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Arzneimitteltherapie

Neue Arzneistoffe im Juli 2011

22.07.2011  16:29 Uhr

Von Sven Siebenand / Sommerpause gibt es bei der Arzneimittelzulassung nicht. Seit Juli sind zwei neue Arzneisubstanzen in Deutschland verfügbar: ein Spray mit Cannabinoiden für Patienten mit Spastiken aufgrund einer Multiplen Sklerose und ein Immunsuppressivum, das die Abstoßung von Nierentransplantaten verhindern soll.

Ein häufiges Symptom der Multiplen Sklerose (MS) ist die MS-induzierte Spastik. Schätzungen zufolge entwickeln etwa 80 Prozent der circa 130 000 MS-Patienten in Deutschland im Verlauf ihrer Erkrankung eine Spastik. So bezeichnen Mediziner eine erhöhte Muskelspannung, die zustande kommt, weil Nervenimpulse in die Muskulatur nicht richtig übertragen werden. Der Muskel versteift und kann nicht mehr so gut arbeiten. Das beeinträchtigt die Beweglichkeit, körperliche Leistungsfähigkeit und damit die Lebensqualität. Wird die MS-induzierte Spastik unzureichend behandelt, hat dies langfristige Folgen und erschwert beispielweise das Gehen, wenn Lähmungen hinzukommen.

Cannabinoide gegen MS-Spastik

Bisher verordnen Ärzte den betroffenen Patienten vor allem Muskelrelaxanzien und Antiepileptika. Seit Anfang Juli gibt es für MS-Patienten eine neue Therapieoption: Sativex® Spray (Almirall) zur Anwendung in der Mundhöhle. Das Präparat enthält zwei Wirkstoffe aus Cannabis-sativa-Pflanzen im Verhältnis 1 zu 1: Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Der Arzt muss das neue Arzneimittel auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben.

Wie lässt sich die Wirkung von Cannabinoiden bei MS-Spastiken erklären? Schon seit Längerem ist bekannt, dass körpereigene Cannabinoide unter anderem für die Impulsübertragung von einem Nerven zum nächsten mitverantwortlich sind und dass das körpereigene Cannabinoidsystem bei spastischen Störungen verändert ist. Patienten mit MS-induzierter Spastik fehlen offenbar diese Endocannabinoide. Mit den Inhaltsstoffen aus der Hanfpflanze lassen sie sich ersetzen. Indem THC und CBD an die Cannabinoid-Rezeptoren binden, verbessern sie die Regulation von Nervenimpulsen und verringern letztendlich die Spastik.

Zugelassen ist das neue Spray bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer MS-Spastik, die nicht angemessen auf eine andere antispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die während eines ersten Therapieversuchs mit dem Spray erheblich davon profitierten. Da die in dem Spray enthaltenen Cannabinoide schnell über die Mundschleimhaut aufgenommen werden, können die Patienten die Symptome individueller und bedarfsgerechter kontrollieren, als wenn sie ein Arzneimittel einnehmen. Allerdings müssen sie zunächst in der Anfangsphase die optimale Dosis ermitteln, denn Anzahl und Zeitpunkt der Sprühstöße sind von Patient zu Patient unterschiedlich. Die mittlere Dosis betrug in Studien acht Sprühstöße pro Tag. Abweichungen nach oben oder unten sind möglicherweise aber notwendig. Der Hersteller empfiehlt in der Fachinformation, nicht mehr als zwölf Sprühstöße am Tag anzuwenden. PTA oder Apotheker können Patienten darauf hinweisen, dass sie das Spray jedes Mal an eine andere Stelle in der Mundhöhle sprühen sollten. Zudem müssen die Patienten wissen, dass es bis zu zwei Wochen dauern kann, bis die optimale Dosierung gefunden ist und dass Nebenwirkungen während dieser Zeit auftreten können. Am häufigsten klagten die Teilnehmer in Studien über Schwindel, sehr häufig auch über Müdigkeit. Diese Nebenwirkungen sind in der Regel aber nur schwach und klingen nach einigen ­Tagen ab.

Da beachtliche Mengen der Cannabinoide in die Muttermilch übergehen können und diese möglicherweise die Entwicklung der Kinder beeinträchtigen, ist das neue Spray bei Stillenden kontraindiziert. Tabu ist das Spray unter anderem auch bei einer bekannten oder vermuteten Anamnese oder Familienanamnese von Schizophrenie.

Auch Schwangeren sollten Ärzte Sativex nicht verordnen, es sei denn, die Vorteile der Behandlung überwiegen die möglichen Gefahren für den Fötus beziehungsweise den Embryo. Ebenso sollten Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Mittel nicht erhalten. Vorsicht geboten ist bei der gleichzeitigen Anwendung von Hypnotika, Sedativa und Arzneimitteln mit möglicherweise sedierender Wirkung, da sich die sedierenden und muskelrelaxierenden Effekte aufaddieren können.

Das Spray ist bis zum Anbruch im Kühlschrank bei 2 bis 8 Grad Celsius zu lagern. Sobald die Sprühflasche geöffnet wurde und regelmäßig in Gebrauch ist, reicht eine Lagerung bei Raumtemperatur unter 25 Grad Celsius aus.

Neues Immunsuppressivum

Im Jahr 2009 wurden in der Europäischen Union rund 18 000 Patienten Nieren transplantiert. Seit Mitte Juli ist ein neues Biological für Erwachsene mit einer Spenderniere auf dem deutschen Markt erhältlich, das die Abstoßung des Transplantats verhindern soll. Belatacept (Nulojix® 250 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Bristol-Myers Squibb) ist ein Molekül mit einem neuen Wirkmechanismus. Es wird kombiniert mit Corticoiden und Mycophenolsäure, also anderen Arzneimitteln, die ebenfalls die Organabstoßung verhindern. Zudem empfiehlt der Hersteller in der Fachinformation, den Patienten zu Therapiebeginn zusätzlich einen sogenannten Interleukin-2-Rezeptorant­agonisten (zum Beispiel Basiliximab) zu ­geben.

Belatacept wird als intravenöse Infu­sion verabreicht. Die Dosis berechnet der Arzt nach dem Körpergewicht des Patienten. In der Anfangsphase erhalten sie eine Dosis von 10 mg pro Kilogramm Körpergewicht (KG), ab dem Ende der 16. Woche alle vier Wochen eine Erhaltungsdosis von 5 mg pro Kilogramm KG. Muss der Patient von Belatacept auf ein anderes Immunsuppressivum umgestellt werden, sollten Ärzte die Halbwertszeit des neuen Wirkstoffs von acht bis zehn Tagen beachten, um zu vermeiden, dass die Immunantwort des Patienten zu gering oder zu stark unterdrückt wird.

Belatacept wirkt immunsuppressiv, indem es an zwei Rezeptoren auf der Oberfläche von T-Zellen bindet und damit die Aktivität beziehungsweise Aktivierung der T-Zellen blockiert. Die T-Zellen des Immunsystems können an der Organabstoßung beteiligt sein.

Folgende Nebenwirkungen von Belatacept wurden in Studien am häufigsten beobachtet: Gastroenteritis, Harnwegsinfektionen, Nierenbeckenentzündungen, Cytomegalievirus-Infektionen, Lungenentzündungen, Fieber, erhöhte Kreatininwerte im Blut, Durchfall, schlechte Funktion der transplantierten Niere, niedrige Zahl weißer Blutkörperchen und roter Blutkörperchen, Basalzellkarzinom und Flüssigkeitsmangel.

Wichtig: Patienten, die noch keinen Kontakt mit dem Epstein-Barr-Virus hatten oder bei denen diesbezüglich Unklarheit besteht, dürfen kein Belatacept erhalten. Der Grund dafür ist, dass bei den Patienten, die mit dem Biological behandelt werden und noch nicht mit dem Virus in Berührung gekommen sind, das Risiko erhöht wird, an einer bestimmten Krebsart zu erkranken, der sogenannten Posttransplantations-Lymphoproliferationsstörung (PTLD). Anscheinend triggert die Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus unter Immunsuppression die Vermehrung der Lymphozyten, was zum Krankheitsbild der PTLD führt.

Da Immunsuppressiva die Antwort auf eine Impfung beeinflussen, können Impfungen während der Behandlung mit Belatacept weniger wirksam sein. Lebendvakzine sollte der Arzt gar nicht spritzen.

Schwangere sollten nicht mit Belatacept behandelt werden, es sei denn, dies ist eindeutig erforderlich. Mütter sollten während der Therapie mit dem Biological nicht stillen, und Frauen im gebärfähigen Alter sollten unter Belatacept und bis zu acht Wochen nach der letzten Behandlungsdosis sicher verhüten. /

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