Den Kinderwunsch erfüllen |
23.08.2010 15:10 Uhr |
Den Kinderwunsch erfüllen
Von Maria Pues
Junge Frauen mit einer chronischen Erkrankung schieben den Wunsch nach eigenen Kindern oft weit von sich. Sie befürchten, die Medikamente, die sie regelmäßig einnehmen müssen, könnten die gesunde Entwicklung ihres Babys gefährden. Manche Frauen setzen im Fall einer Schwangerschaft sogar ihre Arzneimittel eigenmächtig ab, oft
ohne Rücksprache mit ihrem Arzt.
Die Bilder Contergan-geschädigter Kinder haben sich vielen unauslöschlich eingeprägt. Auch dass die Daten zu embryotoxischen Wirkungen von Arzneimitteln aus dem Labor und Tierversuchen stammen, trägt zur Verunsicherung bei. Und schließlich: Ob die Angabe »kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit« medizinische oder juristische Gründe hat, sieht keine Patientin dem Beipackzettel an. Dahinter kann sich sowohl der Hinweis auf eine ernstzunehmende mögliche Schädigung verbergen als auch die Tatsache, dass keine ausreichenden Erfahrungen in Schwangerschaft und Stillzeit vorliegen.
Trotzdem liegen für zahlreiche chronische Erkrankungen Behandlungsregimes vor, die sich mit einer Schwangerschaft vereinbaren lassen, denn Wissenschaftler haben eine Vielzahl an Beobachtungen gesammelt und ausgewertet. Und sie sammeln weiter. Grundsätzlich raten Experten Schwangeren zu Arzneimitteln, die bereits seit vielen Jahrzehnten auf dem Markt sind und sich in der Anwendung als sicher bewährt haben. Dennoch müssen Ärzte bei jeder Schwangeren – nicht nur bei chronisch Kranken – Nutzen und Risiko einer Arzneimittelverordnung besonders sorgfätig gegeneinander abwägen, und zwar für jedes einzelne Schwangerschaftsdrittel. In vielen Fällen gilt: Das Risiko für Mutter und Kind läge höher, wenn die chronische Erkrankung unbehandelt bliebe.
Nach Hypothyreose fahnden
Sowohl eine zu geringe als auch eine zu hohe Produktion von Schilddrüsenhormonen kann sich auf das Ungeborene auswirken. Schilddrüsenhormone beeinflussen fast den gesamten Stoffwechsel, nicht nur der werdenden Mutter. Beim Ungeborenen reichen ihre Wirkungen sogar bis hin zur Hirnentwicklung: Diese kann sich verzögern, wenn die Schilddrüse der Mutter zu wenig Hormone bildet. Auch nach der Geburt holen die Kinder dieses Defizit häufig lange nicht auf. Studien zeigen, dass betroffene Kinder bis in ihre Schulzeit hinein hinter den motorischen und mentalen Fähigkeiten und Leistungen ihrer Altersgenossen zurückbleiben. Darüber hinaus kann die Ursache für Unfruchtbarkeit sowie von Tot- und Frühgeburten in einer Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose) liegen.
Im Unterschied zur Überfunktion bleibt eine Hypothyreose oft lange Zeit unbemerkt, denn sie verläuft häufig völlig unspektakulär. Ein bisschen müde fühlen sich die Betroffenen, und sie nehmen besonders schnell an Gewicht zu. Manche Unregelmäßigkeit der Regelblutung hat ihre Ursache in einer Hypothyreose. Wird die Behandlung mit L-Thyroxin sorgfältig überwacht, lassen sich mögliche Komplikationen auf einfache Weise und ohne Risiko für das Ungeborene verhindern. Wichtig ist, dass die Unterfunktion rechtzeitig erkannt wird.
Viel Fingerspitzengefühl benötigt die Behandlung der Hyperthyreose. Häufig liegt dieser ein Autoimmungeschehen zugrunde, zum Beispiel ein Morbus Basedow. Bei der Behandlung mit Thyreostatika kommt es bei Schwangeren darauf an, die niedrigste Dosierung zu ermitteln, mit der sich die Symptome noch unterdrücken lassen. Mediziner richten ihre Therapie daher nicht allein an einem anzustrebenden Laborwert aus, sondern berücksichtigen vor allem die Beschwerden der Patientin. Zu hohe Arzneistoffdosen hemmen die Schilddrüse zu stark und erhöhen damit das Risiko, dass sich beim Ungeborenen eine Hypothereose entwickelt – mit allen geschilderten Folgen einer Entwicklungsverzögerung. Doch auch unbehandelte Hyperthyreosen können zu Wachstumsstörungen führen. Daneben kann sich das Risiko einer Präeklampsie sowie einer Frühgeburt erhöhen. Die Präeklampsie geht mit Schwindel und Kopfschmerzen einher, führt zu lebensgefährlichen Krämpfen und Bewusstlosigkeit und macht einen Kaiserschnitt erforderlich.
Zur Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion hat sich im ersten Schwangerschaftsdrittel das in Deutschland weniger gebräuchliche Propylthiouracil bewährt. Carbimazol und Thiamazol sind Mittel der zweiten Wahl. Bereits bei Kinderwunsch sollten die Frauen in Kooperation mit ihrem Arzt auf eine gute Einstellung der Schilddrüse achten und diese während der Schwangerschaft sorgfältig überwachen lassen.
Risiko für Asthmaanfälle senken
Auch für werdende Mütter mit Asthma gilt: Gut eingestellt muss eine Asthmatikerin nicht auf eigene Kinder verzichten. Zwar äußern 30 Prozent, während der Schwangerschaft hätten sich die Asthma-bedingten Beschwerden verstärkt. Die Hälfte empfand jedoch keinerlei Veränderung, und bei jeder Fünften hatte sich das Asthma während der ersten Monate der Schwangerschaft sogar gebessert. Wichtig ist, das Asthma sorgfältig – mit niedrigstmöglicher Dosierung – zu kontrollieren und Asthma-Anfällen vorzubeugen. Denn bei einem Anfall nimmt der Sauerstoffpartialdruck im Blut messbar ab – mit riskanten Folgen: Die Gefahr einer Frühgeburt steigt, ebenso das Risiko einer Präeklampsie, und der Sauerstoffmangel kann die Entwicklung des Ungeborenen beeinträchtigen. Hinzu kommt der Einfluss von Stresshormonen, die der Körper der Mutter während eines Asthma-Anfalls ausschüttet.
In den meisten Fällen führen die Ärzte in der Schwangerschaft die bestehende Behandlung fort. Dazu rät unter anderem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Wer an leichtem Asthma erkrankt ist, dem reicht zumeist ein Salbutamol-Spray für den Notfall aus. Als Basisbehandlung für Patientinnen mit einem Asthma der Stufe II eignen sich inhalative Corticoide. Dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen. Am besten untersucht ist wiederum Budesonid, der Arzneistoff gilt als sicher. Durch ihre geringe Dosierung und spezielle Zubereitung bleibt die Wirkung von Corticoiden zur Inhalation weitestgehend auf Lunge und Bronchien beschränkt. Anfällen von allergischem Asthma beugt Cromoglicinsäure vor. Eine zusätzliche längere Erweiterung der Bronchien lässt sich mit Formoterol erzielen. Auf Leukotrien-Antagonisten sollte man mangels Erfahrungen während der Schwangerschaft nach Möglichkeit verzichten. Mögliche Asthmaauslöser zu meiden, kann die Häufigkeit der Anfälle verringern und schützt das Ungeborene. Spezielle (Atem-)Übungen können zusätzlich helfen, den Stress während eines Asthma-Anfalls möglichst rasch in den Griff zu bekommen. Dass an vielen öffentlichen Orten inzwischen Rauchverbot herrscht, lässt nicht nur Schwangere mit (und ohne) Asthma aufatmen.
Kontrollen bei Diabetes einhalten
Werdende Mütter mit Typ-1-Diabetes haben meist langjährige Erfahrung in der Kontrolle und Einstellung ihres Blutzuckers. Sie kennen ihren Diabetes sehr genau und wissen, wie sich ihr Blutzuckerspiegel in den meisten Lebenssituationen verändert. Auch die Schwangerschaft haben sie meist gut im Griff – oft in Kooperation mit dem Diabetologen. Doch trotz aller Erfahrung im Umgang mit der Erkrankung: Es handelt sich grundsätzlich um Risikoschwangerschaften, die stets besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen und eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachärzte sind unabdingbar.
In den nächsten Jahren rechnen Experten mit der Zunahme von Diabetikerinnen, denn die Patienten mit Typ-2-Diabetes, der früher »Alterszucker« hieß, werden immer jünger. Bereits jetzt ist ein Anstieg zu verzeichnen. Screening-Untersuchungen, wie auch Apotheken sie regelmäßig anbieten, gewinnen vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung. So können noch unentdeckte Erkrankte sich in ärztliche Behandlung begeben und den Folgen ihrer Erkrankung frühzeitig gegensteuern, nicht nur für sich selbst, sondern vor allem auch für das Ungeborene.
Behandlung der ersten Wahl ist bei beiden Diabetesarten die Einstellung des Blutzuckers mit Hilfe von Humaninsulin. Typ-2-Diabetikerinnen sollten bei Kinderwunsch frühzeitig von oralen Antidiabetika auf Humaninsulin umgestellt werden. Auch kurzwirksame Insulinanaloga eignen sich, sodass darauf eingestellte Typ-1-Diabetikerinnen trotz ihrer Schwangerschaft nicht wechseln müssen. Zu lang wirksamen Insulinanaloga ist die Datenlage derzeit noch unzureichend. Wichtig ist außerdem, den Partner sowie Angehörige, Freunde oder Kollegen darüber aufzuklären, wie sie im Falle der gefürchteten Hypoglykämien oder Ketoazidosen helfen können.
Eine Diabetikerin und ihr Ungeborenes profitieren in besonderem Maße von einer Familienplanung. So haben Studien gezeigt, dass möglichst normale Blutzuckerwerte zum Zeitpunkt der Konzeption das diabetesbedingte Fehlbildungsrisiko deutlich verringerten. Mindestens drei Monate vor der Empfängnis sollte der Blutzucker normal eingestellt sein. Die frühzeitige Einnahme von Folsäure kann zudem das erhöhte Risiko von Neuralrohrdefekten vermindern und wird im Rahmen der Leitlinien ausdrücklich empfohlen.
Niedriger Blutdruck keine Krankheit
Ein rein »deutsches Phänomen« ist die Hypotonie. Nicht dass die Menschen anderer Länder alle höhere Blutdruckwerte hätten – doch dort bewerten Ärzte niedrigen Blutdruck meist nicht als Krankheit. Vor einigen Jahren wurden Sorgen laut, dass das Ungeborene von Schwangeren bei einer Minderdurchblutung aufgrund des niedrigen mütterlichen Blutdrucks Schaden nehmen könnte. Diese Befürchtungen haben sich nicht bestätigt.
Dennoch: Wer sich nach dem Schlafen oder Liegen unentwegt »beduselt« fühlt, dem nützt es wenig, als gesund zu gelten. Diese »deutsche Krankheit« lässt sich jedoch gut ohne Medikamente in den Griff bekommen. Patientinnen, denen beim (Auf-)Stehen das Blut in den Venen versackt, können von Stütz- oder Kompressionsstrümpfen profitieren. Gymnastik im Bett vor dem Aufstehen, Wechselduschen oder Bürstenmassagen bringen den Kreislauf auf natürliche Weise in Schwung. Auch eine Tasse Tee oder Kaffee ist erlaubt. Eine medikamentöse Therapie kommt nur in Betracht, wenn der Arzt die Behandlung bei besonders schwerer Symptomatik ausdrücklich angeordnet hat. Auf eines sollten Schwangere allerdings verzichten: auf ein Gläschen Sekt »für den Kreislauf«.
Drei bis sechs von hundert Kindern werden mit großen oder kleinen Fehlbildungen geboren. Davon wiederum gehen etwa 2 Prozent auf chemische oder physikalische Ursachen zurück, einschließlich Arzneimittel und Drogen. Für das Jahr 2009 wären das bei etwa 650 000 Neugeborenen rund 390 bis 780 Kinder. Zum Vergleich: Schätzungen zufolge wurden in Deutschland im vergangenen Jahr rund 2200 Kinder mit einem schweren fetalen Alkoholsyndrom geboren, zusätzlich zu 4500 Kindern mit leichteren fetalen Alkoholdefekten. Experten rechnen mit einer gut zwei- bis dreimal so hohen Dunkelziffer.
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