Wege zum Wunschkind |
23.04.2018 13:56 Uhr |
Von Manuela Kupfer / Kinder zu bekommen scheint die einfachste Sache der Welt zu sein – aber nicht für alle Paare. Ein unerfüllter Kinderwunsch hängt häufig mit einer Störung der Fruchtbarkeit zusammen, bei beiden Partnern. Mögliche Ursachen gibt es viele. In einigen Fällen können moderne Verfahren der Fortpflanzungsmedizin zu einer Schwangerschaft verhelfen.
Louise Brown, die als erstes Retortenbaby der Welt geboren wurde, feiert in Kürze ihren 40. Geburtstag. Sie war 1978 durch eine In-vitro-Fertilisation (IVF) gezeugt worden. 1992 wurde in Belgien dann erstmals eine weitere Methode der künstlichen Befruchtung, die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), angewendet. Mittlerweile kommen allein in Deutschland jährlich mehr als 20 000 Kinder nach einer IVF- oder ICSI-Behandlung zur Welt, weltweit sind es seit deren Einführung inzwischen mehr als 7 Millionen.
Zum Einsatz kommen solche Verfahren, wenn bei einem Paar Unfruchtbarkeit festgestellt wird, das heißt bei einem oder beiden Partnern die biologischen Voraussetzungen für eine Zeugung beziehungsweise eine Schwangerschaft nicht vorhanden sind. In vielen Fällen handelt es sich dabei um mehr oder weniger ausgeprägte Fruchtbarkeitsstörungen, die ärztlich behandelt werden können. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt ein Paar als unfruchtbar, wenn die Frau innerhalb eines Jahres trotz regelmäßigem Geschlechtsverkehr nicht schwanger wird. Dies betrifft etwa jedes siebte Paar in Deutschland.
Damit eine Schwangerschaft entstehen kann, sind zahlreiche, fein aufeinander abgestimmte Vorgänge nötig, an denen verschiedene Organe und Hormone beteiligt sind. Ist auch nur ein Faktor gestört, kann das zu Komplikationen führen und eine Schwangerschaft erschweren. Statistisch gesehen verteilen sich die Fruchtbarkeitsstörungen mit jeweils etwa 20 bis 30 Prozent gleichmäßig auf Frau und Mann. Bei 25 bis 40 Prozent der betroffenen Paare besteht eine Störung bei beiden Partnern. Nicht selten finden sich mehrere kleine Auffälligkeiten, die in der Summe die Chancen für eine natürliche Schwangerschaft reduzieren. In 10 bis 20 Prozent der Fälle bleibt die Ursache jedoch unklar (idiopathisch).
Stellt sich der ersehnte Nachwuchs nicht ein, liegt nicht immer eine Erkrankung vor. Großen Einfluss auf die Fruchtbarkeit haben auch das Alter der beiden Partner sowie ihr Lebenswandel. Die Fertilität der Frau sinkt ab Mitte 20, zunächst allmählich, ab 30 Jahren zunehmend. Eine 35-Jährige hat im Vergleich zu einer 25-Jährigen nur halb so gute Chancen, ein gesundes Kind zu bekommen. Männer können zwar lange zeugungsfähig bleiben, doch die Qualität der Spermien nimmt zwischen 30 und 40 Jahren kontinuierlich ab, während genetische Defekte zunehmen. Der Fertilität schaden Stress, der Konsum von Tabak – die Zeugungsfähigkeit kann sich um bis zu 40 Prozent verringern –, Alkohol und andere Drogen, Schlafmangel, extremer Leistungssport, manche Medikamente, extremes Über- und Untergewicht, Umweltgifte und Luftverschmutzung, psychische und sexuelle Probleme. Diese Faktoren können den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen, die Funktion der Eierstöcke beeinträchtigen, das Einnisten befruchteter Eizellen erschweren, die Spermienzahl und -qualität herabsetzen und/oder zu einer erektilen Dysfunktion führen.
Mithilfe verschiedener, teils aufwendiger Untersuchungen lässt sich meist die Ursache der Kinderlosigkeit feststellen. Abhängig davon gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine Infertilität zu behandeln. Eine Anpassung des Lebensstils kann dabei stark unterstützend wirken: Beide Partner sollten das Rauchen aufgeben, Übergewicht abbauen, das heißt einen Body-Mass-Index zwischen 18 und 30 anstreben und sich ausgewogen ernähren, mit viel Obst und Gemüse, aber wenig gesättigten Fettsäuren. Es gibt Hinweise darauf, dass besonders Vitamin D und Lycopin, ein vor allem in Tomaten, Trauben und Paprika enthaltenes Antioxidans, sich positiv auf die Fertilität auswirken könnten. Gut für die Fruchtbarkeit sind ferner ein möglichst niedriges Stressniveau, lustvoller Sex und regelmäßige Bewegung.
Behandlung oft nötig
Bei vielen Paaren ist dennoch eine medizinische Behandlung notwendig, damit eine Schwangerschaft entsteht. Blockierte Eileiter können beispielsweise durch einen chirurgischen Eingriff für Spermien passierbar gemacht werden. Mit Medikamenten lassen sich Hormonstörungen bei der Frau regulieren, die Eierstöcke können hormonell stimuliert, ein Eisprung etwa mit Clomifen ausgelöst werden. Reicht das nicht aus, kommt eine künstliche Befruchtung infrage. Es existieren drei Methoden.
Bei der Insemination wird durch hormonelle Stimulation ein Eisprung ausgelöst. Danach wird Sperma mit einem speziellen Katheter direkt in die Gebärmutter der Frau eingespült. So gelangen die Samenzellen schneller und in größerer Dichte zur Eizelle. Stammt das Sperma vom eigenen Partner, spricht man von homologer Insemination. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Behandlung mit Spendersamen möglich. In Deutschland kommen jährlich etwa 1200 Kinder nach einer solchen heterologen Insemination auf die Welt.
Befruchtung im Reagenzglas
Bei einer IVF entnimmt der Arzt nach der hormonellen Stimulation der Eierstöcke mithilfe einer feinen Nadel durch die Scheide reife Eizellen aus den Eierstöcken (Follikelpunktion). Die Eizellen werden anschließend in der Kulturschale mit dem Sperma des Partners oder eines Samenspenders zusammengebracht. Findet eine Befruchtung und Zellteilung statt, werden nach etwa drei Tagen im Brutschrank ein bis maximal drei Embryonen in die Gebärmutter transferiert. Angewendet wird das Verfahren vor allem bei Verschluss oder Fehlen der Eileiter, verminderter Zeugungsfähigkeit des Mannes, starker Endometriose oder wenn alle bisherigen Methoden nicht zu einer Schwangerschaft geführt haben.
Wie bei der IVF werden die reifen Eizellen bei der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion ICSI nach einer Hormonstimulation aus den Eierstöcken entnommen. Im Labor wird dann je ein Spermium unter dem Mikroskop mit einer feinen Nadel direkt in die Eizellen injiziert. Die weitere Vorgehensweise entspricht der IVF. Die ICSI ist mittlerweile die häufigste Methode der künstlichen Befruchtung. Sie wird angewendet, wenn die Samenzellen weder im Eileiter noch in der Petrischale eine Eizelle befruchten können.
Spermien, Hodengewebe, Eizellen und Embryonen können in flüssigem Stickstoff eingefroren werden (Kryokonservierung). Dies hat den Vorteil, dass Hormonstimulation und Eizell- oder Spermiengewinnung bei weiteren Behandlungsversuchen nicht wiederholt werden müssen. In Deutschland werden eingefrorene Eizellen bis zu zwei Jahre aufbewahrt, auch ein bereits existierender Embryo darf im Ausnahmefall zeitlich begrenzt eingefroren werden.
Manchmal, etwa bei fehlenden oder verschlossenen Samenleitern, produzieren die Hoden zwar Spermien, diese gelangen aber nicht in das Ejakulat. Dann lassen sich möglicherweise Samenzellen operativ aus dem Hodengewebe (TESE) oder mittels Punktion aus den Nebenhoden (MESA) gewinnen. Nach MESA und TESE wird meist eine ICSI angewendet.
Erfolg nicht garantiert
Die Art der Fruchtbarkeitsstörung, die Dauer des Kinderwunsches, der Lebensstil beider Partner und das Alter der Mutter spielen für den Erfolg einer Behandlung eine Rolle. Die Chancen, nach einer künstlichen Befruchtung ein Kind zu bekommen, liegen in Deutschland bei einer 35-Jährigen bei 27 Prozent pro Embryotransfer, bei einer 40-Jährigen bei 15 Prozent und bei einer 44-Jährigen nur noch bei rund 3 Prozent. 73 Prozent der künstlich erzeugten Schwangerschaften münden in eine Geburt, das entspricht einer »Baby-Take-Home«-Rate von 20 Prozent (Daten von 2016). Statistisch gesehen liegt die Geburtenrate pro Behandlungszyklus für eine IVF oder ICSI bei 15 bis 20 Prozent, für eine ICSI mit MESA/TESE bei 10 bis 15 Prozent.
Fruchtbarkeitsbehandlungen greifen stark in den weiblichen Körper ein. Bei der hormonellen Stimulation können unangenehme Nebenwirkungen wie auch ernsthafte Komplikationen auftreten. Ein ovarielles Überstimulationssyndrom (OHHS) tritt in 0,6 bis 14 Prozent der Fälle auf. Sehr selten können auch die operativen Eingriffe, die für Diagnostik und Therapie notwendig sind, Komplikationen nach sich ziehen.
Die Rate der Fehlgeburten, der Kaiserschnitte und der kindlichen Fehlbildungen liegt bei den künstlich erzeugten Schwangerschaften etwas höher als bei denen, die auf natürlichem Weg entstanden sind. Unklar ist jedoch, ob dies eine Folge der Fruchtbarkeitsbehandlung ist oder ob sie mit den Ursachen für die Unfruchtbarkeit der Eltern selbst zusammenhängen. /
Bei der Frau:
Beim Mann: