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Kopfschmerz & Co.

Die Psychologie der Selbstmedikation

24.08.2012  17:01 Uhr

Von Ralf Daute / Seit die gesetzlichen Krankenkassen rezeptfreie Arzneimittel nur noch in Ausnahmefällen erstatten, müssen Pa­tienten die Kosten für Medikamente gegen sogenannte Bagatell­erkrankungen selbst tragen. Eine Studie analysiert die Motive der Patienten, in der Apotheke ein OTC-Medikament zu erwerben.

Der Blick auf die Umsatzzahlen der rezeptfreien Arzneimittel könnte zu der Überzeugung verleiten, dass die Deutschen gesünder geworden sind. Der Gesamtumsatz der sogenannten OTC-Mittel im Apothekenmarkt sank im Jahr 2010 nach Angaben des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent.

Patienten, Ärzte und Apotheker haben sich inzwischen an eine Dauerreform des Gesundheitswesens gewöhnt, die unter anderem die Verschreibungsmöglichkeiten des Arztes eingeengt und dem Arztbesuch kleine Hürden vorgeschoben hat, beispielsweise durch Einführung der Praxisgebühr. Seit Wegfall der Erstattung rezeptfreier Medikamente wenden sich Patienten mit leichten bis mittelschweren Schmerzen, mit Hautproblemen und Pilz­erkrankungen, mit Erkältungssymptomen sowie mit Problemen im Magen- und Verdauungstrakt meist direkt an PTA oder Apotheker, wenn sie Beratung zu ihren Beschwerden wünschen.

Die verantwortlichen Politiker begründen ihre Strategie in der Gesundheitspolitik mit dem Bild des mündigen Bürgers, der die Sorge um seine Gesundheit selbst in die Hand nimmt und der als selbstbewusster Manager seines eigenen Wohlbefindens agiert. Und doch: Die Theorie, dass Patienten statt sich ein rezeptfreies Arzneimittel vom Arzt verordnen zu lassen, dieses nun im Rahmen der Selbstmedikation in der Apotheke kaufen, erwies sich als unrealistisch. Zwar vergrößerten viele Apotheken die Regale, um mehr OTC-Mittel präsentieren zu können, der Umsatz tritt jedoch mehr oder minder auf der Stelle.

Die Ursachen dafür hat das Marktforschungsinstitut concept m (Berlin/Köln) in der Initiativstudie »Die Psychologie der Selbstmedikation« analysiert. Die Untersuchung erfolgte auf der Ba­- sis tiefenpsychologischer Intensivinterviews. Die Marktforscher interessierten sich bei ihrer Befragung vor allem dafür, was unter psychologischen Aspekten die »Treiber« für den Kauf verschreibungsfreier Medikamente sind. Überdies erhielten sie interessante Informationen über die psychischen Barrieren, die dem Kauf solcher Medikamente entgegenstehen. Und drittens lieferte die Befragung Erkenntnisse, welche Positionierungen für die Medikamente erfolgversprechend sind. Der Untersuchung zufolge sind es sechs grundsätzliche Motive, die den Kunden in der Apotheke nach einem Kopfschmerzmittel oder einem anderem OTC-Arzneimittel fragen lassen. »Der Patient betreibt für sich entweder stabilisierende Fürsorge, autonome Krankheitsbekämpfung, aktivierende Unterstützung von Selbstheilungsprozessen, die behutsame Pflege eines Instrumentariums zur Krankheitsbekämpfung, die abwägende Entscheidung gegen einen Arztbesuch, oder er will sich schlicht und einfach mit seinem Wohlbefinden unabhängig machen«, erläutert Diplom-Psychologe Thomas Ebenfeld, concept-m-Geschäftsführer und Autor der Studie.

Viele dieser Motive haben gewissermaßen ihre eigene Geschichte: Wenn beispielsweise das Motiv der »stabilisierenden Versorgung« bei einem Interviewpartner dominiert, schwingen bei diesem Bilder familiärer Fürsorge mit. Er erinnert sich vielleicht an den Hustensaft seiner Kindheit, den seine Eltern ihm bei hartnäckigem Hustenreiz gaben.

Legt ein Patient besonders viel Wert auf Autonomie, will er möglicherweise die Entwertungsgefühle vermeiden, die bei einem Arztbesuch entstehen können. In seinem Kopf entstehen dann Bilder von verschwendeter Zeit im Wartezimmer, zu kurzen Behandlungszeiten, unklaren oder unverständlichen Diagnosen oder einer Überweisung zum nächsten Arzt. Ebenfeld: »Der selbstbestimmte Griff zum Medikament ist für diesen Nutzertypus auch der Moment, in dem er – zumindest gefühlt – dem Pharmamarkt ein Schnippchen schlägt.«

Doch so verlockend dem Patienten seine individuellen Motive auch erscheinen mögen, in seiner Psyche machen sich immer auch gegenläufige Tendenzen bemerkbar. So möchten viele Patienten eigentlich doch nicht auf die fundierte ärztliche Fürsorge verzichten. Andere bezweifeln angesichts der Freiverkäuflichkeit die Wirksamkeit des Arzneimittels oder sie verlieren im Angebot der Apotheken den Überblick.

Weitere Barrieren, ein rezeptfreies Arzneimittel im Rahmen der Selbstmedikation zu erwerben, sind die Furcht vor Langzeitnebenwirkungen (insbesondere bei Schmerzmitteln) sowie die Angst vor einer Verschiebung der Toleranzgrenzen. Ebenfeld: »Die Einnahme von OTC-Medikamenten wird dann als aktiver Eingriff in Prozesse wahrgenommen, der möglicherweise eigene Kompetenzen übersteigt und riskant wirkt.«

Will sich ein Arzneimittel in diesem widersprüchlichen Motivgefüge behaupten, müssen die Hersteller in ihren Werbeaussagen eindeutige Botschaften senden. »Die Kommunika­- tion muss klare Wirkbilder und klare Wirkversprechen vermitteln«, erklärt Ebenfeld. Sinnvoll sei es, die gesellschaftliche Tendenz zur Eigenverantwortung für die Gesundheit aufzugreifen. Dazu könnten die OTC-Marken beispielsweise die Botschaft »geeignet für moderne Lebensführung« vermitteln. »OTC-Präparate müssen einerseits kommunizieren, dass sie schonend und trotzdem wirksam sind, und andererseits, dass sie sicher autonom einsetzbar sind und ihre Verwendung keine Kompentenz-Überschreitung darstellt«, so Ebenfeld.

Nach Ansicht des Marktforschers kommt dabei der Beratung durch PTA oder Apotheker eine wichtige Rolle zu. Die Kunden oder Patienten wünschen absichernde Informationen in der Beratung. Sie möchten mit Wissen rund um das Arzneimittel ausgerüstet werden, je nach Situation beispielsweise über den individuellen Nutzen sowie über mögliche Risiken. Dieses Ergebnis sei vor dem Hintergrund des Internets, das als neuer Vertriebsweg beträchtliche Wachstumsraten im OTC-Segment aufweist, eine interessante Beobachtung, so der Psychologe. Die persönliche Empfehlung durch PTA oder Apotheker verfehle ihre Wirkung nicht.

Langfristig, so Ebenfeld, habe das Segment der OTC-Medikamente in den Apotheken deutliche Entwicklungschancen – sofern die Absicherungs- und Rückversicherungswünsche der Patienten gebührend beachtet werden. /

E-Mail-Adresse des Verfassers

ralf.daute(at)me.com

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