Stoppen statt leiden |
23.08.2010 21:32 Uhr |
Stoppen statt leiden
PTA-Forum / Durchfall beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen extrem. Dennoch glauben viele Leidtragende, reichlich trinken und abwarten reiche völlig aus. Manche befürchten sogar, Antidiarrhoika würden die Ausscheidung der Krankheitskeime behindern. Das sind jedoch Fehleinschätzungen. PTA oder Apotheker sollten Mythen rund um das Thema Diarrhö entgegenwirken.
Auf Fernreisen wird Durchfall in den überwiegenden Fällen durch kontaminiertes Trinkwasser, schlechte hygienische Verhältnisse oder ungewohnte Speisen verursacht. Je nach Urlaubsziel erkranken zwischen 8 und 50 Prozent der Reisenden an Diarrhö. 80 Prozent der Durchfälle werden durch Bakterien ausgelöst, vor allem durch Enterotoxin-bildenden Escherichia coli (ETEC). Sie schädigen die Mucosazellen des Darms und stören so dessen Resorption. Bei manchen Menschen bringen allein der »Reisestress« und die Zeitverschiebung den gewohnten Lebensrhythmus und damit die Darmmotilität durcheinander.
Typischerweise tritt die Diarrhö zwischen dem dritten bis neunten Reisetag auf und dauert unbehandelt vier bis fünf Tage. Damit der Durchfall nicht die ganze Ferienplanung durcheinander bringt, nehmen viele Urlauber prophylaktisch ein Antidiarrhoikum auf die Reise mit. Niemand möchte einen Großteil der »schönsten Zeit des Jahres« auf dem Hotel-WC verbringen.
Anders verhalten sich die meisten Deutschen, wenn sie zuhause Durchfall bekommen. Viele sind der Meinung, dann sollten sie besser kein Arzneimittel einnehmen. Laut Umfrage behandeln dort zwei von drei Betroffenen die Diarrhö nicht.
Mythos 1: Durchfall muss man aushalten
Unbehandelt verliert der Körper große Mengen an Wasser und wertvollen Mineralstoffen. Vor allem dieser Flüssigkeit- und Mineralienverlust schwächt den Organismus und verzögert die Regeneration. Häufige Begleitsymptome sind Krämpfe, Blähungen, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit und Kreislaufprobleme. Diarrhö ist deshalb auch einer der häufigsten Gründe dafür, dass Menschen an ihrem Arbeitsplatz fehlen. Ein Irrtum ist, dass man Durchfall einfach aushalten muss. Denn Durchfall ist kein Abwehrmechanismus, sondern lediglich ein Symptom. Der Darm sollte möglichst bald seine normale Funktion wieder aufnehmen. Daher ist die symptomatische Behandlung der Diarrhö sinnvoll, denn sie verkürzt die Leidenszeit der Patienten.
Wie weit verbreitet das Phänomen ist, verdeutlichen folgende Zahlen: Jeder Erwachsene hat durchschnittlich zweimal jährlich Durchfall, Kinder weitaus häufiger. Insbesondere der Darm von Säuglingen und Kleinkindern muss erst eine nötige Darmflora aufbauen, die für eine gute Abwehr der Krankheitserreger sorgen kann. Die Therapie des Durchfalls der kleinen Patienten gehört ausschließlich in die Hand des Arztes, denn der hohe Flüssigkeitsverlust kann für diese rasch lebensbedrohlich werden. Auch Schwangere und Stillende sowie ältere, insbesondere multimorbide Patienten, sollten PTA oder Apotheker an den Arzt verweisen.
Bei Kindern über 12 Jahren und Erwachsenen ist die wichtigste Maßnahme -unabhängig von der Ursache - Wasser und Mineralien rasch zu ersetzen. Drei bis vier Liter müssen sie täglich trinken, um die Dehydratation des Körpers zu verhindern. Eine frühzeitige Medikation hilft, übermäßigen Flüssigkeitsverlust zu vermeiden, den Elektrolythaushalt zu stabilisieren und den Darm wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Arzneimittel der ersten Wahl ist Loperamid. Bei gleichzeitiger Übelkeit empfehlen sich Schmelztabletten (Imodium® akut lingual), die sich innerhalb von Sekunden auf der Zunge auflösen.
Mythos 2: Durchfall dient der Abwehr
Die Ansicht ist weit verbreitet, mit dem Durchfall befreie sich der Körper von »toxischen« Substanzen. Auch das ist ein Irrtum, denn: Es ist die Aufgabe des eigenen Immunsystems, in den Organismus eingedrungene pathogene Keime unschädlich zu machen. Meist sind sowieso mehrere pathogenetische Mechanismen an der Entstehung einer Diarrhö beteiligt. Neben Viren oder Bakterien kommt beispielsweise auch Stress als Auslöser in Frage (Kasten). Außerdem ist wissenschaftlich nicht untersucht, wie dünnflüssige Stühle Toxine oder Pathogene, die an der Darmmucosa haften, entfernen. Sowohl Tierexperimente als auch Studien am Menschen zeigten, dass die Diarrhö die Zahl der Pathogene nicht nennenswert reduziert.
Mythos 3: Arzneimittel verkapseln Keime
Manche Menschen sind der Ansicht, Loperamid-haltige Arzneimittel schlössen Infektionskeime im Darm ein. Wieder ein Irrtum: Tatsächlich belegten Studien, dass der symptomatische Einsatz von Loperamid das Wachstum pathogener Keime nicht förderte. Auch erhöhte sich nie das Risiko einer Bakteriämie. Studien zeigten außerdem, dass sich Bakterien vor allem im wässrigen Milieu stärker vermehren. Verlangsamt sich durch die Therapie die Darmpassage, verringert sich nicht die normale, wohl aber die übermäßige Flüssigkeitssekretion in das Darmlumen. So sammelt sich schließlich weniger Wasser im Darm an, und die Zahl der Krankheitserreger sinkt.
Mythos 4: Therapie macht Verstopfung
Manche Patienten sind der Überzeugung, Loperamid hätte die Beweglichkeit ihres Darms zu stark eingeschränkt und Verstopfung verursacht. Doch das ist ein weiterer Irrtum. Eine Verstopfung tritt nur dann auf, wenn Patienten das Arzneimittel falsch gebrauchen und überdosieren. Tatsache ist, dass durch den Durchfall der Darminhalt häufig komplett entleert wurde. Anschließend dauert es im Normalfall bis zu zwei Tage, bis sich dieser füllt. Wer während dieser Zeit keinen Stuhlgang hat, glaubt fälschlicherweise, er litte nun an Obstipation. Diese Fälle nennen Fachleute »Pseudoverstopfung«.
Loperamid ist zur symptomatischen Behandlung von akuten Diarrhöen bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren zugelassen, sofern keine kausale Therapie zur Verfügung steht. Fragen Patienten in der Apotheke nach einem Arzneimittel gegen Durchfall, müssen sich PTA oder Apotheker nach der Art der Beschwerden, deren Dauer und Begleiterscheinungen wie Fieber oder Krämpfe erkundigen. Durch gezielte Fragen müssen sie abklären, ob eine Selbstmedikation möglich ist oder der Patient den Arzt aufsuchen muss. Zudem sollten PTA oder Apotheker den Patienten die korrekte Dosierung nennen. Die Anfangsdosis für Erwachsene beträgt 4 mg Loperamid (2 Kapseln) und nach jeder weiteren Stuhlentleerung 2 mg (1 Kapsel), jedoch nicht mehr als 12 mg (6 Kapseln) pro Tag. Die Höchstdosis für Kinder über 12 Jahren beträgt 0,4 mg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag.
Kein Fall für die Selbstmedikation ist Durchfall, der länger als drei Tage andauert. Daher ist die Einnahme von Loperamid sicherheitshalber auf zwei Tage begrenzt.
Loperamid wirkt als Agonist an peripheren Opioidrezeptoren, das heißt, die Substanz bindet bevorzugt an Opiatrezeptoren in der Darmwand. Sie unterdrückt zwar die erhöhte Darmaktivität, nicht aber die normalen Darmbewegungen. Studien belegen, dass rund 40 Prozent der Patienten in den ersten Stunden nach Therapiebeginn beschwerdefrei waren, 80 Prozent nach zwei Tagen.