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Desinfektion

Großer Erfolg mit vielen Vätern

28.08.2013  11:18 Uhr

Von Edith Schettler / Hygiene, Desinfektion und Sterilisation sind heute aus der medizinischen Versorgung nicht mehr wegzudenken. Trotzdem sterben vor allem in Entwicklungsländern noch jährlich tausende Menschen an den Folgen mangelnder Hygiene.

Bereits die Ärzte im Römischen Reich vermuteten, dass sich Patienten über die Verbreitung stofflicher Substanzen mit einer Krankheit infizieren. Dabei hatten sie noch keinerlei Vorstellung von Mikroorganismen. Sie nutzten die Quarantäne und isolierten Patienten mit einer ansteckenden Krankheit, um zu verhindern, dass sich Gesunde bei Erkrankten infizierten. Sauberkeit und Hygiene spielten unter der reichen römischen Oberschicht eine große Rolle, das einfache Volk hingegen lebte beengt und kam meist nicht in den Genuss der Thermen und Kanalisation.

Schmutzige Medizin

Wie vieles gerieten im Mittelalter die Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Krankheit und mangelnder Sauberkeit wieder in Vergessenheit. Die Menschen entsorgten Küchen­abfälle auf den Straßen und Gassen, ebenso wie ihre Exkremente und die der Tiere. Haustiere wühlten im Unrat, und Regengüsse spülten den Müll häufig wieder zurück in die Häuser. Die Erreger der Pest und Cholera hatten es deshalb leicht und breiteten sich rasch zu Epidemien aus.

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war es in Krankenhäusern nicht üblich, medizinische Instrumente und Geräte gründlich zu reinigen, die Kleidung der Ärzte und Pflegekräfte gesondert zu waschen oder für jeden Patienten eigenes Verbandsmaterial zu benutzen. Entsprechend häufig verstarben die Patienten an Infektionen.

Am Ende des 17. Jahrhunderts begannen Chemiker mit der Suche nach den Bestandteilen der Materie, den Elementen. Bis zum Jahr 1700 hatten sie zwölf Elemente identifiziert, darunter Gold, Eisen, Schwefel und Kohlenstoff.

Scheele findet das Chlor

Mit Beginn des 18. Jahrhunderts, in der Zeit der Aufklärung, erstarkte das Bürgertum und mit ihm die Wissenschaft. Dies verhalf auch der Chemie zu Aufschwung. Einer der bedeutendsten Chemiker dieser Zeit war Carl Wilhelm Scheele (1742 bis 1786). Viele Freiheiten für seine Forschung erhielt der in Stralsund geborene Apotheker in Schweden. In der Apotheke »Zum Wappen von Uppland« in Uppsala stellte sein Arbeit­geber ihm ein gut ausgestattetes Apothekenlabor zur Verfügung. Hier kam ihm der Zufall zu Hilfe: Weil die König­liche Universität von Uppsala ihre chemischen Substanzen aus der Wappen-Apotheke bezog, kam Scheele in Kontakt zu führenden Gelehrten und Forschern.

Im Jahr 1774 gelang ihm die Herstellung von Chlor durch die Oxidation von Salzäure mit Braunstein, MnO2. Allerdings erkannte Scheele nicht, dass es sich um ein Element handelte. Erst Antoine Laurent de Lavoisier (1743 bis 1794) führte Chlor fünfzehn Jahre später, im Jahr 1789, in seiner Elemente­liste »Radical Muriatique« auf. Auch die Bedeutung des Elementes als Desinfektionsmittel konnte Scheele damals noch nicht abschätzen, da er zu wenig über die Eigenschaften des Gases wusste.

Nachdem Scheeles erste Abhandlungen über Flusssalpetersäure und Braunstein in den Schriften der Universität Uppsala erschienen, nahm ihn die Akademie der Wissenschaften im Jahr 1775 auf und zahlte ihm ein jähr­liches Stipendium – zu damaliger Zeit für einen Nicht-Akademiker sehr bemerkenswert und ein Zeichen großer Anerkennung seiner Leistungen.

Die grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung der Mikrobiologie schuf der Niederländer Anton van Leeuwenhoek (1632 bis 1723) mit seiner Konstruktion eines Mikroskops. Zwar konnte van Leeuwenhoek mit 300-facher Vergrößerung im Jahr 1676 als erster Mensch einen Blick in die Welt der Mikroben werfen, aber deren Rolle als Krankheitserreger war noch nicht bekannt. Er teilte einem staunenden Publikum mit: »In jedem fallenden Regen (...) lassen sich kleine Lebewesen finden. Sie zeigen sich an jedem an der Luft stehenden Wasser. Der Wind trägt sie hinweg, und mit den Staubkörnchen schweben sie in der Luft.«

Krankheitserreger erkannt

Es dauerte noch etwa zwei Jahrhunderte, bis die Bakteriologie zur Wissenschaft wurde. Der Deutsche Robert Koch (1843 bis 1910) und der Franzose Louis Pasteur (1822 bis 1895) erkannten den Zusammenhang zwischen der Anwesenheit von Mikroorganismen und dem Ausbruch von Krankheiten. Pasteur wies nach, dass sich Bakterien aus Bakterien bilden und nicht – wie bis dahin geglaubt – aus Schmutz und anderem toten Material. Er zeigte auch, dass sie sich durch Erhitzen abtöten lassen. Das nach ihm benannte Pasteurisieren von Flüssigkeiten wird heute noch angewendet, zum Beispiel um Milch haltbar zu machen. Robert Koch erhielt für seine bahnbrechenden Erkenntnisse, vor allem zu Tropenkrankheiten und Tuberkulose, im Jahr 1905 den Nobelpreis.

Schon Jahre vor den Forschungsergebnissen von Koch und Pasteur hatte der ungarische Frauenarzt Ignaz Philipp Semmelweis (1818 bis 1865) den Verdacht, dass das Auftreten von Infektionen in Krankenhäusern mit der mangelhaften Hygiene zusammenhängt. Als Assistent des Leiters der ersten geburtshilflichen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses in Wien hatte er beobachtet, dass mehr Frauen an Kindbettfieber starben, wenn Ärzte und Studenten sie auf der Entbindungsstation betreuten, als auf der zweiten Station, auf der Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden. Als ein mit Semmelweis befreundeter Pathologe nach einer Schnittverletzung im Sektionssaal an Sepsis starb, meinte Semmelweis die Ursache für das vermehrte Auftreten des Kindbettfiebers auf seiner Station erkannt zu haben: Ärzte und Medizinstudenten führten neben ihrer Arbeit auf der Geburtsstation Studien an Verstorbenen durch und übertrugen das »Leichengift« auf die werdenden Mütter, wenn sie sie untersuchten. Im Unterschied dazu arbeiteten die Hebammenschülerinnen nicht in der Pathologie und untersuchten außerdem nicht die Vagina der Schwangeren.

Retter der Mütter

Semmelweis bemühte sich daraufhin, ein strenges Hygieneregime in der gynäkologischen Klinik einzuführen und wies die Studenten an, ihre Hände vor der vaginalen Untersuchung mit Chlorwasser zu reinigen. Chlorverbindungen wie Calcium- und Natriumhypochlorit (Labarraquewasser, Javelwasser) kamen schon seit Längerem als Bleich- und Desinfektionsmittel in der Textil­industrie und bei der Verarbeitung von Schlachtabfällen zum Einsatz. Semmelweis forderte nun das erste Mal, dass seine Kollegen ein Desinfektionsmittel einsetzten.

Der Erfolg gab ihm recht: Diese Maßnahme senkte die Sterblichkeit der Mütter von 12 auf 1 Prozent. Trotzdem stießen seine Neuerungen bei den Medizinern auf Widerstand – teils aus Bequemlichkeit, teils aus Hochmut. Außerdem stand seine Auffassung im Widerspruch zur damals geltenden Krankheitslehre von Rudolf Virchow (1821 bis 1902), der den Erkenntnissen der Mikrobiologie zeitlebens skeptisch gegenüberstand. Semmelweis wurde von seinen Kollegen angefeindet. Da auch die Klinikleitung die Hygienemaßnahmen für Zeitverschwendung hielt, verlängerte sie seinen Arbeitsvertrag nicht. Selbst als Semmelweis seine Schrift »Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers« im Jahr 1861 veröffentlichte, gewann er nur wenige Anhänger. 1865 starb er frustriert unter ungeklärten Umständen in einer Psychiatrie.

Viele Teile eines Puzzles

Inspiriert durch die Untersuchungen Semmelweis‘ und die Schriften Pasteurs begann der schottische Chirurg Joseph Baron Lister (1827 bis 1912), das Opera­tionsfeld, die Hände und das Verbandmaterial vor dem Eingriff mit Karbol­lösung (Phenol) zu desinfizieren. Damit erreichte er einen gewaltigen Rückgang der Sterblichkeit, denn sehr viel weniger Patienten starben daraufhin an Wundinfektionen. Im Jahr 1867 demonstrierte Lister seine Ergebnisse der Fachwelt und gilt seitdem als der »Vater der Antiseptik«. Er entwickelte ein umfassendes System der Krankenhaushygiene, das neben der Sterilisation der Instrumente auch die Reinigung und Desinfektion der Hände des Personals sowie das Tragen von Gummihandschuhen umfasste. Sein Erfolg: Die Patientensterblichkeit sank rapide, und chirurgische Eingriffe verloren ihren Schrecken.

 

Noch heute gelten weltweit in Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken die Grundsätze der Hygiene und Aseptik. Viele Kliniken in Deutschland beschäftigen einen eigenen Hygienebeauftragten, einen Arzt, der ausschließlich für die Umsetzung der Hygienerichtlinien verantwortlich ist. Chlor dient heute noch zur Desinfektion von Wasser, Karbollösung hat komplett an Bedeutung verloren. Moderne Desinfektionsmittel enthalten Alkohole oder quarternäre Ammoniumverbindungen. Gegenwärtig stehen die für das Hygienemanagement der Krankenhäuser Verantwortlichen vor neuen großen Herausforderungen, vor allem im Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger wie Staphylococcus aureus. Laut Statistik beträgt in Deutschland der Anteil der im Krankenhaus erworbenen, sogenannten nosokomialen Infektionen auf allgemeinen Stationen 3,5 Prozent und auf Intensivstationen bis 15 Prozent. /

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