Ein echtes Multitalent |
21.10.2011 12:21 Uhr |
Von Marion Hofmann-Aßmus / Durch intensive Forschung und epidemiologische Studien entdecken Wissenschaftler immer neue Zusammenhänge zwischen der Konzentration des Vitamin D im Blut und bestimmten Erkrankungen. Dass viele Menschen hierzulande schlecht mit dem Vitamin versorgt sind, bereitet Experten daher große Sorge.
Mit Hilfe von UV-B-Strahlen stellt die Haut einen Großteil von Vitamin D selbst her, und nur ein geringer Teil des Vitamins wird über die Nahrung aufgenommen. Bei Sonnenbestrahlung bildet sich in der Haut Vitamin D3 (Colecalciferol), das in der Leber zu 25-Hydroxycolecalciferol (25-OH-D3) umgewandelt wird. Daher ist der Begriff Vitamin falsch, denn »echte« Vitamine müssen über die Ernährung zugeführt werden. Auch die Wirkung von Vitamin D entspricht eher der eines Botenstoffs beziehungsweise Hormons.
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) benötigen Kinder und Erwachsene täglich 5 μg Vitamin D und Säuglinge bis zu einem Jahr sowie über 65-Jährige 10 μg pro Tag. Im Grunde sollte jeder ausreichend mit Vitamin D versorgt sein. Doch mit Ausnahme von Fischöl und fettem Fisch wie Hering enthalten nur wenige Nahrungsmittel nennenswerte Mengen des Vitamins (siehe Tabelle). Wie die Nationale Verzehrsstudie II ermittelte, erreichen wenige Erwachsene die von der DGE empfohlene Dosis: nur 18 Prozent der Männer und lediglich 9 Prozent der Frauen. Jugendliche bis zu 18 Jahren und Senioren ab 65 Jahren schneiden sogar noch schlechter ab: Weniger als 14 Prozent der jungen Männer und unter 4 Prozent der jungen Frauen sowie 6 Prozent der Senioren und 3 Prozent der Seniorinnen sind ausreichend versorgt. Im internationalen Vergleich sind diese Ergebnisse nichts Ungewöhnliches. Nach Ansicht des »Vitamin-D-Experten« Professor Dr. Michael Holick aus Boston betrifft das Risiko eines Vitamin-D-Mangels etwa 30 bis 50 Prozent aller Erwachsenen und Kinder in Europa, den USA, Australien und Asien.
Zu wenig Sonnenlicht
Wie kommt es zu diesem Mangel? Meist hapert es an der Vitamin-D-Synthese in der Haut, beispielsweise weil etwa oberhalb des 40. Breitengrades die Sonne im Winter so tief steht, dass die Haut in dieser Jahreszeit kaum Vitamin D bilden kann. Doch auch der Lebensstil spielt eine Rolle. Wer sich die überwiegende Zeit in geschlossenen Räumen aufhält, riskiert damit oft unbewusst einen Vitamin-D-Mangel. Fensterscheiben halten die zur Synthese notwendigen UV-B-Strahlen größtenteils zurück.
Zusätzlich gehen beim Stichwort »Sonne auf bloßer Haut« bei vielen Menschen die Warnleuchten an: Sie befürchten, an Hautkrebs zu erkranken. Tatsächlich machen einige Experten die intensiven Schutzmaßnahmen gegen UV-Strahlen mit dafür verantwortlich, dass viele Menschen mit Vitamin D unterversorgt sind.
Da die Anzeichen eines Vitamin-D-Mangels wie erhöhte Infektanfälligkeit oder Muskelschwäche sehr unspezifisch sind, bleibt er meist unentdeckt. Ob die Werte der Norm entsprechen, lässt sich durch eine Blutuntersuchung feststellen, indem in der Probe die Speicherform das 25-Hydroxycolecalciferol (25-OH-D3) bestimmt wird. Der als ausreichend geltende Normwert liegt bei 20 Nanogramm 25-OH-D3 pro Milliliter Blut. Von einem leichten Mangel (Defizienz) beziehungsweise einer unzureichenden Versorgung sprechen Fachleute bei Werten zwischen 10 bis 20 ng/ml, von einem schweren Mangel (Insuffizienz) bei Konzentrationen unter 10 ng/ml. Allerdings könnte sich der Normwert von 20 ng/ml demnächst verändern, weil viele Experten ihn für viel zu niedrig halten. So fordert zum Beispiel die Internationale Osteoporose-Stiftung (IOF), auch als Schutz vor Osteoporose müsse der Wert mindestens 30 ng/ml betragen.
Das Risiko für einen Vitamin-D-Mangel ist nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt. So ist die Haut Dunkelhäutiger, die in sonnenärmeren Gegenden leben, besser vor Sonnenstrahlen geschützt. Daher müssen sie wesentlich mehr Zeit in der Sonne verbringen, um die gleiche Menge Vitamin D herzustellen wie Hellhäutige. Adipöse Menschen sind ebenfalls gefährdet, denn sie speichern Vitamin D in ihrem Bauchfett. Dieses steht dem Körper dann nicht zur Verfügung.
Auch Patienten, die langfristig Medikamente wie Antiepileptika, Glucocorticoide, Rifampicin, Orlistat, Colestyramin oder Laxanzien einnehmen, sind eher von einem Mangel betroffen. Eine weitere wichtige Gruppe sind die Senioren, da mit dem Alter die Fähigkeit der Haut nachlässt, Vitamin D herzustellen: Ein 70-Jähriger produziert unter gleichen Bedingungen nur etwa ein Viertel der Vitamin-D-Menge eines 20-Jährigen.
Als Krebsprophylaxe
Besonders spannend ist für Forscher derzeit der Zusammenhang zwischen Vitamin D und der Entwicklung von Krebs. Epidemiologische Studien ergaben, dass in Gegenden mit geringer UV-B-Strahlung mehr Menschen an Krebs starben. Dagegen gab es in südlicheren Breiten mit intensiverer Sonneneinstrahlung weniger Krebstote als im Norden. Da stellt sich die Frage: Höhere Vitamin-D-Spiegel im Blut, weniger Krebserkrankungen? Einige Studien deuten in diese Richtung. Demnach ist das Risiko, Darmkrebs zu entwickeln, nur halb so hoch, wenn der Vitamin-D-Spiegel im Blut über 33 ng/ml liegt. Bei Personen mit Werten unter 12 ng/ml scheint das Risiko erhöht zu sein.
Auch für andere Krebsarten wie Brust-, Eierstock-, Prostata-, Nieren-, Lungen-, Blasen- oder Magenkrebs gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Vitamin-D-Versorgung. Da liegt folgende Schlussfolgerung nicht fern: Möglicherweise lässt sich das Krebsrisiko sogar durch die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten vermindern. Dafür spricht eine Studie, bei der das Brust- und Darmkrebsrisiko der Teilnehmer deutlich sank, die täglich 1000 I.E. Vitamin D einnahmen.
Noch Forschung nötig
Als Beweis für einen eindeutigen Zusammenhang können die bisherigen Studien jedoch nicht gelten, denn alle haben einen Nachteil: Entweder die Teilnehmerzahlen sind sehr klein oder das Design weist Mängel auf. Umfassende und gut angelegte Studien mit passenden Kontrollgruppen fehlen bislang. Manche Untersuchungen kommen übrigens zum gegenteiligen Ergebnis: Vitamin D hat keinen messbaren Einfluss auf die Krebsentstehung.
Im Unterschied zum schwarzen Hautkrebs (Melanom) scheint beim hellen Hautkrebs die Menge der lebenslänglich »gesammelten« Sonnenstrahlen eine Rolle zu spielen. Beim schwarzen Hautkrebs diskutieren die Experten noch darüber, ob kurze intensive Sonnenbäder eher schaden oder schützen. Einigkeit herrscht allerdings, dass Sonnenbrände, insbesondere in der Kindheit, das Risiko für schwarzen Hautkrebs deutlich erhöhen. Interessant ist die Beobachtung, dass Personen, die im Freien arbeiten, seltener an schwarzem Hautkrebs erkranken. Dies gilt jedoch nur für die nördlicheren Breiten. In südlicheren Gegenden, zum Beispiel in der Nähe des Äquators, und in Küstengebieten soll die stärkere Sonneneinstrahlung das Risiko für schwarzen Hautkrebs erhöhen.
Schutz vor vielen Krankheiten
US-amerikanische Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass Personen mit einem höheren Vitamin-D-Spiegel im Blut weniger häufig an Morbus Parkinson oder Multipler Sklerose (MS) erkranken. Sie untersuchten den Vitamin-D-Gehalt in Blutproben vor und nach dem Ausbruch einer MS. Die Ergebnisse verglichen sie mit Blutproben von Menschen, die nicht an MS erkrankt waren. Dabei hatte die Gruppe das geringste Risiko, Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson zu entwickeln, deren Konzentrationen an Vitamin D in der Jugend am höchsten waren.
Vitamin D in Nahrungsmitteln | |
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Die Werte können nicht exakter angegeben werden, da sich der Vitamin-D-Gehalt je nach Fütterung, Herkunft, Sorten unterscheidet. | |
Lebensmittel | Vitamin D pro 100 g (circa-Angabe) |
Lebertran | 12 000 I.E. |
Shitakepilze (getrocknet) | 1 600 I.E. |
Shitakepilze (frisch) | 100 I.E. |
Hering | 1 000 I.E. |
Lachs (wild, frisch) | 800 I.E. |
Lachs (gezüchtet, frisch) | 200 I.E. |
Sardinen | 450 I.E. |
Eier | 120 I.E. |
Schmelzkäse (45 % Fett i. Tr.) | 120 I.E. |
Gouda (45 % Fett i. Tr.) | 50 I.E. |
Kalbsleber | 10 I.E. |
Vollmilch | 5 I.E. |
Quelle: »Heilkraft D« von Dr. Nicolai Worm, erschienen beim systemed Verlag Lünen, 2009 |
Schützt eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung auch vor Demenz? Dafür existieren ebenfalls Hinweise: In verschiedenen Tests hatten Senioren mit niedrigen Vitamin-D-Konzentrationen doppelt so häufig Verständnisprobleme wie Senioren mit höheren Werten. Doch nicht nur vor einer Erkrankung, sondern auch bei Patienten mit Morbus Parkinson, Multipler Sklerose oder Demenz liegen die Vitamin-D-Spiegel meist niedriger als bei Gesunden. Ein niedriger Spiegel geht, zum Beispiel bei MS-Patienten, mit häufigeren Krankheitsschüben und einem schwereren Verlauf einher. Allerdings ist bislang nicht bekannt, ob die Gabe von Vitamin D die Beschwerden dieser Patienten lindern könnte.
Dass Vitamin D die Resorption von Calcium aus dem Darm reguliert und damit zur Stabilität der Knochen beiträgt, ist schon länger bekannt. Nun fanden Forscher heraus, dass ausreichend Vitamin D ältere Menschen auch vor Stürzen schützt. Nahmen über 60-Jährige täglich 700 bis 1000 I.E. Vitamin D, verringerte sich die Zahl ihrer Stürze um 20 Prozent.
Erfolgreich beraten
Wem können PTA oder Apotheker raten, seinen Vitamin-D-Status testen zu lassen? In Frage kommen Ältere, Adipöse und auch Patienten mit Rheuma. Ein Supplement sollten PTA und Apotheker jedoch erst nach Absprache mit dem Arzt empfehlen. Die Blutuntersuchung erfolgt beim Arzt, die Kosten von 25 bis 35 Euro müssen gesetzlich Versicherte allerdings selbst übernehmen.
Allen Patienten mit Osteoporose empfiehlt der Dachverband Osteologie (DVO) täglich mindestens 30 Minuten das Sonnenlicht zu genießen, vor allem Gesicht und Arme bescheinen zu lassen. Ist dies in der kalten, sonnenärmeren Jahreszeit nicht möglich, raten die Experten täglich 800 bis 2000 I.E. Vitamin D3 zu supplementieren. Möglich sind auch größere Zeitabstände bei entsprechend höherer Dosis.
Achtung Sonnenschutz
Wünschen Kunden eine Beratung zu Sonnenschutzmitteln, kann das Apothekenteam sie darauf aufmerksam machen, dass Sonnenlicht nicht nur schadet. Experten raten, den Sonnenschutz nicht gleich zu Beginn des Sonnenbads aufzutragen, weil dadurch die Bildung von Vitamin D stark eingeschränkt ist. So vermindern Präparate mit dem Lichtschutzfaktor 15 die Vitamin-D-Synthese der Haut um über 95 Prozent. Besser sei es, der Haut kurz Zeit für die Bildung von Vitamin D zu geben. Dafür genügen je nach Hauttyp bereits wenige Minuten.
Laut Weltgesundheitsorganisation reichen während der Sommermonate dreimal wöchentlich 5 bis 15 Minuten Sonnenstrahlung auf Gesicht, Hände und Arme aus. Diese Empfehlung sollte allerdings niemand missverstehen und beispielsweise während eines Urlaubs im Gebirge oder am Meer durch intensive UV-Strahlung einen Sonnenbrand riskieren. /