Kreislauf im Keller |
11.05.2015 13:36 Uhr |
Von Elke Wolf / Kennen Sie auch Kunden, die morgens schwer aus dem Bett kommen und sich tagsüber oft schwindelig fühlen? Und bei zu schnellem Aufstehen wird ihnen mitunter schwarz vor Augen? Sie haben vermutlich einen niedrigen Blutdruck. Das ist nicht gefährlich, aber oft lästig. PTA und Apotheker können im Beratungsgespräch einige Gegenmaßnahmen empfehlen.
Was hierzulande umgangssprachlich als »Kreislaufstörung« bezeichnet wird, nennen Mediziner Hypotonie (griechisch für: geringe Spannung). Dieser Fachausdruck bezeichnet die Verhältnisse im Körper sehr treffend. Das Blut fließt mit zu geringem Druck durch die Adern; die Fließgeschwindigkeit ist dadurch herabgesetzt. Über kurz oder lang sackt das Blut in die Beine ab.
Die arterielle Hypotonie an sich gilt nicht als eigenständige Krankheit. Beratungs- und Handlungsbedarf besteht jedoch dann, wenn es aufgrund des niedrigen Blutdrucks zu einer Mangeldurchblutung der Organe, dabei vor allem des Gehirns, kommt und die typischen Symptome wie Schwindel, Ohrensausen, Flimmern beziehungsweise Schwarzwerden vor Augen oder Gangunsicherheit auftreten (siehe Kasten). Der Blutdruck sinkt und sinkt – bei Hypotonikern manchmal so weit, dass es zum Kollaps kommt.
Häufig besteht ein niedriger Blutdruck auch nur vorübergehend aufgrund einer sogenannten orthostatischen Dysregulation: Diese orthostatische Hypotonie tritt vor allem bei jungen, schlanken Mädchen und Frauen sowie in Stresssituationen in stark aufgeheizten Räumen auf. Dabei sackt das Blut durch längeres Stehen oder bei einem plötzlichen Übergang vom Liegen zum Stehen in die unteren Körperabschnitte.
Von einer arteriellen Hypotonie spricht man definitionsgemäß, wenn Männer einen Blutdruck von unter 110/60 mmHg und Frauen unter 100/60 mmHg haben; normalerweise liegt man bei Werten von 120/80 mmHg richtig. Die Grenze zwischen normalem und zu niedrigem Blutdruck ist jedoch nicht so genau festgeschrieben, wie die Grenze nach oben in Richtung Bluthochdruck. Schätzungsweise zwischen drei bis fünf Millionen Deutsche haben systolische Blutdruckwerte unter 100 mmHg.
Die individuellen Beschwerden bei einer Hypotonie sind unterschiedlich stark ausgeprägt und weisen nicht immer eindeutig auf eine niedrige Blutdrucklage hin. Sie können sich unter psychischer Belastung und Stress verstärken.
Die deutsche Krankheit
Im Gegensatz zur Hypertonie bewerteten Experten bislang den niedrigen Blutdruck eher als »lebensverlängernde Befindlichkeitsstörung«. Denn das Gefäßsystem wird weniger strapaziert, die Anfälligkeit für Herzinfarkt, Schlaganfall und Gehirnblutungen sinkt. Doch besonders was die Beurteilung der Symptome im Alter anbelangt, hat in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Neuere Studien zeigen, dass die orthostatische Hypotonie erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Mortalitätsrate älterer Menschen als auch auf die Prävalenz der koronaren Herzkrankheit und des Schlaganfalls hat.
Senioren, die zu orthostatischen Dysregulationen neigen, haben ein erhöhtes Risiko für Gleichgewichtsstörungen und Stürze sowie für Ohnmachts- oder Angina-pectoris-Anfälle. Somit ist der niedrige Blutdruck womöglich mehr als die oft belächelte »deutsche Krankheit«. Denn interessanterweise wird die Hypotonie im anglo-amerikanischen Sprachraum als »Morbus germanicus« oder als »german disease« bezeichnet, da sie nur in deutschen Medizinbüchern Erwähnung findet.
Auf die Frage, wie es zu niedrigem Blutdruck kommt, können Wissenschaftler noch keine endgültige Antwort geben. Sicher ist: Männer sind seltener betroffen, was wohl daran liegt, dass weibliche Hormone blutdrucksenkend wirken. Besonders häufig leiden junge Frauen unter der Kreislaufschwäche. Aber auch Krampfadern verstärken hypotone Kreislaufstörungen, weil die Wadenmuskelpumpe nicht mehr voll funktionsfähig ist. Und ein großer Blutverlust – warum auch immer – kann ebenfalls die Blutdruckwerte in den Keller drücken.
Was Ärzte außerdem beobachtet haben: Schlanke Menschen neigen häufiger dazu als füllige, überdurchschnittlich große Menschen häufiger als normal gewachsene. Alte Menschen kämpfen gelegentlich mit Schwindel, weil sie oft zu wenig trinken. Und wenn Kinder sehr schnell wachsen, kann auch bei ihnen der Kreislauf verrückt spielen.
Therapie nicht in jedem Fall
Ab und an ein Kreislauftief zu haben, ist keine Krankheit. Doch wenn die Beschwerden neu, besonders stark oder lang andauernd auftreten, sollte ein Arzt sicherstellen, dass es keine Begleiterscheinung einer Grunderkrankung wie Diabetes, Schilddrüsenunterfunktion oder Morbus Parkinson ist. Niedrige Blutdruckwerte können auch die unerwünschte Arzneimittelwirkung einiger Arzneistoffe sein. So können zum Beispiel Betablocker, Nitrate, Diuretika, Psychopharmaka wie MAO-Hemmer, Sedativa, Antihistaminika und Zytostatika wie Vincristin als Nebenwirkung den Blutdruck extrem stark fallen lassen.
Treten keine gravierenden Einbußen auf und stellt der Arzt keine organische Ursache fest, besteht kein Therapiebedarf. Doch es gibt einige Allgemeinmaßnahmen, die PTA und Apotheker im Beratungsgespräch weitergeben können. Das sind vor allem seit Pfarrer Kneipp unterschiedliche hydrotherapeutische Maßnahmen wie Wassertreten, kalte Armbäder, Wechselbäder und -duschen, Dampfbäder und Sauna, die als Reiztherapie zur Tonisierung und Verbesserung der vaskulären Regulationsfähigkeit hilfreich sind (siehe Kasten).
Nur in hartnäckigen Fällen ist eine Arzneimitteltherapie erforderlich, und das auch erst, wenn der Erfolg obiger Maßnahmen ausbleibt. Unter den synthetischen Wirkstoffen kommen beispielsweise Midodrin und Etilefrin (wie in Effortil®, Gutron®) zum Einsatz. Sie erhöhen einerseits die Wandspannung der Blutgefäße und besetzen andererseits α-Rezeptoren am Herzen und regen dadurch die Herztätigkeit an. Die Präparate sind zwei- bis dreimal täglich einzunehmen. Bei zweimal täglicher Gabe ist es sinnvoll, die Arznei morgens vor dem Aufstehen und am Nachmittag einzunehmen, um so Einschlafstörungen am Abend zu umgehen.
Für Menschen, bei denen vor allem bei plötzlichem Wechsel in die aufrechte Lage ein niedriger Blutdruck auftritt, stand bis vor Kurzem auch der Wirkstoff Dihydroergotamin zur Therapie zur Verfügung. Seit Anfang 2014 sind solche Medikamente jedoch nicht mehr zur Behandlung der orthostatischen Hypotonie zugelassen, weil ihr Nutzen nicht höher ist als das Risiko ihrer Nebenwirkungen.
Pflanzliche Optionen
Daneben stellt die Phytotherapie eine feste Therapieoption bei der Behandlung hypotoner Kreislaufstörungen dar. Pflanzliche Kardiotonika sind auf hypotone Dysregulationen mit den Hauptsymptomen rasche Ermüdung und orthostatische Hypotonie ausgerichtet. Zahlreiche pflanzliche Kardiaka wie Crataegutt®, Esbericard® oder Koro Nyhadin® enthalten hoch dosiert Trockenextrakt aus Weißdornblättern und -früchten zur Steigerung der nachlassenden Leistungsfähigkeit des Herzens entsprechend Stadium II nach NYHA.
Eine Sonderstellung unter den pflanzlichen Kardiaka nimmt der Campher ein. Das Gemisch aus ätherischen Ölen des D-Camphers stimuliert das Atem- und Vasomotorenzentrum und wirkt kurzzeitig bronchospasmolytisch. Der Effekt ist durch mehrere pharmakologische und auch klinische Studien bestätigt und hat sich in der Kombination mit Weißdornfrüchten (wie Korodin®) als schnell wirkendes pflanzliches Antihypertonikum erwiesen. /