Neues Leben schenken |
25.05.2012 17:41 Uhr |
Von Edith Schettler / Das Norddeutsche Knochenmark- und Stammzellspender-Register (NKR) hat im Jahr 2006 anlässlich des 200 000. Spenders den Tag der Blutstammzellspender ins Leben gerufen. Daraufhin nahm die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) diesen Termin als festen Ehrentag in den Kalender der offiziellen Gesundheitstage auf. Seit 2011 steht nun der dritte Sonntag im Juni im Zeichen der Blutstammzellspender.
In diesem Jahr finden daher am 17. Juni im Expowal in Hannover, dem Wahrzeichen der EXPO 2000, eine Feierstunde und ein ökumenischer Gottesdienst statt. Pastor Heino Masemann und Professor Dr. Dirk Reinhardt von der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Hochschule Hannover werden sich im Namen von mehr als 800 Patienten bei den Spendern des NKR bedanken, die den Patienten mit ihrer Stammzellspende neue Hoffnung auf Leben geschenkt haben.
Das Knochenmark eines gesunden Menschen bildet ständig neue Blutstammzellen. Ihre Fähigkeit, sich zu den verschiedenen Blutzelltypen zu differenzieren, prädestiniert sie als Spendermaterial für Patienten mit einer Erkrankung des blutbildenden Systems. Helfen den Patienten medikamentöse Therapien nicht mehr, ist eine Transplantation von Stammzellen die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu retten.
Histologisch lassen sich drei Arten von Mark voneinander unterscheiden: das rote, das gelbe und das weiße Knochenmark. Im Laufe des Lebens bildet sich das rote Mark nach und nach zugunsten des gelben Fettmarks zurück. Bei älteren Erwachsenen ist es nur noch in den platten und den kurzen Knochen enthalten.
Blutzellen entstehen ausschließlich im roten Knochenmark aus nur einer einzigen Zellform, den Stammzellen, auch Hämozytoblasten genannt. Diese teilen sich in zwei Zellen: einen neuen Hämozytoblasten und eine sogenannte Vorläuferzelle, die unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren entweder zu einem Erythrozyten, einem Leukozyten oder einem Thrombozyten heranreift.
Erkrankungen des Knochenmarks
Die bekannteste Störung des blutbildenden Systems ist die Leukämie, die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter. Bei Leukämie-Patienten entstehen in großen Mengen funktionsuntüchtige Vorläuferzellen der Leukozyten, die Produktion von Erythrozyten und Thrombozyten geht gleichzeitig zurück. So kommt es im Verlauf der Erkrankung zu einem Mangel an allen drei Blutzelltypen.
Im Unterschied dazu sind bei Patienten mit Myelodysplastischem Syndrom Stammzellen genetisch verändert und dadurch nicht fähig, sich zu gesunden Blutzellen zu teilen. Daher entstehen nur undifferenzierte Zellen, die ihre Funktion nicht wahrnehmen können. Ebenso wie bei der Leukämie kommt es zu einem Mangel an reifen Blutzellen. Am Myelodysplastischen Syndrom erkranken vorwiegend ältere Menschen.
Eine Knochenmarksdepression, bei der zu wenig Blutzellen gebildet werden, kann zum Beispiel Folge einer Überdosis an ionisierenden Strahlen sein, auch unter dem Namen Strahlenkrankheit bekannt. Diese Blutarmut führt zu einer Unterversorgung der Körperzellen mit Sauerstoff, zu einer erhöhten Blutungsneigung und einer geschwächten Immunabwehr.
Nur für Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) stehen als Arzneistoffe monoklonale Antikörper wie die Tyrosinkinaseinhibitoren Imatinib und Dasatinib zur Verfügung, die eine Transplantation ersetzen. In allen anderen Fällen erhalten die Patienten eine Chemotherapie, bevor ihnen die Stammzellen des Spenders übertragen werden. Um überleben zu können, benötigen die Patienten zum Aufbau eines gesunden blutbildenden Systems dann entweder eigene, zuvor entnommene Stammzellen oder Zellen eines geeigneten Spenders.
Suche nach dem genetischen Zwilling
Wie bei jeder anderen Organtransplantation ist die Aussicht auf Erfolg umso größer, je ähnlicher die Gewebemerkmale von Spender und Empfänger sind. Enge Verwandte wie Eltern, Kinder oder Geschwister kommen deshalb am ehesten infrage. Ist dies jedoch nicht möglich, beginnt die Suche nach einem sogenannten Fremdspender. Aufgrund der millionenfachen Variationen der etwa 6000 bisher bekannten Human Leucocyte Antigenes (HLA), die für die Kompatibilität des Spendermaterials verantwortlich sind, gestaltet sich die Suche sehr schwierig. Mit jedem Merkmal, das nicht übereinstimmt, sinkt die Chance für eine erfolgreiche Transplantation, und das Risiko für eine Abstoßungsreaktion steigt. Große Datenbanken mit den Gewebemerkmalen der potenziellen Spender sind international vernetzt, um die Aussicht auf Erfolg zu maximieren. Obwohl weltweit über 13 Millionen Spender registriert sind, findet in Deutschland jeder fünfte Patient keinen passenden Spender.
Jeder Erwachsene zwischen 18 und 55 Jahren kann sich als Spender typisieren lassen. Aus einem Wangenabstrich oder einer Probe von etwa fünf Millilitern Blut bestimmt ein Labor die wichtigsten HLA-Werte, die anschließend das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschlands (ZKRD) in verschlüsselter Form bis zum 61. Lebensjahr des Spenders oder bis zu dessen Widerruf speichert. Proben zur Typisierung kann der Hausarzt entnehmen, aber auch Organisationen wie die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS), das Deutsche Rote Kreuz (DRK) oder das NKR veranstalten deutschlandweit mehrmals jährlich Typisierungsaktionen. Für die Finanzierung der Typisierung sind die Organisationen auf Spendengelder angewiesen. So können auch diejenigen, die sich selbst nicht als Spender zur Verfügung stellen möchten oder dürfen, einen Beitrag zum Ausbau dieser wichtigen Datenbanken leisten.
Grundsätzlich darf jeder gesunde Erwachsene zwischen 18 und 61 Jahren, der als Blutspender infrage kommt, Stammzellen spenden. Steht ein Spender einmal für längere Zeit nicht zur Verfügung, zum Beispiel wegen eines Auslandsaufenthalts, einer Schwangerschaft oder während der Stillzeit, sollte er seine Daten für diesen Zeitraum sperren lassen.
Alle Ausgaben, die durch die Vorbereitung und die eigentliche Transplantation bedingt sind, beispielsweise Verdienstausfall und Fahrgeld, übernimmt die Spenderdatei, die auch eine Versicherung für den Spender abschließt.
Möglichkeiten der Stammzellgewinnung
Grundsätzlich lassen sich Stammzellen auf drei Arten übertragen beziehungsweise gewinnen: durch die periphere Blutstammzellspende, aus Knochenmark oder Nabelschnurblut. Sobald der potenzielle Spender die Nachricht erhalten und seine Zustimmung erteilt hat, bestimmt ein Labor weitere Gewebemerkmale, Hepatitis- und HIV-Marker sowie andere Risikofaktoren, um noch einmal ganz aktuell seinen Gesundheitszustand und seine Spendefähigkeit zu beurteilen.
Steht der Spende nichts mehr im Wege, hat der Spender grundsätzlich ein gewisses Mitspracherecht bei der Entscheidung, welche Methode der Stammzellgewinnung angewendet werden soll. Auf die periphere Blutstammzellspende bereitet der Arzt den Spender wie folgt vor: Um das Knochenmark zu einer vermehrten Bildung von Blutstammzellen anzuregen, spritzt er ihm fünf bis sieben Tage subkutan das Hormon G-CSF (Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor). An ein oder zwei Tagen filtert dann ein Zellseparator für einige Stunden die Stammzellen aus dem Blut des Spenders.
Die Gewinnung von Stammzellen aus dem Knochenmark erfolgt in einer Operation unter Vollnarkose. Dabei wird dem Spender etwa ein Liter Blut-Knochenmark-Gemisch aus dem Beckenkamm abgesaugt. Diese Methode ist immer mit einem Klinikaufenthalt verbunden und kommt nur in etwa 10 Prozent der Fälle zur Anwendung.
Die risikoärmste Art der Stammzellgewinnung ist die Nabelschnurblutspende. Direkt nach der Geburt eines Kindes können die Eltern das Blut der Nabelschnur zur Stammzellgewinnung spenden. Diese Zellen sind noch äußerst anpassungsfähig und für den Empfänger besonders gut verträglich, stehen aber bislang nur in geringen Mengen zur Verfügung. Viele Eltern entscheiden sich auch häufig dafür, das Nabelschnurblut für einen eventuellen späteren eigenen Bedarf einfrieren zu lassen. Alle Kliniken, in denen Nabelschnurblutspenden möglich sind, finden Interessierte im Internet unter www.lebenschenken.de
Übertragung der lebens- rettenden Zellen
Sobald der passende Spender gefunden ist, bereitet die Klinik den Patienten auf die Zellübertragung vor. Mit einer Chemo- oder Strahlentherapie zerstören die Mediziner zuerst das kranke Knochenmark des Patienten. Ab dann wäre der Empfänger ohne die Spenderzellen nur noch begrenzt lebensfähig. Bei der eigentlichen Transplantation infundiert der Arzt die Stammzellen des Spenders in die Vene des Patienten. Den Weg ins Knochenmark finden diese Zellen von selbst und vernichten dort auch eventuelle Reste des Knochenmarks des Empfängers. Nach etwa zehn Tagen beginnen die ehemaligen Spenderzellen mit der Produktion von Hämozytoblasten. Während der gesamten Zeit muss der Patient besonders gut vor Infektionen geschützt werden, da sein Immunsystem stark geschwächt ist. Zum einen enthält es keinerlei Antikörper mehr gegen überstandene Infektionskrankheiten, zum anderen verhindert die Therapie mit Immunsuppressiva eine Abstoßungsreaktion auf die transplantierten Zellen.
In Deutschland haben Spender das Recht und die Möglichkeit, sich über den Genesungsverlauf »ihres« Empfängers zu informieren. Außerdem ist es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sogar möglich, dass sich Spender und Empfänger nach einer datenschutzrechtlich vorgeschriebenen Frist von zwei Jahren persönlich kennenlernen, wenn beide es wünschen. /
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