Besser als ihr Ruf |
22.06.2012 16:35 Uhr |
Von Andrea Pütz / Ob in Light-Getränken, Konserven, Kaugummis oder in Kaffee, Tee & Co.: Süßstoffe sind vielfältig einsetzbar und nach wie vor sehr beliebt. Um die meist synthetischen Substanzen kursieren immer wieder Gerüchte, die zahlreiche Verbraucher verunsichern. Dabei lauern beim üblichen Verzehr keinerlei Gefahren.
Neben den gängigsten Süßstoffen Aspartam und Saccharin können Verbraucher zwischen Acesulfam, Cyclamat, Neohesperidin, Sucralose, Thaumatin und einigen Süßstoff-Gemischen wählen. Ganz aktuell: Seit Dezember 2011 erobert auch die Süße aus der Stevia-Pflanze den deutschen Markt. Für welche Substanz sich die Verbraucher letztlich entscheiden, ist reine Geschmackssache.
Unter rechtlichen Aspekten fallen die Süßstoffe – ob synthetischer oder natürlicher Herkunft – unter die Lebensmittelzusatzstoffe und unterliegen somit bestimmten Rahmenbedingungen. Einsatz finden sie bei der Herstellung kalorienreduzierter Lebensmittel und diätetischer Produkte sowie als Tafelsüße in Tabletten- oder Streuform sowie als Flüssigkeit.
Mengenmäßig klar begrenzt dürfen Süßstoffe folgenden Produktgruppen zugesetzt werden: nicht-alkoholischen Getränken, Dessertspeisen und ähnlichen Erzeugnissen sowie Süßwaren, zu denen Konfitüren, Marmeladen, Obstkonserven, Senf und Saucen gehören. Auch Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel dürfen Süßstoffe enthalten.
Gesundheitliche Bewertung
Lebensmittelzusatzstoffe sind zulassungspflichtig. Für die Bewertung von Süßstoffen aus Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsländern ist eine europäische Behörde, die EFSA (= European Food Safety Authority), zuständig. Sie entscheidet auf Basis klar definierter Kriterien (Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food, ANS), ob die gesundheitliche Unbedenklichkeit erwiesen ist. Aus Tierexperimenten werden die Dosierungen des jeweiligen Süßstoffes ermittelt, bis zu welcher keine unerwünschten Wirkungen auftraten. Diesen Wert nennt man NOAEL, die Abkürzung für »No-Observed-Adverse-Effekt-Level«. Geteilt durch einen Sicherheitsfaktor (meist 100) leitet sich daraus der ADI-Wert ab (Acceptable Daily Intake). Das ist diejenige Menge in mg pro kg Körpergewicht, die täglich und lebenslang verzehrt werden kann, ohne dass gesundheitliche Schäden zu befürchten sind. Im Rahmen »normaler« Verzehrsmengen wird jedoch niemand die ADI-Werte erreichen und gelegentliche Überschreitungen sind durchaus tolerabel. Als Ausnahme bei den Einzelsubstanzen gilt der natürlich wie synthetisch gewonnene Süßstoff Thaumatin: Nach langer Prüfung wurde der aus den Beeren der westafrikanischen Katamfe-Pflanze gewonnene Süßstoff auch bei höheren Dosierungen als absolut sicher erklärt, sodass kein ADI existiert. Thaumatin ist jedoch sehr teuer und wird aus diesem Grund kaum verwendet. Süßstoffmischungen erhielten keine ADI-Werte. Die unschädlichen Aufnahmemengen muss der Verbraucher in diesem Fall von den Einzelstoffen ableiten – falls die Konzentration deklariert ist.
Mehr Transparenz
Die Kennzeichnung von Süßstoffen und mit Süßstoffen hergestellten Produkten ist in der Europäischen Union klar geregelt. Die Deklaration »mit Süßungsmittel(n)« zählt zu den Pflichtangaben auf dem Etikett und wird durch die Auflistung im Rahmen der Zutatenliste – meist als E-Nummer – ergänzt. Kombiniert der Hersteller den Süßstoff mit Zucker, so lautet die Aufschrift: »mit einer Zuckerart und Süßungsmittel(n)«.
Über dieses Thema streiten sich nach wie vor zahlreiche Wissenschaftler. Wie so oft hat eine einzige Studie das Gerücht ins Rollen gebracht: Im Rahmen der berühmten »Ratten-Studie« aus den 1960er-Jahren sind die Versuchstiere mit extrem hohen Dosen an Süßstoffen gefüttert worden (Cyclamat und Saccharin). Einige entwickelten Blasenkrebs. Die Forscher vermuteten eine Reaktion zwischen Saccharin und dem Eiweiß Globulin. Aber: Um denselben Pegel zu erreichen, müsste eine Menge Süßstoff aufgenommen werden, die circa 4000 Süßstofftabletten oder 20 Kilogramm Zucker pro Tag entspricht. Dies ist mit der menschlichen Ernährung nicht im Entferntesten zu vergleichen! Auch Aspartam stand unter Krebsverdacht, denn bei der Verstoffwechselung des Süßstoffs entstehen geringe Mengen an Methanol, das in größeren Mengen die Krebsentstehung fördert. In verzehrsüblichen Mengen ist Aspartam aber unschädlich, folgerte die EFSA. Dies gilt auch für die anderen in der EU zugelassenen Süßstoffe.
Menschen mit Phenylkentonurie (PKU) müssen aufgrund ihrer Erkrankung die Aminosäure Phenylalanin konsequent vermeiden. Deswegen ist auch der Süßstoff Aspartam für sie tabu, da er Phenylalanin enthält. Um diesen Patienten die Lebensmittelwahl zu erleichtern, sind Aspartam-haltige Produkte mit dem Hinweis »enthält eine Phenylalaninquelle« oder »mit Phenylalanin« gekennzeichnet. Da sich der ADI-Wert der Süßstoffe auf das Körpergewicht bezieht, sollten Süßungsmittel bei Kindern und Jugendlichen bewusst niedriger dosiert werden!
Die Steviapflanze hat eine Karriere mit vielen Hindernissen hinter sich. Bis vor Kurzem war das reine Kraut in Deutschland nicht zugelassen. Es fällt unter die Novel-Food-Verordnung und musste seine gesundheitliche Unbedenklichkeit zuerst unter Beweis stellen. Das hat in diesem Fall viel Zeit in Anspruch genommen, denn als natürliches Produkt schwankt die Zusammensetzung der Pflanze je nach Herkunft, Erntezeitpunkt und Wachstumsbedingungen. Dies erschwerte die Bewertung durch die EFSA. Seit Dezember 2011 können Hersteller Stevia nun mit der Nummer »E 960« als Süßstoff für diverse Lebensmittel einsetzen.
Wie ist das gelungen? Durch ein definiertes Extraktionsverfahren der Stevioglykoside, der süß schmeckenden Inhaltsstoffe, verliert der Auszug zwar an Natürlichkeit, gewinnt aber in Sachen Sicherheit. Toxikologische Untersuchungen wiederlegten Befürchtungen zu gentoxischen, teratogenen und cancerogenen Effekten des Krautes. Nach der EFSA-Stellungnahme gelten bis zu 4 mg Steviolglycoside pro kg Körpergewicht bei täglichem Verzehr als gesundheitlich unbedenklich.
Für Figurbewusste
Im Vergleich zu Haushaltszucker (Saccharose) haben Süßstoffe eine enorme Süßkraft und dabei fast keine Kalorien. Das macht sie zum perfekten Hilfsmittel, um die geschmackliche Qualität energiereduzierter oder zuckerfreier Lebensmittel zu verbessern. So können Süßstoffe den Speiseplan Abnehmwilliger sinnvoll bereichern. Der Übergewichtige oder Figurbewusste spart Kalorien ein, ohne komplett auf die süßen Verführungen des Lebens verzichten zu müssen. Wie entstand das Gerücht, dass Süßstoffe zu Heißhunger führen und dick machen? In den 1990er-Jahren sorgten zwei Studien für Furore. Personen, die mit Süßstoff gesüßtes Wasser und gesüßten Joghurt verzehrten, berichteten über stärkere Hungergefühle als die Kontrollgruppe, die pures Wasser und mit Glucose oder Stärke gesüßten Joghurt erhielt. Die Autoren der Studien leiteten daraus ab, dass Süßstoffe alleine über die Geschmackswahrnehmung »süß« eine sogenannte »kephalische Phase« auslösen. Sie würden eine Insulinsekretion und damit einen Blutglucoseabfall provozieren, der wiederum zu gesteigertem Appetit führe. Zahlreiche weitere Studien konnten diese Hypothese nicht verifizieren, ganz im Gegenteil: Süßstoffe wie Aspartam führten in der Regel dazu, dass die Teilnehmer durchschnittlich 0,2 kg pro Woche an Gewicht verloren. Weitere Arbeiten bekräftigten die Aussage, dass Aspartam und andere Süßstoffe zur Gewichtsreduktion geeignet sind. Sie machen weder hungrig noch dick. Eher die zuckerhaltigen Lebensmittel der Kontrollgruppen führten zu Heißhunger. Auch die etwa vier Millionen Diabetiker in Deutschland profitieren von dem Einsatz der Süßstoffe, denn Süßstoffe beeinflussen den Blutglucose- und Insulinspiegel nicht und sind so eine (fast) kalorienfreie Alternative zur Fructose.
Die Dosis macht das Gift
Bei manchen Menschen übernehmen die Süßstoffe eine Alibifunktion für ihren ungesunden Lebensstil. Dies sollte kein Dauerzustand sein, denn dann ist die gesundheitliche Unbedenklichkeit nicht mehr gewährleistet. Wer jeden Tag Diät-Cola oder -Limonade mit Süßstoff trinkt und andere Süßstoffprodukte exzessiv verzehrt, kann die Sicherheitslevels durchaus überschreiten. /
E-Nummer | ADI-Wert (mg/kg KG) | Süßstoffart | Süßkraftfaktor |
---|---|---|---|
950 | 0-9 | Acesulfam | 130-200 |
951 | 0-40 | Aspartam | 200 |
962 | k. B. | Aspartam-Acesulfam-Salz | 350 |
952 | 0-7 | Cyclamat | 30-50 |
959 | 0-5 | Neohesperidin DC | 400-600 |
954 | 0-5 | Saccharin | 300-500 |
960 | 0-4 | Steviolglycoside | 200-300 |
955 | 0-15 | Sucralose | 600 |
957 | k. B. | Thaumatin | 2000-3000 |
k. B. = keine Beschränkung; Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung
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