Bessere Begleittherapie |
11.05.2015 13:36 Uhr |
Von Isabel Weinert / Heute gibt es weniger diabetische Folgeschäden, weil Diabetes-Patienten umfassender und besser therapiert werden. PTA-Forum sprach mit Professor Dr. Thomas Forst, Mainz von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) über den aktuellen Wissensstand und hilfreiche Maßnahmen bei diabetischen Folgeschäden.
PTA-Forum: Woran liegt es, dass das Risiko für diabetische Folgeschäden gesunken ist?
Forst: Das ist sicher der besseren Therapie des Diabetes zuzuschreiben. Die Stabilität der Blutzuckereinstellung konnte durch verschiedene Medikamente verbessert werden.
Neben dem Hyperglykämierisiko wurde auch das für Hypoglykämien verringert. Beides spielt für das vaskuläre Risiko eine wichtige Rolle.
Darüber hinaus liegt die geringere Rate an Folgeschäden aber auch an der verbesserten Begleittherapie. Viele, vor allem Typ-2-Diabetiker, haben hohen Blutdruck und hohe Blutfettwerte. Beides steigert das vaskuläre Risiko stark, und zwar sowohl für mikro- als auch für makrovaskuläre Störungen. Der Blutdruck ist heute in der Regel besser kontrolliert, und sehr viele Patienten nehmen gegen hohe Blutfettwerte Statine ein. Diese bessere Gesamteinstellung hat dazu geführt, dass das Risiko für Komplikationen deutlich gesenkt wurde.
PTA-Forum: Welche Rolle spielen Unterzuckerungen für die Blutgefäße?
Forst: In einer Unterzuckerung treten eine Reihe von Fehlfunktionen an der Innenauskleidung der Blutgefäße auf, am Endothel. Außerdem wird die Blutgerinnung gestört. Im makrovaskulären Bereich, also für Herzinfarkte und Schlaganfälle, ist in vielen Studien eine sehr enge Assoziation zwischen Unterzucker und Herzinfarkt sowie Schlaganfall gezeigt worden.
PTA-Forum: Sind manche Diabetiker besser vor Folgeschäden geschützt als andere?
Forst: Das spekuliert man. Wir haben Patienten, die sind immer relativ gut eingestellt und bekommen trotzdem Komplikationen, und wir haben andere Patienten, die grottenschlecht eingestellt sind und gar nichts haben. Das ist verblüffend und man überlegt, ob es eine genetische Veranlagung gibt. Was wir auch nicht verstehen, ist, warum der eine Retinopathie bekommt, der nächste eine Neuropathie, der Dritte einen Herzinfarkt und der Vierte alles. Man vermutet, dass dort eine genetisch bedingte individuelle Verletzlichkeit vorhanden ist. Wir kennen jedoch keine Schutzgene oder andere schützende individuelle Faktoren.
Das Bild der Folgeerkrankungen variiert also von gar keinen Schäden bis hin zum Vollbild diabetischer Folgeschäden. Durch eine gute Blutzucker-, Blutdruck- und Blutfetteinstellung verringert sich das individuelle Risiko. Aber eben nur das individuelle. Es handelt es sich also um eine Risikosenkung, aber nicht um eine Garantie, nichts zu bekommen.
PTA-Forum: Schreiten Folgeschäden immer voran?
Forst: Nein, das muss nicht sein, das ist nicht vorhersehbar. Aber auch da kann man das individuelle Risiko für ein Fortschreiten des Folgeschadens durch eine gute Gesamt-Stoffwechseleinstellung vermindern. Am Ende ist ein bisschen Glück dabei.
PTA-Forum: Wie sieht es mit medikamentösen Ansätzen aus, um die Entwicklung von Folgeschäden oder deren Fortschreiten verhindern zu können?
Forst: Es ist schon lange ein Traum, Medikamente zu entwickeln, mit denen sich Folgeschäden verhindern lassen. Bis dato gibt es jedoch keine durchbrechenden Erfolge. Der Kern einer jeden Therapie bleibt deshalb die Behandlung aller Stoffwechselfaktoren. Was man darüber hinaus hat, sind ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorblocker. Sie scheinen neben ihrer Blutdruck-senkenden Wirkung einen gewissen protektiven Effekt zumindest für mikrovaskuläre Komplikationen haben. Es gibt hierzu ein paar kleinere Untersuchungen, die zeigen, dass das vor allem für die Nieren positiv ist, aber auch für die Augen.
Daneben gibt es für eine bereits vorhandene Retinopathie ein paar Arzneistoffe, vor allem solche mit antientzündlichen und antineovaskulären Wirkungen, wie Ranibizumab.
Im makrovaskulären Bereich, also bei einer Arteriosklerose, stehen natürlich die ganzen Arzneimittel zur Verfügung, die man üblicherweise zur Therapie einsetzt. Aber das ist dann nicht Diabetes-spezifisch, sondern eine allgemeine Behandlung.
PTA-Forum: Würden Sie Diabetikern ACE-Hemmer prophylaktisch empfehlen?
Forst: Dazu haben wir zu wenige Daten. Die Datensätze dazu sind ohnehin relativ klein und wurden zudem bei Patienten durchgeführt, die bereits eine Albuminurie haben oder eine Retinopathie. Rein prophylaktisch, ohne Vorhandensein eines hohen Blutdrucks, einer Retinopathie oder einer Mikroalbuminurie, sind ACE-Hemmer oder AT-1-Antagonisten nicht angezeigt. Aber wenn der Blutdruck zu hoch ist oder bei normalem Blutdruck eine beginnende Nephropathie oder eine Retinopathie festgestellt wird, ist der Einsatz sinnvoll.
PTA-Forum: Wie sieht es mit Lebensstilmaßnahmen aus?
Forst: Was Sport angeht, ist man in den letzten Jahren in Studien immer wieder enttäuscht worden, was einen Nutzen gegen makrovaskuläre Komplikationen angeht. Diese Studien hatten allerdings eine Reihe von Störfaktoren. Viele Probanden steigerten ihre körperliche Aktivität eine Weile, aber das schlief dann wieder ein.
Ich glaube, wenn wir es wirklich schaffen, die körperliche Aktivität dauerhaft zu steigern und viszerales Fettgewebe zu reduzieren, dann werden sehr viele Risikofaktoren positiv beeinflusst. Das hat mit Sicherheit auch Auswirkungen auf das makrovaskuläre Risiko. Das mikrovaskuläre Risiko sinkt durch regelmäßige Bewegung erwiesenermaßen.
PTA-Forum: Wirkt Bewegung nur solange positiv, wie wir sie auch regelmäßig ausführen?
Forst: Ja, das gilt auch für gute Blutdruckwerte. Bei beidem hört der positive Effekt sofort aus, sobald mit dem Sport aufgehört wird beziehungsweise sobald der Blutdruck wieder steigt. Das sieht beim Blutzucker anders aus. Hier spricht man vom sogenannten metabolischen Gedächtnis. Das heißt, wird der Blutzucker gleich nach der Diagnose sehr gut eingestellt, profitieren Diabetiker davon gesundheitlich noch nach vielen Jahren.
PTA-Forum: Welche Rolle spielt die Güte des HbA1c für mikro- und makrovaskuläre Komplikationen, abhängig vom Diabetes-Typ?
Forst: Bei mikrovaskulären Komplikationen spielt der HbA1c unstrittig eine Rolle. Je besser jemand eingestellt ist, umso geringer ist das individuelle Risiko für eine mikrovaskuläre Komplikation, und zwar sowohl bei Typ 1 als auch bei Typ 2.
Im makrovaskulären Bereich unterscheiden sich beide Typen jedoch. Das Risiko für Herz und Kreislauf liegt für Typ-2-Diabetiker deutlich höher als für Typ-1-Diabetiker.
Das liegt an den meist vorhanden Begleiterkrankungen bei Typ-2-Diabetes, also an Insulinresistenz, viszeralem Fettgewebe, hohem Blutdruck und schlechten Blutfett-Werten. Es gibt also mehrere makrovaskuläre Risikofaktoren bei Typ-2-Diabetes. Gute HbA1c-Werte beeinflussen dieses Risiko kaum.
PTA-Forum: Statine stehen immer wieder im Verdacht, den Typ-2-Diabetes zu triggern. Was kann man den Patienten in der Apotheke sagen, wenn sie danach fragen?
Forst: Mag sein, dass Statine einen gewissen kleinen Einfluss haben, der die Diabeteseinstellung etwas verschlechtert oder dass sich ein Diabetes, der ohenhin kurz vor der Manifestation war, etwas früher manifestiert. Aber auf der anderen Seite, und das überwiegt bei Weitem, bieten die Statine einen deutlichen Schutz vor Herzinfarkten und Schlaganfällen. Der Nutzen überwiegt also bei Weitem das Risiko. Ich würde als Diabetiker auf keinen Fall auf ein Statin verzichten, selbst wenn mein Blutzucker dann im Schnitt 10 mg/dl höher ist.
PTA-Forum: Gibt es bei Folgeschäden einen Punkt, ab dem sowieso alles egal, weil zu spät ist?
Forst: Nein. Je fortgeschrittener eine Komplikation ist, umso weniger lässt sie sich zwar noch positiv beeinflussen, bei terminalem Nierenversagen, einer Fußamputation oder Erblindung gibt es natürlich kein Zurück, aber bis dahin lohnt sich alles. /