Hochleistungs-Filter des Körpers |
11.05.2015 13:36 Uhr |
Von Maria Pues / Damit es uns gut geht, haben die Nieren alle Hände voll tun. Neben ihrer Arbeit als Klärwerk und Filter des Körpers übernehmen sie noch viele weitere Aufgaben. Wenn sie diese nicht mehr erfüllen können, leiden zahlreiche Körperfunktionen darunter.
Die Leistung der Nieren wird häufig unterschätzt. »Sie reinigen das Blut« lautet eine gängige Antwort auf die Frage nach der Funktion der Nieren. Das ist auch richtig: Rund 1800 Liter Blut fließen täglich durch die Kläranlage – unsere gesamte Blutmenge also rund 300 Mal.
Daraus entstehen während der glomerulären Filtration zunächst rund 180 Liter Primärharn, von denen nach Passage der Tubuli 1,5 bis 2 Liter Endharn (Urin) übrig bleiben, der dann im Sammelrohr und der Blase gesammelt und ausgeschieden wird. Es wird also offenbar viel mehr recycelt als weggeworfen. Mit dem Urin ausgeschieden werden sogenannte harnpflichtige Substanzen, zu denen etwa Harnstoff und Kreatinin gehören.
Die Nieren haben aber noch viele weitere Aufgaben: Sie regulieren den Wasserhaushalt des Körpers, wirken an der Blutdruckeinstellung mit und steuern den Elektrolyt- und Säure-Base-Haushalt. Außerdem beteiligen sie sich an der Regulation des Blutzuckers, da dort auch die Gluconeogenese stattfindet und Peptidhormone wie Insulin abgebaut werden. In den Nieren wird außerdem unter anderem Erythropoetin (EPO) gebildet und Vitamin D aktiviert. Sie beeinflussen daher auch die Blutbildung und den Knochenstoffwechsel.
Nicht zuletzt werden über die Nieren Arzneistoffe und deren Abbauprodukte ausgeschieden. Das kann in der täglichen Beratungspraxis in der Apotheke eine wichtige Rolle spielen. Vieles kann den Nieren außerdem Schaden zufügen; eine eingeschränkte Nierenfunktion hat umgekehrt aber auch Auswirkungen auf den gesamten Stoffwechsel und natürlich auf die Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Im Beratungsgespräch können PTA und Apotheker ihre Kunden und Patienten informieren, wie sie ihre Nieren schützen können (siehe Kasten).
Lassen Sie jährlich Ihre Nierenfunktion vom Hausarzt überprüfen, wenn Sie:
Quelle: Deutsche Nierenstiftung
Niereninsuffizienz
Versagt die Niere plötzlich ihren Dienst, sprechen Experten von einem akuten Nierenversagen. Dabei handelt es sich um einen medizinischen Notfall, der rasch in einer Klinik behandelt werden muss. Im Gegensatz dazu entwickelt sich eine chronische Niereninsuffizienz schleichend und oft über lange Jahre unbemerkt. Mit abnehmender Nierenfunktion verbleiben Stoffe, die zuvor zuverlässig ausgeschieden wurden, im Körper; Stoffe, die bisher rückresorbiert wurden, werden umgekehrt ausgeschieden. Betroffene bemerken Symptome meist erst, wenn die Niereninsuffizienz bereits fortgeschritten ist. So nimmt zum Beispiel die Eiweißausscheidung über den Urin zu, wodurch es zu einem Schäumen des Urins kommen kann. Auch Wassereinlagerungen treten auf. In fortgeschrittenen Stadien klagen Betroffene, dass ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit schwindet, dass sie keinen Appetit mehr haben, Wassereinlagerungen kommen nun vermehrt vor. Viele Anzeichen führen Betroffene aber meist nicht auf eine abnehmende Nierenfunktion zurück, sondern halten sie etwa für eine Alterserscheinung.
Die chronische Niereninsuffizienz wird dabei in Stadien eingeteilt (siehe Kasten). Patienten durchlaufen diese mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Auch erreicht nicht jeder Patient Stadium 5. Wie schnell eine Niereninsuffizienz fortschreitet, hängt unter anderem von verschiedenen Risikofaktoren ab: etwa Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck oder Rauchen. Ganz verschont bleibt von der abnehmenden Nierenleistung allerdings niemand, denn mit den Jahren nimmt die Zahl der rund 1 bis 1,4 Millionen Nephrone nach und nach ab. Da die durchschnittliche Lebenserwartung in der deutschen Bevölkerung seit Jahren zunimmt, ist mit einer steigenden Zahl von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zu rechnen. Für Angehörige medizinischer Berufe bedeutet dies einen erhöhten Beratungsbedarf bei den Patienten: Von Tipps zum möglichst langen Erhalt der Nierenfunktion bis hin zu Dosisanpassungen bei eingeschränkter Arbeit der Nieren.
Stadium | GFR (ml/min/1,732) | Stadienbeschreibung |
---|---|---|
1 | > 90 | keine |
2 | 60–89 | geringgradig |
3 | 30–59 | mittelgradig |
4 | 15-29 | hochgradig |
5 | < 15 | präterminal und Dialyse |
Einen einzelnen Messwert für die Nierenfunktion gibt es leider nicht. Man kann sie jedoch unter anderem anhand verschiedener Näherungsformeln abschätzen, beispielsweise nach Cockcroft-Gault (siehe Kasten). Die Formeln berücksichtigen neben dem Serum-Kreatinin-Wert das Alter, Körpergewicht und Geschlecht. So erhält man einen Schätzwert für die glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Diese ist definiert als die Gesamtmenge des Primärharns, die von beiden Nieren zusammen in einer bestimmten Zeit filtriert wird. Beim jungen Gesunden sind dies rund 120 ml pro Minute, wobei Frauen eine niedrigere GFR haben als Männer. Auch das Alter spielt eine Rolle: Ab etwa 20 Jahren nimmt die GFR jedes Jahr um rund 1 Prozent ab, wenn nicht weitere Risikofaktoren den Prozess beschleunigen. Bei 70-Jährigen liegt der Normalwert bei rund 70 ml/min/1,732. Unterhalb einer GFR von 60 ml pro Minute spricht man von einer chronischen Nierenkrankheit.
Mehr Kreatinin im Blut
Nimmt die Nierenfunktion ab, steigt unter anderem der Kreatininwert im Blut. Kreatinin entsteht etwa beim Muskelabbau. Ein erhöhter Kreatininwert im Blut weist daher auf eine verminderte Ausscheidungsleistung der Nieren hin. Allerdings steigt der Wert nicht immer linear mit abnehmender Nierenleistung. So kann bei älteren Menschen eine langsamere Kreatininausscheidung durch eine geringere Muskelmasse ausgeglichen werden. Das muss auch bei der Anwendung der Formeln zur Abschätzung der GFR berücksichtigt werden. Findet sich vermehrt Albumin im Urin, so zeigt dies eine verminderte Rückresorptionsleistung an, denn dieses Einweiß wird von einer gesunden Niere weitestgehend zurückgehalten. Gemessen wird der Albumin-Kreatinin-Quotient. Liegt er über 30 mg/g, spricht man ebenfalls von einer chronischen Nierenkrankheit.
Folgen des Nierenschadens
Eine chronische Niereninsuffizienz wirkt sich auf viele Funktionen des Körpers aus. Zwei Beispiele: Ein zu hoher Blutdruck schädigt auf Dauer Herz und Gefäße – nicht zuletzt auch die feinen Kapillaren in den Nieren. Bluthochdruck erhöht daher das Risiko für eine Niereninsuffizienz. Aber es geht auch anders herum. Eine chronische Nierenkrankheit kann umgekehrt den Blutdruck in die Höhe treiben und die Gefahr erhöhen, dass Patienten Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems wie koronare Herzkrankheit (KHK), Durchblutungsstörungen oder Herzinsuffizienz entwickeln. Das Risiko, vorzeitig an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, steigt dabei um etwa das Zehnfache. Der Grund für den Blutdruckanstieg liegt unter anderem in vermehrten Wassereinlagerungen. Es kommt zu einer Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) und des sympathischen Nervensystems. Arzneistoffe aus den Gruppen der ACE-Hemmer und der AT1-Antagonisten senken daher nicht nur den Blutdruck, sondern wirken auch schützend auf die Nieren.
Auch am Aufbau starker Knochen sind die Nieren beteiligt. Hier findet der letzte Schritt der Vitamin-D-Synthese statt, bei der Calcidiol zum aktiven 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol) umgewandelt wird. Eine chronische Niereninsuffizienz führt also zu einem Mangel an Calcitriol. Dadurch kommt es auch zu einer verminderten Ausscheidung von Phosphat, und die Aufnahme von Calcium im Dünndarm findet nicht mehr in gewohntem Ausmaß statt. Insgesamt beobachtet man bei einer Niereninsuffizienz eine erhöhte Umbaurate in den Knochen, die zu Lasten der Stabilität geht. Diese renale Osteopathie ist aber nicht mit einer klassischen Osteoporose zu verwechseln. Knochendichtemessungen sind in diesem Fall nicht aussagekräftig.
Achtung Analgetika
Bei der Einnahme von Arzneimitteln, insbesondere Analgetika, fürchten viele Patienten an erster Stelle Nebenwirkungen am Magen. An die Nieren denken sie dabei zunächst nicht. Unter dem Schlagwort »Phenacetin-Niere« wurde vor rund 35 Jahren jedoch eine massive Nierenschädigung durch die häufige Anwendung dieses Analgetikums bekannt. Heute weiß man, dass der Effekt nicht auf Phenacetin beschränkt ist, sondern grundsätzlich auch durch andere Analgetika, vor allem nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) und Paracetamol, verursacht werden kann. Zwei Mechanismen sind dabei denkbar: einerseits eine direkte Schädigung von Nierenzellen, andererseits eine anhaltende Schädigung durch eine Hemmung der Cyclooxygenasen. Prostaglandine, die die Durchblutung der Niere regulieren, werden nicht mehr in erforderlichem Ausmaß gebildet.
Studien weisen aber darauf hin, dass die Schädigungen nicht in der befürchteten Häufigkeit aufzutreten scheinen. Der Dauergebrauch von Analgetika kann jedoch das Risiko für einen irreversiblen Nierenschaden deutlich erhöhen. Zu bedenken ist hier außerdem, dass manche Patienten gleich mehrere Risikofaktoren für eine Nierenschädigung vereinen: Das sind ältere Patienten mit Typ-2-Diabetes, Übergewicht und/oder Bluthochdruck sowie Raucher.
Einfühlsam beraten
Freilich erfordert es viel Fingerspitzengefühl von PTA oder Apotheker, entsprechende Patienten auf das Risiko einer häufigen Analgetika-Einnahme aufmerksam zu machen. Um solchen »Diskussionen« aus dem Weg zu gehen, verteilen Kunden ihre Einkäufe auf mehrere Apotheken oder verlegen sie ins Internet. Nicht nur mit der Perspektive »Nierenversagen und Dialyse« zu drohen, sondern Möglichkeiten der Früherkennung und Therapiealternativen für die Schmerzen aufzuzeigen, kann den Einstieg in ein Gespräch erleichtern. Je nach Ursache der Schmerzen und/oder Art des Analgetikums können Therapieoptimierungen oder auch ein Arztbesuch empfohlen werden, um einen zu regelmäßigen Gebrauch rezeptfreier Schmerzmittel zu beenden. Nicht zuletzt auf die Gefahr eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes sollten Kunden in diesem Zusammenhang hingewiesen werden. Einen Test auf Eiweiß im Urin können Apothekenkunden mit den entsprechenden Teststreifen auch in Eigenregie durchführen. Wichtig dabei ist, den Test nach zwei Wochen zu wiederholen. Fällt der Test auch beim zweiten Mal positiv aus, sollte das Gespräch mit dem Arzt gesucht werden.
Schwieriger ist die Antwort auf die Frage, wie Arzneimittel bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion dosiert werden müssen. Zwar geht es in der täglichen Praxis der öffentlichen Apotheke meist weniger darum, diese Dosierungen zu berechnen. Dazu müsste man das Ausmaß der Niereninsuffizienz kennen, etwa die GFR oder die Kreatinin-Clearance. Diese werden in bestimmte Formeln eingesetzt, mit deren Hilfe die neue Dosierung berechnet wird. Inzwischen gibt es auch Programme, Apps und Websites wie etwa www.dosing.de, die dabei unterstützen.
Doch auch wer selbst keine Dosisanpassungen berechnen muss, sollte einige grundsätzliche Dinge kennen, um etwa ungewöhnliche Effekte einer Pharmakotherapie als Nebenwirkungen zu erkennen und die Symptome nicht von vornherein beispielsweise einer neu aufgetretenen Erkrankung zuzuordnen, die möglicherweise wiederum zur Empfehlung eines weiteren Arzneimittels statt zu einem Arztbesuch führen könnte.
Nicht alle Arzneimittel müssen bei Niereninsuffizienz in ihrer Dosierung angepasst werden, sondern nur, wenn sie Wirkstoffe enthalten, die teilweise oder ganz über die Nieren ausgeschieden werden oder für deren Abbauprodukte dies zutrifft. Insgesamt betrifft dies rund 15 Prozent der Arzneimittel. In diesen Fällen muss entweder die Dosis reduziert oder das Dosisintervall verlängert werden, damit sich der Arzneistoff und gegebenenfalls seine Metaboliten nicht anreichern und Nebenwirkungen hervorrufen. In den meisten Fällen spielt es keine Rolle, welche der beiden Anpassungsvarianten man wählt. Es gibt aber auch Ausnahmen, nämlich wenn die Wirkung von einer bestimmten Anfangsdosis abhängt. Ein wichtiges Beispiel hierfür sind Antibiotika.
Bisoprolol Q0=0,48
Digoxin Q0=0,03
Aciclovir Q0=0,25
Cefuroxim Q0=0,1
Über die Nieren eliminiert
Das Ausmaß, in dem ein Arzneistoff unabhängig von der Nierenfunktion ausgeschieden wird, beschreibt eine Kennzahl, der sogenannte Q0-Wert. Er gibt den Anteil an, der auch bei vollständigem Nierenversagen noch ausgeschieden wird. Ein Arzneistoff, der gar nicht über die Nieren ausgeschieden wird, hat einen Q0-Wert von 1; ein Arzneistoff, der ausschließlich über die Nieren eliminiert wird, hat einen Q0-Wert von 0. Bei einem Q0-Wert kleiner als 0,5 kann eine Anpassung an die Nierenfunktion erforderlich werden. Die Website www.dosing.de listet die Q0-Werte verschiedener Arzneistoffe auf. Hier gibt es neben zahlreichen Informationen zu den verschiedenen Arzneistoffen auch Formeln und die Möglichkeit, eine Dosisanpassung zu berechnen.
Fazit: Patienten, insbesondere aus großen Risikogruppen mit Typ-2-Diabetes und/oder Bluthochdruck, sollten PTA oder Apotheker auf die Möglichkeit einer Verschlechterung der Nierenfunktion und ihre Konsequenzen hinweisen. Vor allem sollten sie aber Möglichkeiten erläutern, Risikofaktoren zu reduzieren. /
Die Nieren sind paarweise angeordnet, bohnenförmig und braunrot. Sie sind je zwischen 10 und 12 cm lang sowie 5 bis 6,5 cm breit. Die einzelne Niere besteht aus sechs bis neun gleichen Einheiten, den Nierenlappen. Diese werden wiederum in Nierenmark und Nierenrinde gegliedert.
Die Niere besteht aus vielen kleineren Einheiten, den Nephronen. Dort wird der Harn gebildet. Jede der beiden Nieren enthält etwa 1 Million Nephrone. Das Nephron selbst besteht aus einem Nierenkörperchen und einem Tubulusapparat.
Im Nierenkörperchen befindet sich der Glomerulus, ein Gefäßknäuel, durch das der Primärharn (ca. 180 l pro Tag) filtriert wird. Der Primärharn tritt aus dem Nierenkörperchen in den proximalen Tubulus über, wo bestimmte Stoffe rückresorbiert, andere wiederum aktiv aus dem Blut in den Harn ausgeschieden werden. In der Henle-Schleife, im distalen Tubulus und dem Sammelrohr wird der Urin anschließend weiter aufkonzentriert, gesammelt und schließlich ausgeschieden.
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie: www.dgfn.eu
Deutsche Nierenstiftung: www.nierenstiftung.de
Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation: www.kfh.de
PHV – Der Dialysepartner (Patienten-Heimversorgung): www.phv-dialyse.de
Verband Deutscher Nierenzentren (DN): www.die-nephrologen.de
Website zur Dosisanpassung der Uniklinik Heidelberg: www.dosing.de
Bundesverband Niere: www.bundesverband-niere.de
Lesen Sie zum Themenschwerpunkt auch die Beiträge
Tiergesundheit: Chronische Nierenerkrankung bei der Katze
Harnwegsinfekt: Brennen in der Blase
Diuretika: Kaliumspiegel in Balance