Die Übelkeit fährt mit |
05.06.2014 13:04 Uhr |
Von Katja Renner/ Wer im Auto oder auf dem Schiff unter Übelkeit leidet, blickt der Urlaubsreise häufig mit gemischten Gefühlen entgegen. PTA und Apotheker können reiselustigen Kunden nicht nur mit Medikamenten, sondern auch mit guten Tipps helfen.
Die typische Reisekrankheit ist im medizinischen Sinne gar keine eigenständige Erkrankung. Es handelt sich vielmehr um einen Symptomenkomplex, der durch Störungen des Gleichgewichtssinns auftritt, zum Beispiel bei einer Schifffahrt mit spürbarem Wellengang oder einer Autofahrt über kurvige Straßen. Der medizinische Fachbegriff »Kinetose« leitet sich von dem griechischen Begriff »kinein« für bewegen ab. So beschreibt dieser Terminus den Auslöser der Beschwerden, den Bewegungsreiz.
Die Reisekrankheit kündigt sich zunächst mit einem flauen Gefühl, Gesichtsblässe und Kopfschmerzen an. Schwindel, Schwitzen und Übelkeit bis zum Erbrechen folgen. Das Ausmaß der Beschwerden variiert dabei stark. Auch wenn die Reisekrankheit eine harmlose Befindlichkeitsstörung ist, kann sie für die Betroffenen sehr belastend sein. Generell können Kinetosen zwar jeden treffen, doch eine gewisse Veranlagung dafür scheint eine Rolle zu spielen. Sehr häufig betroffen sind Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren. Bei Säuglingen ist der Gleichgewichtssinn noch nicht so ausgeprägt, so dass sie Bewegungsreize gut aushalten. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, insbesondere in der Schwangerschaft und während der Menstruation. Mediziner vermuten hormonelle Einflüsse. Menschen, die häufig unter Migräne leiden, scheinen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Kinetosen zu haben. Mit dem Alter entwickeln viele Erwachsene eine gewisse Unempfindlichkeit gegenüber dem Schaukeln, sodass Senioren nur selten über Reiseübelkeit klagen.
Der genaue Pathomechanismus der Kinetose ist nicht bekannt. Sicher ist, dass sie ein Resultat der Verarbeitung widersprüchlicher Bewegungsreize ist. Die Augen, der Gleichgewichtssinn im Innenohr und die Lagerezeptoren an Gelenken und Muskeln nehmen unterschiedliche Informationen auf. Befindet sich eine Person beispielsweise auf einem schwankenden Schiff bei unruhigem Seegang, spüren die Muskeln das Schaukeln zwar sehr genau, die Augen aber nehmen in der Kajüte eine ruhige Umgebung wahr. So geraten Gleichgewichtssinn und Sehsinn in Konflikt. Eine Störmeldung wird an das Gehirn gesendet und führt zu einer Ausschüttung von Botenstoffen wie Serotonin und Histamin. Histamin stimuliert nun das Brechzentrum, der Betroffene verspürt Übelkeit und Brechreiz. Alkohol oder eine zu fettige Mahlzeit vor Reisebeginn verstärken die beschwerden.
Gegen leichte Formen der Reisekrankheit helfen häufig schon kleine Verhaltensänderungen, um das Gleichgewichtsorgan zu überlisten. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, können Medikamente zuverlässig Reiseübelkeit vorbeugen oder behandeln. PTA oder Apotheker können für die Mitnahme einen Wirkstoff aus der Gruppe der Antihistaminika empfehlen, zum Beispiel Dimenhydrinat oder Diphenhydramin. Diese blockieren die Histaminrezeptoren im Brechzentrum und verhindern oder unterbrechen die Übelkeitskaskade. Die genannten Arzneistoffe zählen zu den Antihistaminika der ersten Generation, das heißt sie wirken zentral und haben sedierende Begleiteffekte. Dies müssen PTA und Apotheker den Patienten unbedingt mitteilen, denn häufig schränkt dies die Reaktionsfähigkeit ein. Autofahrer sollten diese Präparate deshalb selbst nicht einnehmen.
Es stehen verschiedene Darreichungsformen vom Zäpfchen bis zum Kaugummi zur Verfügung. Unterschiedliche Dosierungen der Wirkstoffe für Kinder und Erwachsene sollten bei der Empfehlung beachtet werden. Wichtig ist, dass Tabletten und Zäpfchen mindestens eine halbe Stunde vor Reiseantritt angewendet werden. Kaugummis gegen Reiseübelkeit kann der Betroffene hingegen bei Bedarf kauen, sie setzen den Wirkstoff im Mundraum frei und wirken deshalb schneller. Außerdem sind Kaugummis mit 20 Milligramm niedriger dosiert als Tabletten (50 mg pro Tablette). Sie sind deshalb auch für Kinder ab sechs Jahren geeignet. In schweren Fällen kann Dimenhydrinat auch injiziert werden.
Mit Rezept
Bei bekannten schweren Verläufen ist ein transdermales therapeutisches System mit dem Wirkstoff Scopolamin (Scopoderm TTS®), einem Hemmstoff an muskarinischen Acetylcholin-Rezeptoren, eine Alternative. Das Parasympatholytikum verhindert Übelkeit und Erbrechen. Die Wirkung beruht vermutlich auf der Hemmung der Reizübertragung vom Gleichgewichtsorgan an das zentrale Nervensystem. Das verschreibungspflichtige Pflaster ist gegen Schwindel, Übelkeit und Erbrechen bei Reise- oder Seekrankheit wirksam. Den Patienten sollten PTA und Apotheker mitteilen, dass das Pflaster etwa fünf bis sechs Stunden vor Reiseantritt an eine unverletzte, unbehaarte Stelle hinter dem Ohr aufgeklebt wird. Der Applikationsort ermöglicht eine erheblich bessere Resorptionsrate im Vergleich zum Unterarm. Bei Menschen mit Engwinkelglaukom ist Scopolamin kontraindiziert. Auch können die anticholinergen Nebenwirkungen bei Patienten mit Polymedikation ein Problem sein.
Ingwer gilt schon lange bei Matrosen als wirksames Mittel gegen Reiseübelkeit. Damals wurde die rohe Wurzel gekaut, heute gibt es Ingwer-Präparate auch als Tabletten oder Kapseln. Die Inhaltstoffe haben eine leichte Wirkung gegen Schwindel und den Brechreiz. /