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Gedenktag

Jedes Opfer ist eines zu viel

22.06.2012  16:46 Uhr

Von Edith Schettler / Der 21. Juli ist als nationaler Gedenktag in Deutschland verstorbenen Drogenabhängigen gewidmet. Hauptanliegen der unterstützenden Vereine ist es, die Gesellschaft für Probleme drogensüchtiger Menschen und ihrer Angehörigen zu sensibilisieren.

Fast jeder macht in seinem Leben Bekanntschaft mit Suchtmitteln. Zigaretten, Alkohol, Glücks- oder Computerspiele, bestimmte Arzneimittel, das Internet – in der falschen Dosis kann vieles zu einer Droge werden und abhängig machen. Typische Alltagsdrogen älterer Menschen sind Alkohol und Medikamente, während Glücksspiel, Internet oder illegale Drogen ein hohes Suchtpotenzial für Jugendliche bergen.

Beim Konsum von Alkohol oder Tabak beobachten Kinder zunächst ihre Eltern und nehmen sich diese oft zum Vorbild, später orientieren sie sich zumeist an Gleichaltrigen oder Leitfiguren. Leben Jugendliche in einem stabilen Umfeld, ist die Gefahr gering, dass sie einer Sucht erliegen. Gibt es allerdings wiederholt größere Probleme in der Familie, in der Schule oder im Freundeskreis, steigt damit das Risiko, dass sich das Kind oder der Jugendliche in eine Scheinwelt flüchtet, um seinen Alltag erträglicher zu gestalten.

Nach Aussage der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, leben in Deutschland 2,6 Millionen Kinder in suchtbelasteten Familien und haben damit ein erhöhtes Risiko, später selbst suchtkrank zu werden. Einstiegsdrogen für eine spätere Sucht sind fast immer Alkohol und Zigaretten.

Sucht – eine Krankheit

Im Belohnungssystem des menschlichen Organismus spielt der Neurotransmitter Dopamin eine wichtige Rolle. Der Botenstoff programmiert bei Erfolgserlebnissen aller Art einen Wiederholungseffekt. So entsteht das Verlangen, angenehme Gefühle immer wieder auslösen zu wollen. Diesen wiederholten Reizen passt sich das Gehirn an, indem es die Anzahl der Zellverknüpfungen und der substanzspezifischen Rezeptoren erhöht. Werden die Nervenzellen jedoch dauerhaft überstimuliert, baut die Zelle Dopaminrezeptoren ab. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, sind dann immer höhere Konzentrationen von Dopamin nötig. In der Regel normalisieren sich sowohl die Dopaminproduktion als auch die Anzahl der Dopaminrezeptoren wieder, wenn die Substanz ausbleibt, sodass außer einem »Kater« keine weiteren körperlichen Symptome entstehen.

Bei Suchtkranken sind diese Regulationsvorgänge jedoch gestört. Daher kann sich ihr Hirnstoffwechsel nach Absetzen der Droge nicht regenerieren. Bleibt die Droge aus, reagieren sie mit schweren Entzugssymptomen. Ihre Abhängigkeit hat sich zu einer chronischen Krankheit entwickelt und ist keinesfalls Ausdruck eines schwachen Willens oder schlechten Charakters. Neben bestimmten äußeren Faktoren vermuten Wissenschaftler auch eine genetische Disposition.

Zitat

»Wo Leben ist, da ist Hoffnung – und unser allererstes Ziel in der Drogenpolitik sollte darin bestehen, diese Hoffnung am Leben zu erhalten, indem wir die Abhängigen am Leben halten.« (Heath Brook, Australien)

Ist eine drogenfreie Entzugstherapie, beispielsweise bei Vorliegen schwerer Erkrankungen wie AIDS oder Krebs, nicht möglich, können Abhängige mit Substitutionsmitteln wie Methadon oder Buprenorphin therapiert werden. Gesetzliche Grundlagen hierfür sind in Deutschland das Betäubungsmittelgesetz mit der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Substitutionstherapie Opiatabhängiger. So müssen alle Ärzte, die Suchtkranke in der Substitutionsbehandlung betreuen, eine suchtmedizinische Zusatzqualifikation nachweisen.

Seit dem Jahr 2009 ist Heroin zur Abgabe an Schwerstabhängige in Einrichtungen unter staatlicher Aufsicht freigegeben. Die Vorteile für die Suchtkranken: Sie erhalten ihre Droge zuverlässig, deren Qualität wurde geprüft und sie sind sicher vor schädlichen Streckmitteln. Zusätzlich entfallen Beschaffungskriminalität oder Prostitution sowie die Abhängigkeit von mafiaartigen Handelsstrukturen. Um eine staatliche Kontrolle von Handel und Konsum zu erreichen, fordern einige Parteien und Verbände die Legalisierung aller Drogen. Diesen Weg lehnt die Bundesregierung ab, sondern fördert momentan ein breit aufgestelltes Präventionsprogramm zur Verringerung des Drogenkonsums sowie die Möglichkeit der unentgeltlichen Betreuung der Abhängigen und eine konsequente Verfolgung des Drogenhandels.

Situation in ­Deutschland

Jährlich erstellt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung einen Drogen- und Suchtbericht für Deutschland. Im Jahr 2011 gaben laut dieser Veröffentlichung 26,5 Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren an, schon einmal illegale Drogen probiert zu haben, am häufigsten Cannabisprodukte, 7,4 Prozent der Erwachsenen, hauptsächlich die Unter-30-Jährigen, hatten auch schon Erfahrungen mit Rauschmitteln wie Heroin, Cocain oder Amphetaminen gemacht. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen haben 3,7 Prozent bereits mindestens ein Mal eine »Designerdroge« genommen. Diese neuartigen psychoaktiven Substanzen sind legal als Düngemittel. Räuchermischungen oder Badesalze im Handel und unterliegen noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz. In den vergangenen Jahren stieg vor allem die Anzahl sogenannter polyvalenter Konsumenten, also der Personen, die mehrere illegale Drogen zu sich nehmen oder Drogen zusammen mit Alkohol.

Ein positiver Trend: Nach einem Anstieg um die Jahrtausendwende verringerte sich die Anzahl der Drogenopfer wieder und erreichte im Jahr 2011 mit 986 Toten den niedrigsten Stand seit 1988. Die größte Rolle spielt hier noch immer Heroin, entweder allein oder in Kombination mit anderen psychoaktiven Substanzen. Der Tod folgt durch gesundheitliche Schäden infolge jahrelangen Drogenkonsums. Typische Begleiterscheinungen einer Drogensucht sind Psychosen, Angst und Depressionen, sodass sich viele Abhängige das Leben nehmen oder tödlich verunglücken. Weitere Todesursachen sind Infektionskrankheiten mit letalem Verlauf wie Hepatitis und AIDS. Durch das gemeinsame Benutzen von kontaminierten Injektionsbestecken ist die Gruppe der Drogenabhängigen besonders gefährdet, sich mit den genannten Viren zu infizieren.

Das typische Drogenopfer ist männlich (85 Prozent) und wird durchschnittlich nur 37 Jahre alt. Den höchsten Anteil an Drogentoten in der Bevölkerung verzeichnet mit 4,2 Prozent die Stadt Mannheim, gefolgt von Nürnberg mit 4,0 Prozent und Frankfurt mit 3,8 Prozent. Köln, Berlin und Hamburg mit 3,4, 3,3 und 3,2 Prozent liegen nur knapp dahinter. Sehr gering ist die Zahl der Drogenopfer hingegen in den östlichen Bundesländern: So sterben in Brandenburg nur 0,1 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen nur jeweils 0,2 Prozent der Bevölkerung infolge des Konsums illegaler Drogen.

14. Gedenktag

Nachdem am 21. Juli 1994 der Drogenabhängige Ingo Marten in Gladbeck unter ungeklärten Umständen starb, gelang es seiner Mutter, die Stadt dazu zu bewegen, eine Gedenkstätte für ihn und andere Opfer der Sucht zu errichten. Am 21. Juli 1998 fand an dieser Gedenkstätte der erste Gedenktag statt, initiiert vom »Landesverband der Eltern und Angehörigen für humane und akzeptierende Drogenarbeit NRW e. V.«. Diesem Gedenktag folgten viele weitere auch in anderen Städten Deutschlands. Jedes Jahr übernimmt ein Politiker die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung, in diesem Jahr der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Gregor Gysi.

Definition

Nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) liegt dann ein Abhängigkeitssyndrom vor, wenn bei einem Patienten innerhalb des letzten Jahres mindestens drei der folgenden Voraussetzungen vorgelegen haben:

1. starkes Verlangen nach der Substanz

2. fehlende oder problematische Kontrolle der Einnahmemenge und des Einnahmemodus

3. körperliche Entzugssymptome bei Fehlen der Substanz

4. Notwendigkeit der ständigen Dosiserhöhung

5. fortschreitende Vernachlässigung anderer Verpflichtungen und Inte­ressen und

6. fortdauernder Gebrauch der Substanzen wider besseres Wissen und trotz bereits vorhandener Schäden.

Der 21. Juli entwickelte sich inzwischen zum größten nationalen Gedenk-, Präventions- und Aktionstag zu illegalen Drogen. Auf Bundesebene liegt die Organisation in den Händen der Deutschen AIDS-Hilfe, des Bundesverbandes der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit und des Selbsthilfeverbandes »JES« (Junkies, Ehemalige, Substituierte). Dem Beispiel Deutschlands folgend gibt es seit einigen Jahren auch entsprechende Veranstaltungen in Spanien, Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden, in Großbritannien, Schweden und Kanada.

In ganz Deutschland finden Informationsveranstaltungen, Gottesdienste und Mahnwachen, aber auch Protestaktionen statt. Das Motto des diesjährigen Gedenktages lautet »Drogenlegalisierung = Drogenkontrolle«. Den Verbänden zufolge ist die aktuelle, ausschließlich an Verboten orientierte Drogenpolitik eine Sackgasse. Sie fordern daher eine Legalisierung aller illegalen Drogen unter kontrollierten und bezahlbaren Bedingungen, um Todesfälle und Gesundheitsschäden zu reduzieren. /

E-Mail-Adresse der Verfasserin

e_schettler(at)freenet.de

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