Dem Geräusch kein Gehör schenken |
So befürchten Betroffene häufig, dass der Tinnitus mit der Zeit lauter und ihr Gehör schlechter wird oder sie sogar verrückt macht. »Die Erfahrung zeigt aber, dass er mit der Zeit eher weniger laut wahrgenommen wird und niemals lauter als ein Blätterrascheln oder ein Computerrauschen ist. Auch bewirkt er keine Hörverschlechterung und kann für sich genommen auch niemanden verrückt machen.« Dies zu wissen, kann Betroffenen dabei helfen, sich an das Ohrgeräusch zumindest so weit zu gewöhnen, dass es sie nicht mehr beunruhigt – mit allen körperlichen Folgen. Je gelassener sie auf das Geräusch reagieren, desto besser die Aussichten, dass es vom Gehirn zeitweise ausgeblendet wird.
»Wer dem Tinnitus dagegen seine ganze Aufmerksamkeit opfert und seine restlose Beseitigung fordert, wird ihn immer wahrnehmen müssen – denn er prüft ja andauernd, ob das Geräusch noch besteht oder nicht«, betont der Psychotherapeut. Deshalb sieht er bei chronischem Tinnitus auch keinen Ansatz für medikamentöse Therapien zur Verbesserung der Durchblutung. »Das Innenohr wird von einer einzigen Arterie versorgt. Wäre diese Versorgung unzureichend, müsste ein drastischer Hörverlust eintreten – das ist aber nicht der Fall.«
In den letzten Jahren ist unter anderem auch eine Cochrane-Analyse zu dem Ergebnis gekommen, dass Ginkgo zur Behandlung des chronischen Tinnitus nicht besser ist als Placebo. Auch die Vorstellung, man könne mit starken Magneten, elektrischen Impulsen oder sogar mit gefilterten modulierten Tönen (»Neurostimulation«) eine Umkehr der Wahrnehmung erreichen, sei nicht nur wissenschaftlich nicht belegt, sondern vor allem auch kontraproduktiv. »Denn jedes weitere Bemühen, den Tinnitus zu beseitigen, steigert das Leiden noch, weil es die Wahrnehmung erst recht auf das störende Geräusch lenkt.«
Wird dieser Teufelskreis nicht gestoppt, kann er in einer totalen Erschöpfung enden. Das zeigt auch die evidenzbasierte Medizin, wie Waltering betont: »Gegen Ohrgeräusche gibt es pflanzliche Präparate zu kaufen, Nahrungsergänzungsmittel und verschiedene Medikamente wie Cortison oder Carbamazepin. Für keine dieser Behandlungen ist nachgewiesen, dass sie hilft.« Die einzige Arzneimittelgruppe, die bei Patienten mit chronischem Tinnitus indiziert sein kann, seien Antidepressiva.
Tinnitus umtrainieren
Erfolgversprechend kann eine psychotherapeutische Unterstützung sein, bei der die Betroffenen lernen, mit Tinnitus besser zurechtzukommen oder die körpereigenen Signale zu verstehen, die dahinterstehen können. »Dadurch verschwinden zwar nicht die Ohrgeräusche, aber die Lebensqualität verbessert sich«, berichtet Schaaf, der mit vielen Patienten daran arbeitet, mit dem Tinnitus zu leben. Dabei lernen sie, das Ohrgeräusch nicht mehr bewusst wahrzunehmen, unter anderem durch Übungen, die die Filterfähigkeit des Hörsystems entwickeln und fördern. »Patienten lernen, aus starken Hintergrundgeräuschen Informationen herauszufiltern und das selektive Hören und Richtungshören zu verbessern. Und sie entwickeln Strategien, sich besonders in Momenten, wo der Tinnitus sehr stark erscheint und stört, auf andere Geräusche zu konzentrieren.«
Auch Entspannungsverfahren können Tinnituspatienten helfen, denn sie mindern die oft erhöhte psychophysiologische Erregung und erleichtern damit den Gewöhnungsprozess. »Nach unserer Erfahrung ist dabei die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson am einfachsten zu erlernen – von einer CD oder in einer (Volkshochschul-)Gruppe – und hat einen hohen Wirkungsgrad.« Da Tinnitus oft durch Hörverlust ausgelöst oder verstärkt wird, ist die Versorgung mit einem guten Hörgerät zunächst der sinnvollste und einfachste Schritt zur Linderung der Symptome. /
Wendet sich ein Patient mit chronischem Tinnitus an PTA oder Apotheker, können diese guten Gewissens drei Dinge empfehlen: