Beratungshinweise bei Psychopharmaka |
22.06.2012 17:00 Uhr |
Von Ursula Sellerberg, Meran / Schizophrenie und Depression sind häufige psychische Erkrankungen. Wie PTA und Apotheker bei diesen Krankheiten die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern können, darüber informierten Isabel Waltering und Olaf Rose während eines Seminars auf dem 50. Fortbildungskongress der Bundesapothekerkammer in Meran.
Beide Referenten haben an der Universität von Florida (USA) Klinische Pharmazie studiert und dort den Titel PharmD (Doctor of Pharmacy) erworben. »Klinische Pharmazie ist nicht meckern, sondern entscheiden«, wandte sich Apotheker Olaf Rose an die Semi- narteilnehmer. Im Mittelpunkt der Klinischen Pharmazie stehe der Patient und der individuelle Nutzen, den dieser von seiner Arzneimitteltherapie hat. Im Beratungsgespräch können PTA oder Apotheker den Patienten auch auf mögliche Wechselwirkungen hinweisen, besonders mit OTC-Arzneimitteln. Vor allem bei Patienten mit einer Kundenkarte haben sie einen Überblick über alle Arzneimittel, die diese verordnet bekommen und in der Selbstmedikation kaufen. Dann können PTA oder Apotheker beispielsweise aus den Neben- und Wechselwirkungen aller Medikamente, die der Patient einnimmt, Empfehlungen ableiten. Ihm unter anderem raten, zu welcher Tageszeit er ein bestimmtes Arzneimittel einnehmen und bei welchen Arzneistoffen er einen gewissen zeitlichen Abstand einhalten sollte.
Zu einer patientenorientierten Empfehlung gehöre das Medication Therapy Management (MTM), informierten die Referenten. Für ein MTM benötigt der Apotheker Angaben zur Diagnostik, zur Indikation der Arzneimittel sowie zur Krankengeschichte und formuliert eine Kurzbeschreibung des Patienten. Das MTM sei eine anspruchsvolle Aufgabe und eine eigenständige Dienstleistung des Apothekers für den Arzt, der durch das MTM Entscheidungshilfen zur Therapie erhält. Ein MTM kann der Apotheker nur erstellen, wenn er vom Arzt weitere Daten des Patienten erhält, beispielsweise dessen Laborwerte. Nach dieser Bestandsaufnahme wird geprüft, ob die aktuelle Medikation zu den Indikationen und den Therapiezielen des Arztes beziehungsweise des Patienten passt. Bei der Erstellung eines MTM berücksichtigt der Apotheker die aktuellen Leitlinien, die Dosierungen und die Neben- beziehungsweise Wechselwirkungen aller Arzneimittel. Je nach Alter des Patienten bezieht er auch die Priscus-Liste mit ein. Diese Liste mit Wirkstoffen, die für geriatrische Patienten ungeeignet sind, finden Interessierte unter www.pris cus.net. Das Ziel des MTM ist es, für den Arzt eine genaue Therapieempfehlung zu erarbeiten, inklusive Vorschlägen für die Überwachung der Laborwerte und zur Schulung des Patienten. Für den Patienten selbst erstellt der Apotheker einen Medikationsplan, gibt also für alle Medikamente Einnahmeempfehlungen.
Möglichst früh verordnen
Die Therapietreue der Patienten mit psychischen Erkrankungen ist häufig sehr schlecht. Das liegt einerseits an den Nebenwirkungen der Arzneimittel und andererseits an dem oft erst relativ späten Wirkungseintritt. Schizophrenie-Patienten müssen beim erstmaligen Auftreten der Erkrankung in der Regel ein bis zwei Jahre lang konsequent Neuroleptika einnehmen.
Etwa 1 Prozent aller Menschen erleidet mindestens einmal im Leben einen Schub, meist Erwachsene zwischen dem 18. und 40. Lebensjahr. Die Erkrankten sind extrem suizidgefährdet: Rund 10 Prozent der Betroffenen sterben durch Selbstmord, 50 Prozent unternehmen einen Selbstmordversuch. Je früher eine Schizophrenie behandelt wird, desto besser ist die Prognose. Grundsätzlich sollten alle Antipsychotika einschleichend dosiert werden.
Leitsubstanz der Neuroleptika der ersten Generation ist Haloperidol. Typische Nebenwirkungen dieser Wirkstoffgruppe sind extrapyramidal-motorische Störungen, die sich in Zuckungen, Zittern und Unruhe äußern. Manche Patienten sind sogar unfähig, eine kurze Zeit sitzen zu bleiben.
Heute verordnen Ärzte bevorzugt Neuroleptika der zweiten Generation, auch atypische Neuroleptika genannt. Zu dieser Gruppe zählen unter anderem die Wirkstoffe Clozapin (Leponex®), Risperidon (Risperdal®), Ziprasidon (Zeldox®) und Aripripazol (Abililfy®), Olanzapin (Zyprexa®) und Quetiapin (Seroquel®). Als Nebenwirkungen treten je nach Wirkstoff Abgeschlagenheit und metabolische Störungen wie erhöhte Blutfettwerte oder Diabetes auf. Einige Arzneistoffe führen zu einer deutlichen Gewichtszunahme, im Durchschnitt steigt das Körpergewicht um etwa 7 Prozent. Das belastet die Patienten oft sehr. Allerdings sind die Nebenwirkungen nicht bei allen Neuroleptika der zweiten Generation gleich stark ausgeprägt.
Unter der Voraussetzung, dass die Erkrankten die Medikamente wie vom Arzt vorgesehen einnehmen, sind nach einem Jahr rund 80 Prozent der Patienten »geheilt«. Doch daran hapert es oft. Ein Grund für die geringe Therapietreue ist die Tatsache, dass die Nebenwirkungen relativ schnell einsetzen, die erwünschte Wirkung aber erst nach mehreren Wochen. Darüber gezielt zu informieren, ist eine gute Möglichkeit für PTA und Apotheker, die Compliance zu verbessern und so die Therapie zu fördern. Im Rahmen eines unterstützenden Screenings kann das Apothekenteam unter anderem den Blutdruck oder die Blutfettwerte des Patienten messen.
Anregen oder sedieren
An erster Stelle der psychischen Erkrankungen stehen in Deutschland die Depressionen. Schätzungsweise vier Millionen Bundesbürger sind betroffen. Doch die Dunkelziffer ist hoch und gerade bei älteren Menschen werden depressive Symptome oft als normale Alterserscheinungen verkannt. Eine Depression wird chronisch, wenn sie nicht ausreichend behandelt wird. Manche Patienten nehmen ihr Antidepressivum in zu geringer Dosierung ein, andere nicht lange genug.
Depressionen können auch als Folge einer anderen Erkrankung entstehen, zum Beispiel durch Demenz, Parkinson oder Diabetes. Als Beispiele für Arzneistoffe, die Depressionen auslösen können, nannte Waltering unter anderem die Antibabypille, Glucocorticoide, Betablocker und Antibiotika wie Gyrasehemmer.
Je nach Arzneistoff wirkt ein Antidepressivum antriebssteigernd oder sedierend. Alle älteren tri- und tetrazyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin wirken sedierend. Antriebssteigernde Effekte haben die Wirkstoffklassen der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Citalopram, Escitalopram (Cipralex®), Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin, der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Reboxetin (Edronax®) und der selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI) wie Venlafaxin (Trevilor®) Duloxetin (Cymbalta®), Bupropion (zum Beispiel Elon- tril®). Eine Sonderstellung nimmt Mirtazapin ein: In geringen Dosierungen wirkt es sedierend, in Dosierungen über 30 Milligramm täglich hingegen antriebssteigernd. Auch Johanniskraut- extrakte haben einen aktivierenden Effekt.
Nicht verunsichern
Aus den Eigenschaften der jeweiligen Antidepressiva können PTA und Apotheker Einnahmeempfehlungen ableiten. So sollten die Patienten aktivierende Medikamente besser morgens einnehmen, sedierende eher abends. Die Stärke der Nebenwirkungen unterscheidet sich von Wirkstoff zu Wirkstoff. Klagt ein Patient zum Beispiel über Übelkeit oder Unruhe, kann dies an der Einnahme eines SSRI liegen. Der Patient sollte das Arzneimittel aber nicht abrupt absetzen. Waltering warnte auch davor, im Beratungsgespräch zu weit vorzupreschen und einen verordneten Wirkstoff als »ungeeignet« zu bezeichnen – das kann den Patienten verunsichern und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stören.
Im Beratungsgespräch sollten PTA oder Apotheker den Patienten auch auf mögliche Wechselwirkungen mit OTC-Arzneimitteln hinweisen. So interagieren die SSRI beispielsweise mit Triptanen, von denen einige rezeptfrei erhältlich sind. Außerdem sollten Patienten, die SSRI einnehmen, aufgrund möglicher Wechselwirkungen den Hustenstiller Dextromethorphan nicht erhalten.
Da die Nebenwirkungen bei allen Antidepressiva sofort auftreten, die erwünschte antidepressive Wirkung jedoch erst nach zum Teil acht bis zwölf Wochen, ist die Einnahmetreue der Patienten gefährdet. »Das kann dazu führen, dass Patienten ein Antidepressivum erhalten und in der Anfangsphase unter Nebenwirkungen wie Unruhe und Schlaflosigkeit leiden«, so Waltering. »Statt sich dann vom Arzt zusätzlich ein Beruhigungsmittel verordnen zu lassen, rate ich Patienten zu etwas Geduld.« So ließe sich eine unnötige Verschreibungskaskade vermeiden. Als Verschreibungskaskade wird der Prozess bezeichnet, wenn der Patient ein Medikament nur zur Behandlung der Nebenwirkungen eines anderen Medikaments einnimmt. Der Hinweis auf den verzögerten Wirkungseintritt der Antidepressiva gehöre deshalb bei jeder Erstverordnung zum Beratungs- gespräch, riet die Apothekerin. Klagt ein Patient bei der Einnahme eines Antidepressivums in der Anfangsphase über Unruhe, können PTA oder Apotheker ihm auch ein pflanzliches Beruhigungsmittel empfehlen, zum Beispiel mit Baldrianextrakt. Waltering: »Das ist besser, als dass der Patient die Therapie in Eigenregie absetzt.« /
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