Ständig neue Herausforderungen |
22.06.2012 17:19 Uhr |
Von Michael van den Heuvel / Es ist noch gar nicht so lange her, dass viele Menschen an Tuberkulose erkrankten. Mittlerweile hat die Krankheit die größten Schrecken verloren. Heute erschweren Resistenzentwicklungen und schlechte Compliance den Therapieerfolg. Die Einnahmetreue der Patienten können PTA oder Apotheker fördern.
Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium tuberculosis und verwandte Stämme) sind stäbchenförmige Bakterien. Sie gelangen meist über die Atemwege in den Körper und zerstören vor allem das Lungengewebe, können aber auch andere Organe befallen. Wurde ihr Wachstum nicht frühzeitig gehemmt, erscheint die Lunge dann auf dem Röntgenbild wie ein von Motten zerfressenes Stück Stoff. Ohne Therapie verläuft die Erkrankung meist tödlich. Dank des höheren hygienischen Standards sowie der Entwicklung wirksamer Arzneistoffe ist die Infektionsrate hierzulande deutlich zurückgegangen: Während dem Robert-Koch-Institut 1970 sage und schreibe 48 262 Tbc-Patienten gemeldet wurden, waren es im Jahr 2010 nur noch 4330 Fälle.
Zwar kommen im Laufe des Lebens fast alle Menschen mit Tuberkulosebakterien in Kontakt, aber nur wenige erkranken daran. Das liegt an Schutzmechanismen des Körpers: Fresszellen in den Lungenbläschen nehmen die Erreger auf und verkapseln diese in einem mehrstufigen Prozess, da sie sie nicht zerstören können. Gelingt dies nicht und ist der Allgemeinzustand des Betroffenen schlecht, erkrankt er. Daher erkranken Menschen sehr viel häufiger, die mangelernährt sind, oder deren Immunsystem geschwächt oder durch Medikamente unterdrückt ist wie nach einer HIV-Infektion, Organtransplantation oder bei einer Krebserkrankung. Seltener sind genetische Defekte die Ursache für einen schlechten Immunstatus. Wenn die tuberkulösen Infektionsherde nicht abgekapselt werden, sprechen Mediziner von einer offenen Tuberkulose. Dann vermehren sich die Mykobakterien und zerstören das Lungengewebe. Husten, sprechen oder lachen die Infizierten, entsteht ein bakterienhaltiges Aerosol, durch das sie ihre Mitmenschen anstecken können. Wie Forscher herausgefunden haben, sind Tuberkulose-Erreger in der Raumluft relativ lange stabil. Blut oder andere Körpersekrete spielen bei der Übertragung eine eher untergeordnete Rolle.
Oft übersehen
Mit dem Rückgang der Erkrankung geht auch bei den Ärzten in Deutschland das Wissen rund um Diagnostik und Therapie dieser Krankheit immer mehr verloren, ergab eine Umfrage des Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose. Wie gefährlich das werden kann, zeigt der Fall einer Lehrerin aus München: Vor rund einem Jahr erkrankte die Frau an Tuberkulose. Die behandelnden Ärzte interpretierten jedoch die Symptome wie Erschöpfung, Nachtschweiß und leichte Brustschmerzen als Zeichen eines Pfeifferschen Drüsenfiebers. Aufgrund der Fehldiagnose dauerte nicht nur das Leiden der Lehrerin unnötig lange, sie steckte in der Zwischenzeit auch zwölf Kinder an. Dieser Fall ist in Deutschland allerdings die Ausnahme. Eine andere Tatsache bereitet den Wissenschaftlern hingegen mehr Sorgen: Arbeitskräfte aus Osteuropa könnten die Tuberkulose wieder vermehrt nach Deutschland bringen, denn dort tritt zum einen die Krankheit immer häufiger auf, zum anderen werden vermehrt Resistenzen gegen Standard-Therapien beobachtet.
Tbc sicher nachweisen
Aus Gründen der Vorsicht sollten PTA oder Apotheker daher Menschen mit länger anhaltendem Husten den Arztbesuch empfehlen. Dieser sollte dann abklären, ob sie an Tuberkulose erkrankt sind. Über ein Jahrhundert lang war der Tuberkulin-Hauttest die einzige Möglichkeit, um Tbc-Infektionen nachzuweisen. Dabei spritzte der Arzt immunologisch wirksame Bestandteile, sogenannte Antigene, aus Mycobacterium tuberculosis unter die Haut. Hatte ein Patient bereits Kontakt mit Tbc-Erregern, antwortete sein Immunsystem mit einer deutlich sichtbaren Abwehrreaktion an der Injektionsstelle. Allerdings war der Test falsch-positiv, wenn der Untersuchte bereits geimpft worden war.
Blut oder Atemluft
Heute röntgen Pneumologen zuallererst die Lunge und fahnden nach verdächtigen Schatten. Bei Patienten mit offener Tuberkulose lassen sich im Labor aus dem Husten-Auswurf (Sputum) Bakterien isolieren und anzüchten. Das gelingt ebenfalls aus bei einer Biopsie entnommenem Lungengewebe. Aufgrund der langsamen Teilung dauert dieser Nachweis allerdings sechs bis acht Wochen. Wesentlich schneller geht die Testung von Blutproben. Versetzt man daraus gewonnene Immunzellen mit Tbc-Antigenen, so wird bei Infizierten der Botenstoff Interferon-Gamma freigesetzt. Dieser sogenannte Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA) ist jedoch methodisch sehr anspruchsvoll. Mit dem T-Spot-TB-Test auf M. tuberculosis-spezifische T-Lymphozyten gelingt der Nachweis auch bei HIV-Patienten, deren Immunzellen stark verringert sind und die aufgrund ihres geschädigten Immunsystems häufig an Tuberkulose erkranken.
In Heidelberg befindet sich Deutschlands einziges Tuberkulose-Museum. Die vielen Exponate aus früheren Tuberkulose-Heilstätten, von Lungenärzten sowie von der pharmazeutischen Industrie sollen den langen, aber erfolgreichen Kampf gegen die Tuberkulose veranschaulichen. Führungen finden auf Anfrage statt. Weitere Informationen stehen unter www.thoraxklinik-heidelberg.de/index.php?id=382.
Damit auch in Gebieten ohne technisch gut ausgerüstete Labors Tuberkelbakterien schnell nachgewiesen werden können, arbeiten Forscher an einer elektronischen »Nase«, die Tbc-Marker in der Atemluft erfasst. Diese Entwicklung unterstützt die Bill and Melinda Gates-Stiftung mit rund 700 000 Euro. Ein solches Gerät könnte schnelle Reihenuntersuchungen ermöglichen.
Bewährte Arzneistoffe
Da sich die Bakterien nur alle 16 bis 20 Stunden teilen und viele Arzneistoffe genau in diesen Vorgang eingreifen, lassen sie sich mit Arzneimitteln nur schwer bekämpfen. Die Pharmakotherapie der Tuberkulose erfolgt entsprechend den aktuellen »Empfehlungen zur Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose« und hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. Herausgeber der Empfehlungen sind das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. An erster Stelle stehen die Arzneistoffe Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol. Liegen keine Resistenzen vor, müssen Patienten diese Viererkombination zwei Monate lang einnehmen. Danach folgt vier Monate lang eine Zweierkombination aus Isoniazid und Rifampicin. Der Einnahmezeitpunkt morgens nach einem leichten Frühstück führt zu einer besseren Resorption und zu weniger Nebenwirkungen.
Obwohl viele Symptome bei unkompliziertem Verlauf schnell abklingen, müssen die Patienten die Therapie konsequent zu Ende führen, um eine komplette Ausheilung zu erreichen. Dennoch setzen viele Patienten die Medikamente wegen der zahlreichen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen eigenmächtig ab oder reduzieren die empfohlene Tagesdosis. Laut Experten des Robert-Koch-Instituts fördert dieses Verhalten die Entwicklung multiresistenter Erreger, sodass Isoniazid und Rifampicin nicht wirken. PTA und Apotheker sollten in der Beratung die Compliance der Patienten immer wieder fördern, indem sie auf diese Zusammenhänge hinweisen.
Bei HIV-Patienten ist Rifampicin wegen möglicher Interaktionen mit den Virustatika Indinavir, Nelfinavir, Ritonavir und Saquinavir nicht geeignet. Rifampicin senkt die Bioverfügbarkeit dieser antiviralen Arzneistoffe um bis zu 92 Prozent, da die Substanzen um das gleiche Transportprotein konkurrieren.
Risiko Resistenz
Gegen multiresistente Erreger (multidrug-resistant tuberculosis, MDR-TB) verordnen Ärzte Reservesubstanzen wie Aminoglykoside (Capreomycin oder Kanamycin), Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin oder Ofloxacin), Thionamide (Ethionamid oder Protionamid), Cycloserin oder 4-Aminosalicylsäure. Mittlerweile spitzt sich diese Entwicklung noch weiter zu, denn aus Indien kommen in diesem Zusammenhang wenig erfreuliche Nachrichten: In Mumbai fanden Pneumologen extrem widerstandsfähige Tuberkulose-Stämme (extensively drug resistant tuberculosis, XDR-TB), bei denen auch Fluorchinolone und mindestens ein intravenös zu verabreichendes Antituberkulotikum versagten. In diesen Fällen bleibt als letzte Option, einen Lungenlappen oder einen Lungenflügel komplett zu entfernen. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts werden multiresistente Keime auch in Deutschland zum Problem: 2,1 Prozent aller Proben enthielten MDR-TB.
Innovationen in der Pipeline
Gegen Resistenzen helfen in erster Linie neue Arzneistoffe. Wie der Verband forschender Arzneimittelhersteller im Mai berichtete, befinden sich zurzeit 18 interessante Kandidaten in der Pipeline. Nach einer über 30-jährigen Pause kommen wahrscheinlich bald neue Wirkstoffe auf dem Markt: Delamanid, für das der Hersteller die Zulassungsunterlagen bereits eingereicht hat, stört die Bildung der bakteriellen Zellwand. Moxifloxatin wird bereits bei anderen Infekten eingesetzt und hemmt die Verdopplung des Erbguts. Die Erweiterung der Zulassung zur Behandlung der Tuberkulose soll bis 2014 erfolgen. Und Rifapentin findet in den USA schon heute bei Tbc Verwendung. Daneben sind weitere Wirkstoffe in der klinischen Entwicklung.
Als weitere Strategie kommen neue Impfstoffe infrage. Die BCG-Vakzine (Bacillus Calmette-Guérin) sind heute ganz vom Markt verschwunden. Mit den abgeschwächten Lebendimpfstoffen ist es nicht gelungen, die Tuberkulose weltweit zu besiegen. Derzeit befinden sich mehrere neue Vakzine in Phase-I- und Phase-II-Studien. Mit einer Zulassung ist erst in rund fünf Jahren zu rechnen. Die Vakzine enthalten rekombinante Tbc-Proteine sowie ein Adjuvans zur Verstärkung der Wirkung. Im Tierversuch verhinderten die Seren sowohl Neuinfektionen als auch die Reaktivierung abgekapselter TBC-Herde.
Therapie nicht bezahlbar
Weltweit hat nach WHO-Angaben die Zahl der Neuerkrankungen und Todesfälle seit 1990 um 40 Prozent abgenommen. Aktuell infizieren sich pro Jahr 8,8 Millionen Menschen neu, und 1,1 Millionen sterben an der Krankheit. Ihre »Directly Observed Treatment Short (DOTS) Course«-Strategie zur Verbesserung der Compliance konnte 6,8 Millionen Menschenleben retten, so die Weltgesundheitsorganisation. Im Rahmen der DOTS-Strategie müssen die Patienten ihre tägliche Arzneimitteldosis immer unter Aufsicht einnehmen.
Laut »Ärzte ohne Grenzen« kostet die langwierige Therapie, insbesondere bei resistenten Erregern ungefähr 6300 Euro, während Patienten mit nicht-resistenten Formen schon für weniger als 15 Euro behandelbar sind. In Entwicklungs- und Schwellenländern können sich viele Erkrankte teure Therapien nicht leisten und stecken unter schlechten Hygieneverhältnissen weitere Menschen an. Andere Erkrankungen, an erster Stelle die HIV-Infektion, erhöhen das Risiko zusätzlich. Forscher haben zudem gezeigt, dass die Gefahr, an Tuberkulose zu erkranken, für Typ-2-Diabetiker in Schwellenländern je nach Krankheitsausprägung um das 2,6- bis 3-5-fache höher liegt als in Industrieländern. Auch Schwangere sind besonders gefährdet. Gefälschte Arzneimittel, die in diesen Regionen weit verbreitet sind, verschärfen das Problem.
Bisher wurde das Alter von Tuberkulose-Bakterien auf mehrere Tausend Jahre geschätzt. Ein archäologischer Fund aus der Türkei sorgte für Aufsehen: Forscher fanden an über 500 000 Jahre alten Schädelfragmenten Spuren einer Gehirnhautentzündung, die von Tuberkulose ausgelöst worden ist. Entwicklungsgeschichtlich ist Mycobacterium tuberculosis damit älter als vermutet.
Es ist noch ein langer Weg, bis die Tuberkulose besiegt ist. Damit dies jemals Wirklichkeit wird, sind noch viele Forschungsanstrengungen und neue Strategien zur Verbesserung der Hygieneverhältnisse und der Therapiemöglichkeiten erforderlich. /
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