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Schwangerschaft

Folatversorgung rechtzeitig optimieren

22.07.2011  16:58 Uhr

Von Maria Pues / Noch immer wissen viele Schwangere nicht, dass sie das Risiko ihres Ungeborenen für Neuralrohrdefekte vermindern können, wenn ihr Folatspiegel ausreichend hoch ist. Unter Wissenschaftlern ist diese Tatsache lange unbestritten ebenso wie die Erkenntnis, dass Folsäure selbst gar nicht wirkt.

Folsäure ist ein reines Laborprodukt. So äußerte sich auch Professor Dr. Klaus Pietrzik, Institut für Ernährunswissenschaften der Universität Bonn, während eines Symposiums auf dem Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie: »Letztlich ist für den Organismus nicht Folsäure entscheidend, da sie keine Vitaminfunktion besitzt, sondern erst in die wirksamen Folatverbindungen überführt werden muss.«

Woher Folate kommen

In der Nahrung finden sich vor allem Folsäure-Polyglutamate. Damit der Körper diese verwerten kann, müssen sie zunächst gespalten werden. Ihre Hydrolyse erfolgt im Gastrointestinaltrakt durch sogenannte Konjugasen. Sie stammen aus den Sekreten der Bauchspeicheldrüse und Leber sowie der Bürstensaummembran bestimmter Dünndarmabschnitte. Die entstandenen Monoglutamate müssen über einen Transporter absorbiert werden. Dabei gelangen sie nicht unverändert ins Blut. Rund 80 Prozent werden normalerweise zu 5-Methyl-Tetrahydrofolat (5-Methyl-THF) reduziert. Das ist die entscheidende Wirkform, die als Coenzym fungiert. Aus dem Blut gelangt 5-Methyl-THF über einen Rezeptor in die Zielzellen. Was der Organismus nicht unmittelbar benötigt, speichert er vor allem in der Leber.

Inzwischen weiß man, dass nicht alle Menschen ausreichende Mengen des reduzierenden Enzyms bilden. Dies erklärt, warum der Folatblutspiegel mancher Menschen trotz ausreichender Zufuhr von Folsäure zu niedrig ist. Dann helfen Arzneimittel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel, die nicht Folsäure, sondern gleich deren reduzierte Form enthalten.

Nicht nur eine fehlende Enzymausstattung kann die Ursache dafür sein, dass Folatblutspiegel zu niedrig bleiben. Bei manchen Menschen erfolgt bereits die Resorption aus dem Darm nur unzureichend. Darmerkrankungen wie Zöliakie beziehungsweise Sprue können dafür verantwortlich sein, aber auch bestimmte Arzneistoffe, beispielsweise die »Pille«, Phenytoin oder Sulfasalazin. Außerdem hemmen verschiedene Arzneistoffe die Folat-Funktion, unter anderem Methotrexat (Zytostatikum, Rheumamittel), Trimethoprim (Antibiotikum) und Triamteren (Diuretikum) sowie das Genussmittel Alkohol. Nehmen Patientinnen mit Kinderwunsch einen dieser Arzneistoffe, sollten sie mit ihrem Arzt besprechen, ob sie Folsäure substituieren sollen, und wenn ja, in welcher Dosierung. So verhindern sie gleichzeitig, dass zum Beispiel Antiepileptika oder Methotrexat während einer Dauertherapie nicht mehr ausreichend wirken. Bei sorgfältiger Planung und Aufklärung können sich heute auch Patientinnen mit Epilepsie oder rheumatoider Arthrititis den Wunsch nach eigenen Kindern erfüllen.

Expertenrat für Schwangere

Die Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung raten Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, ihre Nahrung zur Vorbeugung von Neuralrohrdefekten mit 400 μg Folsäure pro Tag zu ergänzen. Diese zusätzliche Zufuhr durch Supplemente sollten sie spätestens vier Wochen vor der Empfängnis beginnen und bis zum Ende des ersten Drittels der Schwangerschaft durchführen, weil sich das Neuralrohr normalerweise vier Wochen nach der Empfängnis (zwischen dem 22. und 28. Tag nach der Empfängnis) schließt. Das entspricht übrigens dem 36. bis 42. Schwangerschaftstag beziehungsweise der 5. bis 6. Schwangerschaftswoche, weil eine Schwangerschaft vom 1. Tag der letzten Menstruation an berechnet wird.

Frauen, die bereits ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt auf die Welt ­gebracht haben oder deren Schwangerschaft nach der Diagnose eines solchen Defektes beendet wurde, empfehlen Fachleute, täglich zusätzlich 4 mg Folsäure einzunehmen.

Die Aufgabe der Folate klingt ziemlich unspektakulär: Sie tragen kleine Einheiten aus einem Kohlenstoffatom, sogenannte C1-Einheiten, von einer Stelle des Organismus zur anderen. Wie bedeutend allerdings diese Arbeit ist, zeigt sich erst, wenn dieser Prozess nicht mehr störungsfrei ablaufen kann. Die durch Folat übertragenen C1-Einheiten spielen in vielen Prozessen der Zellteilung und Zelldifferenzierung eine Rolle.

Wozu Folate dienen

Besonders wichtig sind die Folate in der Schwangerschaft für die gesunde Entwicklung des Ungeborenen, und das bereits von Beginn an. Fehlen sie, kann es zur Ausbildung sogenannter Neuralrohrdefekte kommen, mit schwerwiegenden Folgen: In rund 50 Prozent der Fälle ist die Entwicklung des Feten so stark beeinträchtigt, dass ein »offener Rücken« entsteht, eine Spina bifida. In rund 40 Prozent ist eine Anenzephalie die Folge. Dann fehlen dem Neugeborenen Teile des Großhirns, die Neurohypophyse (Hypophysenstiel und -hinterlappen), das Zwischenhirn sowie das Schädeldach ganz oder teilweise. Fehl- oder Totgeburten sind häufig die Folge, ebenso schwerste Behinderungen wie Querschnittslähmung oder Wasserkopf. Statistisch sind circa 1 bis 1,5 von 1000 Neugeborenen von Neuralrohrdefekten betroffen, frühzeitige Aborte nicht mitgerechnet.

Das Neuralrohr des Ungeborenen schließt sich bereits zwischen dem 22. und 28. Tag nach der Empfängnis, zu einem Zeitpunkt also, an dem die meisten Frauen noch gar nicht ahnen, dass sie schwanger sind. Erwachsenen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) täglich 400 μg, Schwangeren und Stillenden rät sie zu 600 μg Folsäure am Tag. Im Ausland setzt man Getreideprodukten Folsäure zu, um diese Zufuhrmengen zu erreichen. Dies ist hierzulande verboten. Folsäure findet sich aber in Deutschland – meist kombiniert mit ­Iodid – zum Beispiel als Zusatz im Speisesalz. Bei einem üblichen Konsum dieses angereicherten Salzes von 2 Gramm pro Tag nimmt der Verbraucher 200 μg Folsäure zu sich.

Welche anderen Lebensmittel auch Folsäure enthalten, zeigt die Tabelle. Wichtig zu wissen: Beim Kochen werden 60 bis 90 Prozent des Folsäuregehaltes zerstört. Daher fällt es häufig schwer, den Bedarf über die Ernährung zu decken, auch wenn man ganz bewusst bestimmte Lebensmittel auswählt. Von den gehaltvollen Innereien raten Gynäkologen Schwangeren allerdings eher ab, weil diese Nahrungsmittel unter Umständen vermehrt mit Schadstoffen belastet sind.

Vier Wochen vor Empfängnis

Auf der sicheren Seite in puncto Folsäurezufuhr befindet sich, wer – möglichst frühzeitig – Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel mit Folsäure und/oder deren Abkömmlingen einnimmt. Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollten spätestens vier Wochen vor der Empfängnis mit der Einnahme begonnen haben. Obwohl die allgemeine Empfehlung so lautet, ist dies zugegebenermaßen in der Praxis nicht immer leicht zu bewerkstelligen.

Ausgewählte Nahrungsmittel und ihr Folsäuregehalt

Lebensmittel Folsäuregehalt (µg)
Huhn, Leber 391
Kalb, Leber 247
Rind, Leber 226
Meeresalge 180
Rind, Niere 177
Schwein, Leber 141
Hühnerei, Eigelb 130
Erdnuss 126
Petersilie 116
Kresse 110
Mohn 100
Sonnenblumenkerne 100
Fenchel 100

Auch wenn die gewünschte Schwangerschaft ausbleibt, ist eine frühzeitige und damit längerfristige Einnahme für die Frau völlig unproblematisch. Schließlich benötigt der Körper das »Schwangerschaftsvitamin« auch, wenn er nicht schwanger ist, zum Beispiel für die ausreichende Bildung funktionsfähiger Erythrozyten.

Zudem hätten Studien gezeigt, dass entleerte Depots mit der zusätzlichen Gabe von täglich 400 μg Folsäure nicht innerhalb von vier Wochen aufgefüllt werden konnten, berichtete Pietrzik auf dem Symposium in Düsseldorf. Erst nach zwei bis drei Monaten wären ausreichende Spiegel erreicht. Um die Depots innerhalb von vier Wochen aufzufüllen, müsse die tägliche Dosis 800 μg betragen.

Bis in die Stillzeit

Ausreichende Folsäurespiegel benötigen Mutter und Ungeborenes jedoch nicht nur in den ersten Wochen der Schwangerschaft, sondern über die gesamten neun Monate. Dadurch vermindert sich neben dem Risiko für Neuralrohrdefekte die Gefahr von Plazentaablösungen, Fehl- und Frühgeburten sowie eines erniedrigten Geburtsgewichts. Interessanterweise ergaben Studien, dass die Folatspiegel der Neugeborenen auch dann ausreichend hoch lagen, wenn die der Mütter erniedrigt waren. Über einen ausgeklügelten Mechanismus scheint der Körper der Mutter – zu eigenen Lasten – die Versorgung des Feten sicherzustellen. Darüber hinaus raten Experten auch Stillenden zur Einnahme von Folsäure beziehungsweise deren Derivaten, da auch der Säugling für sein Wachstum ausreichend hohe Folatmengen benötigt. /

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