Geruchlos und gefährlich |
25.05.2012 16:56 Uhr |
Von Ursula Sellerberg / Die Opfer wachen benommen, meist an unbekannten Orten und mit großen Erinnerungslücken, auf. Vor allem angetrunkene Frauen werden in Diskotheken mit K.-o.- Mitteln »ausgeknockt«. Was sind K.-o.-Mittel, wie wirken sie, und wie kann man sich vor ihnen schützen?
K.-o.-Mittel, abgeleitet vom englischen Knock-out, schalten das Bewusstsein aus. Zwei andere Bezeichnungen sind Vergewaltigungs- oder Date-Rape-Droge (engl.: Date = romantische Verabredung, Rape = Vergewaltigung). Die verwendeten Substanzen sind meist weitgehend geruch-, geschmack- und farblos. So kann der Täter sie dem Opfer zum Beispiel unbemerkt mit einem Getränk verabreichen.
Nach der Gabe eines K.-o.-Mittels nutzen Kriminelle die hilflose Lage der wehrlosen Menschen gezielt für eine Straftat aus, meist für eine Vergewaltigung oder einen Raub. Durch einen Gedächtnisverlust erinnern sich die Opfer nachher zumeist nicht mehr an die Tat. Nur selten erfolgt eine gezielte toxikologische Untersuchung. Auch wenn sich die Opfer an die Polizei wenden, wird ihnen häufig geraten, wiederzukommen, wenn sie sich besser an das Geschehene erinnern können. Aber dann ist es für den Nachweis des K.-o.-Mittels im Blut oder im Urin oft zu spät.
Strafbar macht sich bereits jeder, der eine andere Person betäubt, auch wenn es in der Folge zu keiner Straftat kommt. Wer widerstandsunfähige Personen sexuell missbraucht, muss mit bis zu 10 Jahren Haft rechnen. Nur in sehr wenigen Fällen kommt es überhaupt zu einer Anzeige, noch seltener zu Gerichtsverhandlungen. Von einer Strafverfolgung wird zum Beispiel abgesehen, wenn der Tatverdächtige nicht bekannt oder die Beweislage sehr lückenhaft ist.
Liquid Ecstasy als K.-o.-Mittel
Von den verschiedenen Substanzen, die als K.-o.-Mittel verwendet werden, ist die Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB) die bekannteste. Auch wenn der Name eine Verwandtschaft vermuten lässt: Weder die chemische Struktur noch die Wirkung von GHB ist mit Ecstasy (MDMA, Methylendioxymethamphetamin) vergleichbar. Seit dem Jahr 2002 fällt GHB unter das Betäubungsmittelgesetz. Daher werden die Beschaffung und der Besitz als Verstöße gegen das BTM-Gesetz strafrechtlich verfolgt. Der Einsatz ist eine kriminelle Handlung, die in jedem Fall eine Haftstrafe nach sich zieht.
GHB wurde erstmals im Jahr 1960 als zentral dämpfende Arzneisubstanz synthetisiert. Die Strukturformel zeigt die enge Verwandtschaft mit der GABA (Gamma-Aminobuttersäure), einem hemmend wirkenden Neurotransmitter im Zentralnervensystem. In geringen Mengen kommt GHB auch natürlicherweise im Gehirn vor. Mediziner setzen die Substanz heute nur noch selten als intravenöses Narkotikum oder gegen Narkolepsie (plötzliche Schlafanfälle) ein. Ende der 1990er- Jahre begann die zweite »Karriere« von GHB als illegale Partydroge. Bodybuilder nehmen GHB als Mittel ein, um ihr Muskelwachstum anzuregen. Die gelegentliche Einnahme macht nicht abhängig.
Seifiger Geschmack
Das zumeist eingesetzte Natriumsalz der GHB ist geruchlos, schmeckt salzig und leicht seifig. Der Geschmack des Getränks kann dies aber leicht überdecken. GHB ist unter weiteren Szenenamen bekannt, zum Beispiel als Liquid Ecstasy, Liquid X, Soap oder Fantasy. Auf dem Schwarzmarkt – auch über das Internet – ist GHB als Festsubstanz oder in wässriger Lösung erhältlich. Der Szenepreis liegt bei etwa 1 Euro pro Gramm.
Die Wirkung von GHB setzt dosisabhängig nach 10 bis 30 Minuten ein und kann mehrere Stunden anhalten. Der Effekt ist mit einem Alkoholrausch vergleichbar und je nach eingenommener Menge und momentanem Gefühlszustand individuell unterschiedlich. Im Zentralnervensystem bewirkt GHB die schnelle Freisetzung der Botenstoffe Dopamin und Serotonin. Nach dem Abbau des Dopamins erfolgt ein schneller Übergang in den sogenannten GHB-Crash mit Übelkeit, Niedergeschlagenheit und vorübergehenden Gedächtnisstörungen.
Wirkungen von K.-o.-Mitteln
Die Opfer beschreiben häufig folgende Symptome:
In niedrigen Mengen wirkt GHB stimulierend, angstlösend, leicht euphorisierend und fördert die Kontaktfreudigkeit. Allerdings beeinträchtigt die Substanz ähnlich wie Alkohol die Motorik. Bei etwas höheren Dosierungen steigern sich Stimmung und Antrieb weiter, eventuell kommt noch eine lustfördernde Komponente hinzu. Mit zunehmender Dosis kehrt sich die Wirkung allerdings ins Gegenteil um: Mehr als drei Gramm GHB wirken stark einschläfernd. Überdosierungen führen zu einem plötzlichen narkotischen Schlaf. Der plötzliche Tiefschlaf ist bei Vergewaltigungsdrogen das gewünschte Ziel. Je nach Konstitution und Gewicht des Opfers wird es durch vier oder mehr Gramm GHB ins Koma versetzt.
Die Spanne zwischen der Dosis, die zu den erwünschten Effekten führt, und der Dosis, die ein toxisches Koma auslöst, ist gering. Daher ist das Risiko für eine unbeabsichtigte Überdosierung groß. Das Koma kann lebensgefährliche Komplikationen wie Unterkühlung, Blutdruckabfall oder Atemstillstand zur Folge haben.
Keine Kombination
In Kombination mit anderen dämpfenden Substanzen lässt sich die Wirkung nur noch schwer einschätzen. Besonders gefährlich sind Überdosierungen zusammen mit Alkohol oder Benzodiazepinen. Deshalb sollte ein absichtlicher Mischkonsum auf jeden Fall vermieden werden. Die Kombination, beispielsweise mit Opiaten, kann tödlich enden, da GHB unter anderem das Atemzentrum hemmt. Wenn Erbrochenes in die Lunge gelangt, kann es nicht mehr abgehustet werden und der Betroffene erstickt.
Vielfältiger Schwarzmarkt
GHB ist das bekannteste K.-o.-Mittel, aber nicht das einzige. Auch Vorstufen von GHB, Benzodiazepine und die verwandten Z-Substanzen wie Zopiclon oder Zolpidem, Antihistaminika wie Diphenhydramin, sedierende Antidepressiva oder illegale Drogen wie Ecstasy sind in der Szene für ihre narkotisierende Wirkung bekannt.
Eine Vorstufe von GHB ist Gamma-Butyrolacton, kurz GBL, auch unter den Namen Renewtriet, Blue nitro oder Gamma G gehandelt. Die farblose Flüssigkeit findet als Lösungsmittel in der Industrie, als Reinigungsmittel oder als Nagellackentferner Verwendung. Im Körper wird GBL sehr schnell in GHB umgewandelt. Im Unterschied zu GHB ist GBL bislang nicht als Betäubungsmittel eingestuft. Eine andere Vorstufe von GHB ist 1,4-Butandiol (BDO oder BD), das die Industrie als Weichmacher verwendet. Auch BDO wird als K.-o.-Mittel eingesetzt und auf dem Schwarzmarkt als Borametz oder Thunder Nectar angeboten.
Missbrauchsrisiko eingeschränkt
Das Benzodiazepin Flunitrazepam (Rohypnol) diente früher als Date-Rape-Droge, vor allem in Kombination mit Alkohol. Die farb- und geschmacklosen Tabletten lösten sich leicht in Wasser auf und konnten so relativ unbemerkt verabreicht werden. Im Jahr 1999 änderte der Originalhersteller die Zusammensetzung und die Farbe der Tabletten, um das Missbrauchsrisiko einzuschränken. Die Tabletten sind nun blau, schmecken leicht bitter und lösen sich nicht mehr vollständig in Wasser auf. Generika sind aber nach wie vor in der geschmacklosen, löslichen Formulierung erhältlich. Die Hauptwirkungen der K.-o.-Mittel sind im Kasten aufgeführt.
Schwieriger Nachweis
K.o.-Mittel im Blut nachzuweisen, gestaltet sich als schwierig. Zum einen werden K.-o.-Mittel oft nur in sehr geringen Mengen verabreicht. Zum anderen haben viele der Substanzen eine kurze Halbwertszeit und lassen sich nur kurzfristig nachweisen. Das Zeitfenster für GHB zum Beispiel liegt für den Nachweis im Blut bei acht Stunden nach der Einnahme und im Urin bei 12 Stunden. Es ist deshalb wichtig, bei einem Verdacht möglichst schnell zum Hausarzt, einer Krankenhausambulanz oder der Polizei zu gehen. Notfalls eine Urinprobe in einem sauberen Gefäß sichern, kühlen und so schnell wie möglich untersuchen lassen.
Doch die meisten Opfer von K.-o.-Mitteln sind entweder längere Zeit bewusstlos oder leiden unter einem zeitweisen Gedächtnisverlust. Außerdem sind viele zugleich stark alkoholisiert und vermuten daher, dass sie einen alkoholbedingten »Filmriss« hatten und realisieren gar nicht, dass ihnen ein Gift verabreicht wurde. Also geben sie, wenn überhaupt, eine Blut- oder Urinprobe nur mit großer zeitlicher Verzögerung bei der Polizei oder einem Arzt ab. Wird dort nur ein routinemäßiges Drogenscreening gemacht, wird GHB nicht erfasst.
Zwar ist es schwierig, die Spätfolgen eines K.-o.-Mittels von übermäßigem Alkoholkonsum zu unterscheiden. Dennoch weist ein starker Rausch, der nicht zur Menge des absichtlichen Alkohol- oder Drogenkonsums passt, auf die Verabreichung eines K.-o.- Mittels hin. Zu den weiteren möglichen Anzeichen zählen schlagartiger Erinnerungsverlust, starke Übelkeit und Erbrechen, Panik- und Angstanfälle nach dem Aufwachen sowie Konzentrationsstörungen, die häufig tagelang anhalten. Auch wer an einem unbekannten Ort aufwacht oder nicht mehr weiß, wie er dorthin gelangt ist, könnte das Opfer von K.-o.-Tropfen geworden sein.
Vorsichtsmaßnahmen
Erfahrungsgemäß schützen einige Vorsichtsmaßnahmen davor, ein K.-o.-Mittel verabreicht zu bekommen. Vorsicht ist nicht nur in Diskotheken geboten, manchmal setzen Täter K.-o.-Mittel auch auf privaten Partys ein. Nach dem Motto »Zusammen kommen, zusammen gehen« sollte man sich beim Ausgehen mit Freunden verabreden und mit diesen die Party nur gemeinsam verlassen, am besten während der Feier aufeinander achten. In Diskotheken sollte man von Fremden keine Getränke annehmen oder Getränke, deren Zubereitung man nicht aufmerksam beobachtet hat. Aus Vorsichtsgründen sollte man Getränke nicht aus der Hand geben oder offen stehen lassen und unbeaufsichtigte Getränke nicht mehr trinken.
Wer sich plötzlich sehr berauscht fühlt, sollte sofort einen Freund benachrichtigen und in dieser Situation die Feier niemals mit einem Fremden verlassen, egal wie freundlich dieser ist. Bei Atemnot oder Bewusstlosigkeit die Nummer 112 des Rettungsdienstes anrufen. Akut vergiftete Patienten sollten ärztlich überwacht werden. Gegen die Substanzen in K.-o.-Tropfen gibt es kein spezielles Antidot. /
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