präparate müssen zur betroffenen Hautstelle »passen«: Sehr trockene oder stärker verhornte Bereiche wie Füße und Hände müssen mit fetteren Salbenzubereitungen behandelt werden, noch leicht entzündete Stellen mit wässrigen Emulsionen oder Lotionen.
  2. Die Wahl der Grundlage muss außerdem der Jahreszeit angepasst sein. Fette Salben eignen sich besser für die trockene Winterzeit, im Sommer würden sie zu einem Wärmestau und daher zu Juckreiz führen. In der warmen Jahreszeit sind wässrige Lotionen besser.
  3. Probieren geht über Studieren: Die meisten Kunden müssen sicherlich erst einige Cremes testen, bevor sie die ihnen angenehmste gefunden haben. Proben können ihnen bei der Auswahl helfen, schneller eine geeignete Creme zu finden.
  4. Harnstoff kann nach dem Auftragen kurzfristig brennen, vor allem Kinder sollten keine Präparate mit einem Harnstoffgehalt über 5 Prozent erhalten.

Seife ist für Neurodermitiker tabu, stattdessen waschen sie sich besser mit einem sehr milden Syndet. Nach dem Duschen (kurz und möglichst kühl) sollten Neurodermitiker ihre Haut mit einem Ölbad (wie Balmandol®, Balneum Hermal®) einreiben und sich nur ganz kurz abbrausen. Danach tupfen sie die Haut vorsichtig ab oder lassen sie im Sommer an der Luft trocknen. Im Anschluss müssen sie sich wie üblich eincremen.

Rasches Handeln im Schub

Trotz aller Maßnahmen lässt sich manchmal ein akuter Schub nicht verhindern. Setzt plötzlich unaufhaltsamer Juckreiz ein, können die Patienten sich nicht mehr beherrschen und kratzen sich ausgiebig. Wichtig ist jetzt, sofort zu handeln! Die schlimmsten Juckreizattacken können Betroffene dadurch mildern, indem sie für circa eine halbe Stunde auf die Ekzeme kühlende Umschläge legen, beispielsweise getränkt mit erkaltetem Schwarztee oder gerbstoffähnlichen Badezusätzen (wie Tannolact®, Tannosynt®). Anschließend sollten die Patienten ein kortikoidhaltiges Präparat auftragen. Die modernen, verschreibungspflichtigen Wirkstoffe müssen oft nur noch einmal täglich dünn appliziert werden.

Kortikoide sind nach wie vor die Mittel der ersten Wahl. Hier können PTA oder Apotheker helfen, den Kunden die Kortisonangst zu nehmen. Kortikoide hemmen nun mal besonders rasch Entzündungen und stillen effektiv den Juckreiz. Werden die Wirkstoffe gezielt nach ihrer Stärke ausgesucht, nur wenige Tage lang aufgetragen und dann im Wechsel mit Basiscremes ausgeschlichen, bleiben Nebenwirkungen vollständig aus. Die gefürchtete Hautverdünnung tritt erst nach einer längeren Anwendungszeit auf. Im Gesicht und im Genitalbereich, wo die Haut besonders dünn ist, sollten Patienten nur Hydrocortison-haltige Präparate anwenden.

Eine Alternative sind die beiden ebenfalls verschreibungspflichtigen Arzneistoffe Tacrolimus (wie Protopic®) und Pimecrolimus (wie Elidel®). Sie greifen in das Immungeschehen ein, bekämpfen die Entzündung und stillen den Juckreiz, verursachen aber keine Hautverdünnung. Derzeit sind beide Wirkstoffe erst für Kinder ab 2 Jahren zugelassen. Es ist noch nicht geklärt, ob die lokale Immunsuppression vielleicht nach jahrelanger Daueranwendung Hautkrebs fördern kann. Sicherheitshalber empfiehlt es sich deshalb im Sommer, die behandelte Haut nie direkt dem Sonnenlicht auszusetzen. Entweder müssen die Patienten beim Aufenthalt in der Sonne die behandelten Hautstellen mit Kleidung abdecken oder ein Lichtschutzmittel darüber auftragen. /

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