Wenn das Wunschkind auf sich warten lässt |
03.06.2015 12:49 Uhr |
Von Maria Pues, Frankfurt am Main / Ein Kind zu bekommen, ist nicht immer die einfachste Sache der Welt. Etwa sechs Millionen Deutsche sind ungewollt kinderlos. Welche Ursachen hinter einer Unfruchtbarkeit stecken können, welche Untersuchungen sinnvoll sind und welche Behandlungsmöglichkeiten zur Schwangerschaft führen können, erläuterte der Gynäkologe Dr. Robert Emig vom Kinderwunschzentrum in Mainz bei einem Vortrag im Rahmen einer Reihe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in Frankfurt am Main.
Von Unfruchtbarkeit sprechen Mediziner nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO, wenn sich trotz regelmäßigem Bemühen nach einem Jahr der ersehnte Nachwuchs nicht einstellen will. In Deutschland trifft dies durchschnittlich auf etwa 10 Prozent der Paare zu. Eine ganze Reihe medizinischer Gründe kommt dabei als mögliche Ursache infrage, aber auch gesellschaftliche Aspekte spielen eine Rolle. So planen viele Frauen erheblich später als noch vor gut 30 Jahren, ihr erstes Kind zu bekommen. In Zahlen: 1970 lag das Alter der Mutter beim ersten Kind bei durchschnittlich 24 Jahren, heute bei rund 30 Jahren.
Emig verwies auf eine Umfrage des Allensbach-Instituts, in der medizinische Laien danach gefragt wurden, ab welchem Alter ihrer Meinung nach die Fruchtbarkeit von Frauen abnehme. Ab 40 Jahre, lautete eine häufige Ansicht. Tatsächlich nimmt diese aber bereits ab einem Alter von 30 Jahren ab. Seine Patientinnen verwiesen häufig auf ihren Freundes- und Bekanntenkreis, in dem Frauen mit Anfang vierzig noch einmal schwanger geworden seien. »Die Betonung liegt hier auf ›noch einmal‹«, erläuterte er weiter. »Es ist ein großer Unterschied, ob eine Frau mit 40 Jahren ihr erstes Kind bekommen möchte oder ob sie bereits Kinder hat.« Dies gilt nicht nur, wenn sie auf natürlichem Weg schwanger werden möchte, sondern auch mit Unterstützung eines Kinderwunschzentrums: Grundsätzlich nehmen die Chancen auf eine Schwangerschaft mit steigendem Alter ab.
Um festzustellen, ob und welche Möglichkeiten der medizinischen Unterstützung bestehen, müssen Mediziner zunächst die Ursachen der Unfruchtbarkeit untersuchen. Dabei werden stets Mann und Frau untersucht, berichtete Emig. Dies kann parallel erfolgen, um den zeitlichen Aufwand zu vermindern. Aus den Befunden ergibt sich schließlich wie aus »Mosaiksteinchen« ein Bild für die Gründe der Kinderlosigkeit. Dabei gilt es zu beachten, dass auch verschiedene Ursachen zusammenkommen können. Bei knapp einem Drittel liegt die Ursache allein bei der Frau, bei einem weiteren allein beim Mann und bei einem weiteren knappen Drittel bei beiden Partnern. Bei rund 10 Prozent finden Mediziner keine Ursache. Dann spricht man von einer idiopathischen Unfruchtbarkeit.
Hormontherapie Hormonungleichgewicht
Eireifungsstörungen
Gelbkörperschwäche
Insemination mäßig eingeschränkte Samenqualität
Störungen im Gebärmutterhals
IVF Probleme der Eileiter
verminderte Samenqualität
starke Endometriose
ICSI stark eingeschränkte Samenqualität
Untersuchungen bei der Frau
Zu den Untersuchungen bei Frauen gehört eine Zyklusanamnese. Bei einem sogenannten Diagnosezyklus prüfen die Ärzte, ob der weibliche Zyklus einen normalen Verlauf nimmt, ob es Zyklusanomalien gibt, ob sich die Gebärmutterschleimhaut richtig aufbaut und ob beziehungsweise wann ein Eisprung stattfindet, ohne den eine Schwangerschaft naturgemäß nicht eintreten kann. Darüber hinaus prüfen sie die sogenannte ovarielle Reserve. Sie gibt Auskunft über den Stand der biologischen Uhr beziehungsweise das biologische Alter der Frau, das vom chronologischen Alter abweichen kann. Vor allem zwei Untersuchungen werden dazu herangezogen: Mithilfe einer speziellen Ultraschalluntersuchung (AFC = antral follicle count) zählt der Arzt die noch vorhandenen Eibläschen (Follikel) aus. Diese sind bereits vor der Geburt angelegt. Im Laufe des Lebens nimmt ihre Zahl immer weiter ab. Rund 1 Million besitzt ein Mädchen bei der Geburt, etwa 400 000 sind es noch zu Beginn der Pubertät. Nur knapp 400 entwickeln sich bis zu einer befruchtungsfähigen Eizelle.
Der zweite wichtige Marker, um den Stand der biologischen Uhr zu bestimmen, ist das sogenannte Anti-Müller-Hormon (AMH). Früher habe man stattdessen die Menge des follikelstimulieren Hormons (FSH) im Blut bestimmt, erläuterte der Referent. Diese schwanke aber im Verlauf des Zyklus stark. Anders die Menge an AMH, die sich während eines gesunden Zyklus und zwischen zwei Zyklen kaum verändert. Das Hormon wird von verschiedenen Entwicklungsstadien der Follikel gebildet und nimmt mit der Zahl der Follikel ab. So lässt sich anhand der AMH-Menge im Blut auf die ovarielle Reserve schließen. Dies sei ein Frühwarnsystem, das für Mediziner ein wichtiges Mosaiksteinchen bei der Ursachensuche beim unerfüllten Kinderwunsch darstellt. Im Vergleich zu Referenzwerten können Ärzte dann Aussagen treffen, ob die biologische Uhr möglicherweise überdurchschnittlich schnell läuft, also die ovarielle Reserve schneller als gewöhnlich abnimmt.
Aber auch mit einer altersgerechten ovariellen Reserve nimmt die Chance, schwanger zu werden, mit den Jahren ab, denn nicht nur die Quantität befruchtungsfähiger Eizellen vermindert sich, sondern auch deren Qualität. Der Grund: Die Teilungsfähigkeit der befruchteten Eizelle nimmt ab, da die meiotische Spindel, die die Chromosomen bei der Teilung von der Mitte zu den Polen transportiert, nicht mehr zentral liegt; die Erbinformationen werden dadurch fehlverteilt. Emig: »Die erste Zellteilung klappt schon nicht, und eine Einnistung findet nicht statt.« Die Schwangerschaft wird dann bereits in einem sehr frühen Stadium beendet.
Vor 20 Jahren habe zum Untersuchungsprogramm stets auch eine Bauchspiegelung gehört, um Funktion und Durchgängigkeit der Eileiter festzustellen, berichtete Emig weiter. Allerdings mussten neun von zehn Frauen unnötig diesen operativen Eingriff über sich ergehen lassen. Heute arbeiten Ärzte daher mit gezielten diagnostischen Fragen, etwa nach einem geplatzten Blinddarm oder Entzündungen im Bereich des kleinen Beckens. Diese erhöhen das Risiko für einen Eileiter-Verschluss um das Sieben- beziehungsweise Fünffache. Werden eine oder mehrere Fragen mit ja beantwortet, kann eine Bauchspiegelung sinnvoll sein.
Untersuchungen beim Mann
Den wichtigsten Hinweis, ob der Mann zeugungsfähig ist, liefert das Spermiogramm. Dazu seien zwei Spermienanalysen im Abstand von acht bis zehn Wochen erforderlich, berichtete Emig. Denn in diesem Zeitraum erneuert sich der Spermienpool vollständig. In der Zwischenzeit findet eine ständige Durchmischung älterer und neuerer Spermien statt, wodurch das Ergebnis wenig aussagekräftig ist. Neben der Zahl der Spermien bestimmt der Arzt bei der Analyse unter anderem auch deren Beweglichkeit und Gestalt. Ein gutes Testergebnis hebe dabei ein schlechtes auf, sagte Emig. »Es kann ein zufällig schlechtes Testergebnis geben, aber kein zufällig gutes. Das gute ist daher immer das aussagekräftigere.«
Behandlung bei Kinderwunsch
Liegt der Unfruchtbarkeit der Frau eine Zyklusstörung zugrunde, etwa bedingt durch ein Polycystisches Ovarsyndrom (PCOS), kommt eine Behandlung mit Clomifen infrage. Der genaue Wirkmechanismus des selektiven Estrogenrezeptor-Modulators (SERM) ist noch nicht geklärt. Letztendlich vermindert er die Wirkung von Estrogen, was die Bildung von FSH steigert. Dies wiederum stimuliert die Eierstöcke und regt so den Eisprung an. »Das funktioniert sehr gut, ist verträglich und preiswert«, sagte Emig. Wichtig sei aber, dass der Effekt regelmäßig kontrolliert werde, da eine zu hohe Dosierung zu Mehrlings-Schwangerschaften führen kann.
Dieses Risiko besteht auch bei der Stimulationsbehandlung mit rekombinantem FSH (Follitropin alfa /beta, in Gonal-F® beziehungsweise Puregon®), die eine Gratwanderung darstelle. Dosiert der Arzt zu hoch, riskiert er eine Mehrlings-Schwangerschaft; dosiert er zu niedrig, findet an den Eierstöcken keine Reaktion statt, und die gewünschte Wirkung bleibt aus. Diese Form der Behandlung wählen Mediziner häufig bei Frauen mit idiopathischer Sterilität, bei denen keine Ursache für die Unfruchtbarkeit gefunden werden kann. Trotz normalem Zyklus der Frau und guter Spermienqualität beim Mann stellt sich keine Schwangerschaft ein. Mögliche Gründe können tiefgreifende Störungen wie Eireifungs- oder Einnistungsstörungen sein. Grundsätzlich komme bei diesen Frauen auch eine Behandlung mit Clomifen infrage, der Gynäkologe Emig bevorzugt dann allerdings die stärkere Stimulation durch FSH. Auch eine Auswertung von Studien durch die Cochrane Collaboration kommt zu der Empfehlung: kein Clomifen bei Frauen mit idiopathischer Sterilität.
Erzwingen lässt sich eine Schwangerschaft nicht. Das können PTA und Apotheker Kunden mit Kinderwunsch aber raten, um deren Chancen zu erhöhen:
Keine Testosterongabe
Hormonbehandlungen bei Männern werden eher selten durchgeführt. Vor allem Testosteron, das als das Männlichkeitshormon schlechthin gilt, ist kontraindiziert. »Keine Testosterongaben bei diesen Männern!«, betonte Emig. Denn das männliche Geschlechtshormon führt im Körper zu einer negativen Rückkopplung: Bei hohen Testosteronwerten fährt der Körper die Produktion von LH und FSH herunter, die Spermienproduktion vermindert sich. Das Aussehen von Männern besitze daher auch einen anamnestischen Wert, sagte er – etwa im Hinblick auf »Muskelpakete«, die nicht allein auf Training zurückgeführt werden können und den Gebrauch muskelaufbauender Steroide vermuten lassen. Anabolikamissbrauch führt häufig zu – zumindest vorübergehender – Unfruchtbarkeit.
Liegt der Grund für den unerfüllten Kinderwunsch in einer nicht ausreichenden Spermienzahl und/oder -qualität beim Mann, können Reproduktionsmediziner eine Insemination vornehmen. Dabei wird der Samen des Mannes zunächst aufbereitet, um die Konzentration beweglicher Spermien zu erhöhen. Dieser wird anschließend vor dem Muttermund platziert. Wichtig dabei sei, nicht bis nach dem Eisprung zu warten, sondern dies bereits wenige Tage zuvor vorzunehmen. Der Grund: Ein Ei ist nur acht bis zehn Stunden befruchtungsfähig, Spermien hingegen bis zu fünf Tage.
Bei der künstlichen Befruchtung im eigentlichen Sinn werden der Frau nach einer hormonellen Stimulation Eizellen entnommen und diese dann außerhalb des Körpers mit den männlichen Spermien zusammengebracht (In-vitro-Fertilisation, IVF) oder Samenzellen direkt in die Eizelle injiziert (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI). Nach Befruchtung der Eizellen beobachtet man zunächst über eine gewisse Zeit deren Teilung, um dann die vielversprechendste in die Gebärmutter einzubringen. Da man dabei zunächst möglichst mehrere befruchtungsfähige Eizellen gewinnen möchte, ist eine stärkere hormonelle Stimulation erforderlich.
In der Apotheke
Auf dem Rezept für ein Arzneimittel, das im Rahmen der künstlichen Befruchtung eingesetzt wird, findet sich üblicherweise der Vermerk Paragraf 27 a SGB V. Dieser weist darauf hin, dass die Patientin die Hälfte der Kosten selbst tragen muss, da die gesetzliche Krankenversicherung nur 50 Prozent übernimmt. Inzwischen gebe es aber eine Reihe von Krankenkassen, die die Kosten unter Umständen vollständig erstatten. Für die Apotheke ändere sich aber trotzdem nichts, sagte Emig. Die Patientin tritt in Vorleistung und beantragt dann selbst die Erstattung bei ihrer Kasse.
Bei der medizinisch unterstützten Erfüllung eines oft lang gehegten und lebensbestimmenden Kinderwunsches geht es aber nicht nur um die sachgerechte Anwendung technischer Möglichkeite. Dass eine solche Behandlung auch ganz erheblich in das Leben und die Beziehung eines Paares eingreift, das sich bereits einige Zeit lang zwischen Hoffen und Bangen bewegt hat, wurde an vielen Stellen deutlich. Daher spielt auch die Aufklärung darüber, was man realistisch erhoffen darf und die Möglichkeit, dass die Hoffnung dennoch nicht in Erfüllung geht, eine wichtige Rolle. Viele Kinderwunschzentren bieten daher zusätzlich eine psychologische Unterstützung für Paare an. /