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Historisches

Wider den grimmigen Zahnwurm

25.05.2012  17:33 Uhr

Von Ernst-Albert Meyer / »Zahnschmerz geht über Weltschmerz!« Dieser alte Spruch belegt, dass die Menschen Zahnschmerzen schon seit Urzeiten als sehr unangenehm empfanden – und ­deshalb nach Wegen suchten, die Beschwerden schnell wieder verschwinden zu lassen. In der Antike empfahlen Ärzte eine ­Vielzahl – aus heutiger Sicht – meist äußerst kurioser Therapien bei Zahnerkrankungen.

Mehr als dreieinhalb Jahrtausende glaubten die Menschen, dass ein kleiner Wurm im Zahn dessen kariöse Zerstörung und die Zahnschmerzen verursacht. Die erste Beschreibung über die Entstehung des ominösen »Zahnwurmes« findet sich um 1800 v. Chr. in der mesopotamischen Heilkunde: »Als Anu den Himmel erschaffen, der Himmel die Erde ..., … der Sumpf den Wurm ..., da ging der Wurm weinend zu Schamasch (dem Sonnengott) … Hebe mich auf und lass mich zwischen Zähnen und Zahnfleisch wohnen! Der Zähne Blut will ich trinken, des Zahnfleisches Wurzeln will ich fressen!«

Zur Zahnbehandlung sollten die Gepeinigten folgende Beschwörungsformel dreimal aufsagen: »Weil du dieses sagtest, Wurm, möge dich (der Gott) Ea schlagen mit seiner starken Hand!« Glücklicherweise blieb es nicht nur bei diesen Worten, zusätzlich legten die Heilkundigen eine schmerzlindernde Mischung aus verschiedenen Arzneien auf und in den Zahn.

Der Leibarzt des römischen Kaisers Claudius, Scribonius Largus, empfahl im 1. Jh. n. Chr., den Zahnwurm durch Räucherungen mit dem narkotisch wirkenden Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) abzutöten. »Manchmal wird dabei etwas, das wie kleine Würmer aussieht, herausbefördert«, war sich der Mediziner sicher. Räucherungen gegen den Zahnwurm sind auch aus dem Mittelalter überliefert, zum Beispiel bei Hildegard von Bingen.

Hippokrates und Karies

Viele Ärzte der Antike beschrieben in ihren Werken ausführlich die Zähne und ihre Erkrankungen. Schon der Papyrus Ebers, ein ägyptisches Handbuch aus der Zeit um 1550 v. Chr., enthält elf Rezepturen für Zähne, darunter Pasten, die den Zähnen Halt geben sollen, und solche, die gegen Schmerzen und Abszesse wirken.

Der weit gereiste griechische Historiker Herodot (um 484 bis um 420 v. Chr.) lobte nach seiner Rückkehr aus Ägypten die hohe Spezialisierung der dortigen Ärzte: »Dieses Land ist voller Ärzte, es gibt solche für die Augen, den Kopf, die Zähne, den Mund und für die noch ungeklärten Krankheiten.«

Der berühmte griechische Arzt Hippokrates (460 bis 380 v. Chr.), der sich ebenfalls ausführlich mit Zahnerkrankungen beschäftigt hat, schwor hingegen der Zahnwurm-Theorie ab und beschrieb erstmals äußere Faktoren als Ursache für die Karies: »Die Kälte ist ein Feind der Zähne, die wegen Schleimansammlungen unter den Wurzeln schmerzhaft werden. Karies tritt auf, weil die Zähne durch diesen Schleim und Nahrungsmittelüberreste angegriffen werden; dabei werden vor allem die schwächsten und die am wenigsten verwurzelten befallen.«

Seine Therapien sind zum Teil eigenartig: Gegen Zahnfleischschwellungen und Zahnschmerzen empfahl der Arzt das Gurgeln mit Pfeffer und Bibergeil (die getrockneten zwischen After und Geschlechtsteil des Bibers liegenden Drüsensäcke). Gegen Abszesse im Mund sollte ein Sud aus getrockneten Linsen helfen. Zu Aderlass und Umschlägen mit Aloe riet er bei geschwulstartigen Entzündungen des Zahnfleisches.

Interessant ist, dass Hippokrates wie auch andere Ärzte der Antike eine Zahnextraktion nur in seltenen Fällen befürworteten. Das Zahnziehen galt damals als äußerst gefährliche Operation. Hippokrates hielt die Extraktion nur bei kariösen und wackeligen Zähnen für berechtigt und dann auch nur in sehr dringenden und leicht ausführbaren Fällen. Ansonsten sollte der Zahn durch Ausbrennen getrocknet werden.

Viele Zähne – langes Leben

Der griechische Gelehrte und Philosoph Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.) meinte, aus dem Zustand der Zähne lasse sich die Lebenserwartung ableiten: »Jene, die eine größere Anzahl von Zähnen aufweisen, haben im Allgemeinen auch eine höhere Lebenserwartung, während jene, die weniger und weiter auseinander stehende Zähne besitzen, nicht so lange leben. Die männlichen Lebewesen haben mehr Zähne als die weiblichen; dies gilt für die Menschen wie für Schafe, Ziegen und Schweine.«

Unter Kaiser Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.) gewannen in Rom hygienische und kosmetische Aspekte eine große Bedeutung. So achteten die Römer peinlich auf Sauberkeit und besonders auf strahlend weiße Zähne. Um dies zu erreichen, boomte der Handel mit Zahncremes. Die Zusammensetzung der Zahnpasta, die Octavia, die Schwester des Kaisers benutzte, ist der Nachwelt erhalten geblieben: Kohle von verschiedenen Pflanzen, verbranntes Horn vom Hirschgeweih, Salz, Alaun und Glas in Puderform. Als Geschmacksstoffe wurden wohlriechende Pflanzen hinzugefügt.

Heute kaum nachvollziehbar ist die im Römischen Reich übliche Verwendung von Urin zum Zähneputzen. Besonders vornehme Frauen benutzten Urin, da er die Zähne angeblich schön weiß machte. Die Aufbewahrung des Urins erfolgte in wertvollen Alabastervasen. Da der Urin der Römer als minderwertig galt, wurde er aus Spanien importiert. Nur mit diesem ließe sich der höchste Zahnweiß-Effekt erzielen, glaubte man jedenfalls.

Mundhygiene für Könige

Während die Zahnbürste erst circa 300 Jahre alt ist, sind die Berichte über eine wirksame Mundhygiene viel älter. Als Sohn eines Arztes war Aristoteles an das regelmäßige Zähneputzen gewöhnt. Deshalb ermahnte er um 343 v. Chr. seinen Schüler Alexander, den späteren Eroberer eines Weltreiches, »seine Kauwerkzeuge allmorgendlich nach dem Aufstehen mittels eines rauen Leinentuches zu reinigen.«

Der Dichter Martial (um 40 bis um 104 n. Chr.) berichtet, dass die eleganten Römerinnen Stoffläppchen mit fein pulverisiertem Bimsstein sowie Marmorstaub benutzten, um eine makellose Sauberkeit ihrer Zähne zu erreichen. Mundgeruch war auch damals schon verpönt: Deshalb kaute man im Anschluss an die Morgentoilette und nach den Mahlzeiten aromatische Pflanzen und Hölzer. Zur Entfernung von Speiseresten dienten Zahnstocher, die aus dünnen Pistazienzweigen geschnitzt wurden. Übrigens: Der Zahnstocher musste sogar im Jahr 289 n. Chr. als »Tatwaffe« für einen Mord herhalten. Es war bekannt, dass Agathokles, der Tyrann von Syrakus, »nach den Mahlzeiten Zähne und Zahnfleisch mit einem Federkiel von Speiseresten befreite.« Ein bestochener Diener präparierte den Federkiel mit »einem fressenden Gift«. Nach Gebrauch dieses Zahnstochers starb der Tyrann qualvoll.

Zahnziehen wird Mode

Der Römer Aulus Cornelius Celsus, der wahrscheinlich auch Arzt war, erkannte im 1. Jh. n. Chr. erstmals die Bedeutung der Prophylaxe. Zahnschmerzen bezeichnete er als die größte aller Qualen. Um diesen vorzubeugen, sollten Wein und bestimmte Nahrungsmittel gemieden, hingegen Schlankheits- und Abführmittel sowie beruhigende und adstringierende Lösungen genommen werden. Unter seinem Einfluss wurden Zahnextraktionen häufiger durchgeführt. Vor dem Zahnziehen mussten die Patienten Arzneien einnehmen, die Opium, Pfeffer, Bertramwurz (wahrscheinlich Radix Pyrethri) und Schwefel enthielten.

Doch nicht jeder wackelige Zahn wurde gleich gezogen. Celsus führte die ersten Reimplantationen durch. Wackelige Zähne befestigte er wieder, indem er das kranke Zahnfleisch ausbrannte. Saßen die Zähne infolge eines Schlages oder Sturzes lose, befestigte er sie kunstvoll mit Gold- und Seidenfäden. Außerdem empfahl er, einen kariösen Zahn zu plombieren statt zu ziehen. Die von Karies verursachten Löcher wurden damals unter anderem mit Blei oder Gold gefüllt.

Als Ursache der Karies sah der bedeutende griechische Arzt Galen (129 bis 199) entgegen der zu seiner Zeit vorherrschenden Meinung in einem »verdorbenen Saft« und nicht im übermäßigen Milchgenuss. Galen erkannte, dass die Empfindlichkeit des Zahnes vom Nerven in der Wurzel abhängig ist. Patienten mit Zahnschmerzen verordnete er Dampfbäder und Bilsenkraut-Präparate. Gegen Mundgeruch riet Galen zu Nießwurz (Veratrum album) oder Ingwer. Manche seiner Rezepte sind ziemlich abstoßend: Um das Zahnwachstum der Kinder zu fördern, empfahl er ein Mundwasser aus Hundemilch oder aus Hasenhirn.

Bei anhaltenden Schmerzen wurde der Zahn mit einem kleinen Bohrer angebohrt und in die Zahnöffnung mittels einer Sonde bestimmte Heilmittel eingeführt. Blieb der Erfolg aus, wurde auf den kranken Zahn Mutterkraut-Puder (Kamille) mit starkem Essig aufgetragen, um den Zahn zu lockern. Nach einer Stunde sollte der Zahn so beweglich sein, dass er leicht mit der Zange oder sogar mit den Fingern heraus­gezogen werden konnte.

Die ersten Prothesen

Die Frage, ob im Altertum als Ersatz für fehlende Zähne schon Zahnprothesen gefertigt und eingesetzt wurden, lässt sich aus den medizinischen Werken der Antike nicht beantworten. Auch nicht bei den Autoren, die sich ausführlich mit den Zähnen und ihren Erkrankungen beschäftigten. Und doch waren sie bei den Griechen, mit Sicherheit aber bei den Römern schon bekannt. In den Gräbern der Etrusker, die vor den Römern in der Toskana lebten, wurden Skelette mit Zahnprothesen gefunden. Kunstvoll waren hier fehlende Zähne in zusammengelötete Goldringe eingearbeitet. Die Goldringe wurden auf vorhandene Zähne aufgesetzt und gaben so der Prothese den notwendigen Halt.

Der Dichter Lucanus (39 bis 65 n. Chr.) schrieb: »Bald darauf wurde ich der Geliebte einer älteren Dame; ich lebte ziemlich üppig auf ihre Kosten und gab vor, in diese siebzigjährige Schönheit verliebt zu sein, der nur noch vier Zähne, die an einem Goldfaden hingen, übrig geblieben waren.«

Die Gräberfunde und die Literaturstellen lassen den Schluss zu, dass in der Antike nicht Ärzte sondern Handwerker in großer Kunstfertigkeit Teilprothesen, Zahnhauben aus Gold und Brücken herstellten. Überliefert ist der Name eines dieser »Zahntechniker«: Er hieß Cascellius und besaß im 1. Jh. n. Chr. eine kleine Werkstatt in Rom. /

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