Was steckt dahinter? |
20.06.2016 10:28 Uhr |
Von Maria Pues / Mittelohrentzündung, Allergien, Verletzungen: Die Zahl möglicher Auslöser von Ohrenschmerzen ist groß. Doch es gibt einige Anhaltspunkte, die die Ursachensuche in der Apotheke erleichtern.
Beim Stichwort Ohrenschmerzen denken viele spontan an eine Mittelohrentzündung, wie sie bei Kindern häufig vorkommt. Doch Ohrenschmerzen können nicht nur das Mittelohr betreffen, sondern auch am äußeren Ohr oder im Innenohr auftreten (siehe Grafik). Zudem sind nicht nur Kinder betroffen, auch Jugendliche, Erwachsene und Senioren sind nicht vor Ohrenschmerzen gefeit. Unzählige mögliche Auslöser kommen für die Beschwerden in Betracht: verschiedene Krankheitserreger, die eine Infektion des Ohres verursachen, eine Allergie, aber auch Verletzungen. Bereits für eine Mittelohrentzündung kommen Viren und/oder Bakterien als Verursacher infrage.
Viele Auslöser
Nicht immer findet sich die Ursache im Bereich des Ohres selbst. So können Ohrenschmerzen auch nervlicher (neurogener) Natur oder durch Skelett- oder Zahn-Fehlstellungen bedingt sein – um nur einige weitere Auslöser zu nennen. Doch es gibt Anhaltspunkte, die die Ursachensuche erleichtern. Sie können auch für die Beratung in der Apotheke wichtig sein, etwa bei der Empfehlung für eine fachärztliche Untersuchung. Die Vielzahl der möglichen Ursachen zeigt auch: Ohrenschmerzen sind oft, aber nicht immer ein Fall nur für den Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO).
Erste Hinweise auf die Ursache von Ohrenschmerzen erlaubt das Alter des Patienten. In bestimmten Altersgruppen kommen manche Auslöser häufiger vor als in anderen (siehe Tabelle). Darauf weist die Leitlinie Ohrenschmerzen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hin. Danach entstehen Ohrenschmerzen bei Säuglingen und Kindern häufig durch eine akute Mittelohrentzündung (Otitis media acuta, AOM), bei Jugendlichen überwiegen Entzündungen des äußeren Ohres (Otitis externa). Bei Erwachsenen stehen Reizungen des Kiefergelenks im Vordergrund, bei Senioren etwa Furunkel oder Zahnschäden. Auch an eine Infektion mit Herpes-zoster-Viren sollte man bei ihnen denken.
Eine akute Mittelohrentzündung ist die häufigste Ursache für Ohrenschmerzen bei Kindern. Mehr als 60 Prozent der Kinder erkranken bis zu ihrem sechsten Lebensjahr daran. Sie leiden unter plötzlich einsetzenden, heftigen Ohrenschmerzen mit Hörstörungen. Die Kinder fühlen sich matt und sind leicht reizbar, ihnen wird schwindelig, und sie haben Fieber. Wichtig bei der Diagnostik ist die Untersuchung des äußeren Ohres bis zum Trommelfell. Lässt sich bei diesem eine Vorwölbung (Paukenerguss) erkennen, spricht dies für eine AOM. Wichtiger Hinweis für die Selbstmedikation: Um die Untersuchung nicht zu erschweren, raten Mediziner vom Einsatz von Ohrentropfen ab.
Säuglinge und Kinder | Jugendliche | Erwachsene | Ältere Erwachsene |
---|---|---|---|
Otitis media acuta Fremdkörper im äußeren Gehörgang Parotitis (Mumps) Pharyngitis | Otitis externa Tonsillitis Trauma Weisheitszähne Fremdkörper im äußeren Gehörgang | Otitis externa Kiefergelenks-Arthropathie Zervikalneuralgien Paukenerguss Trigeminusneuralgien kariöse Backenzähne | Furunkel im Gehörgang Zoster oticus Zahnschäden, Kieferentzündung maligne Tumoren, Pharynxkarzinome |
Häufigste Ursachen von Ohrenschmerzen
Quelle: DEGAM-Leitlinie Ohrenschmerzen
Häufig ist eine Infektion der oberen Atemwege Auslöser einer Mittelohrentzündung. Dabei steigen Krankheitserreger aus dem Nasen-Rachen-Raum in den Bereich des Ohres auf. Da Kinder häufig erkältet sind, tritt auch eine AOM in diesem Alter besonders oft auf.
Noch vor wenigen Jahren wurde eine AOM praktisch immer mit Antibiotika behandelt. Angesichts zunehmender Resistenzen besteht hier heute größere Zurückhaltung. Studien haben außerdem gezeigt, dass eine AOM auch ohne Antibiotikagabe wieder ausheilt. Ein möglicher Grund: Häufig handelt es sich um einen viralen Infekt, bei dem Antibiotika naturgemäß wirkungslos sind. In Studien wurde untersucht, welche Erreger bei Kindern mit einer Mittelohrentzündung häufig auftreten. So fanden sich bei 41 Prozent der Kinder mit AOM unter anderem Respiratorische Synzytial-Viren (74 Prozent), Parainfluenzaviren (52 Prozent) und Influenzaviren (42 Prozent). Bei über der Hälfte der Kinder wurden allerdings gleichzeitig auch Bakterien nachgewiesen: Streptococcus pneumoniae (25 Prozent), Haemophilus influenzae (23 Prozent) und Moraxella catarrhalis (15 Prozent). Größere Erfolgsaussichten für Antibiotika bestehen Metaanalysen zufolge bei einer beidseitigen AOM. Bei dieser geht man heute – anders als früher – davon aus, dass sie durch Bakterien hervorgerufen wird.
Allerdings vermindern Antibiotika nicht die starken Ohrenschmerzen, unter denen viele Kinder mit AOM leiden. Bei Kindern ab zwei Jahren empfiehlt die Leitlinie neben körperlicher Schonung und Flüssigkeit die Gabe von Paracetamol (3 bis 4 mal 10 bis 15 mg/kgKG, täglich maximal 60 mg/kg KG) oder Ibuprofen (täglich 20 bis 30 mg/kg KG verteilt auf drei bis vier Gaben), um das Fieber und die Schmerzen zu lindern. Erst wenn sich die Beschwerden innerhalb von 48 Stunden nicht bessern, sollte ein Antibiotikum zum Einsatz kommen.
Manche Ärzte stellen zu diesem Zweck ein »Reserve-Rezept« aus: Eltern bekommen es mit der Anweisung, zunächst eine gewisse Zeit abzuwarten, ob sich die Symptome nicht auch ohne Antibiotika-Therapie bessern; tritt keine Besserung ein, können die Eltern das Rezept einlösen und mit der Antibiotika-Gabe beginnen. Auch dieser Ablauf wurde in Studien untersucht. Dabei zeigte sich, dass das Rezept häufig nicht eingelöst werden musste.
Auch bei Kindern unter zwei Jahren (ab sechs Monaten) kann der Leitlinie zufolge zunächst abgewartet werden, wenn die Krankheitssymptome nicht zu stark sind und die Eltern mit ihrem Kind am nächsten Tag noch einmal zum Arzt kommen. Kinder unter sechs Monaten und Kinder jeden Alters mit sehr starken Symptomen sollten hingegen stationär behandelt werden.
Abschwellende Nasentropfen oder Nasensprays beeinflussten den Krankheitsverlauf in Untersuchungen nicht. Sie können jedoch das Atmen durch die Nase erleichtern und so zu einer Linderung der Beschwerden und einer Besserung des Befindens des Patienten beitragen.
Manche Kinder bekommen nicht nur einmal eine Mittelohrentzündung, sondern immer wieder. Man spricht dann von einer rezidivierenden akuten Mittelohrentzündung. Diese liegt definitionsgemäß dann vor, wenn innerhalb eines halben Jahres mindestens drei Mal eine AOM aufgetreten ist. Dann gilt es, einen Blick auf das Umfeld des Patienten zu werfen, denn neben einer erblichen Veranlagung begünstigen einige Umweltfaktoren wie Passivrauchen das Auftreten. Immunologische Erkrankungen oder eine Fehlfunktion der Zilien sind hingegen eher selten.
Auch eine chronische Mittelohrentzündung gibt es. Sie stellt jedoch keine anhaltende Form der akuten Mittelohrentzündung, sondern ein eigenes Krankheitsbild mit eigenen Ursachen dar. So liegen ihr keine aufsteigenden Infektionen aus dem Rachenraum zugrunde, sondern unter anderem anhaltende Ventilationsstörungen (etwa aufgrund geschwollener Rachenmandeln). Bei einer chronischen Mittelohrentzündung handelt es sich definitionsgemäß um eine über mindestens drei Monate nicht abheilende Entzündung.
Bei Jugendlichen
Treten Ohrenschmerzen bei Jugendlichen oder Erwachsenen auf, steckt häufig eine akute Entzündung des äußeren Ohres, eine Otitis externa, dahinter. Da sie häufig nach dem Schwimmen auftritt, spricht man auch von einer Schwimmbad-Otitis. Doch nicht nur Bakterien im Schwimmbad- oder Badesee-Wasser – eher in ungechlortem als in gechlortem –, sondern auch Pilze oder Allergien können eine solche Entzündung verursachen.
Bei einer akuten Otitis externa reagiert das äußere Ohr schmerzhaft gereizt, es rötet und schuppt sich. Daher besteht Verwechslungsgefahr mit einer Psoriasis vulgaris. Auch die Ohrmuschel und der Bereich um das Ohr herum können gerötet sein. Wichtig: Bei einer Otitis externa reagiert der Tragus – der kleine, verdickte Knorpel vor dem Eingang des Gehörganges – anders als bei einer AOM sehr druckempfindlich.
In der Behandlung einer akuten Otitis externa kommen neben einer fachgerechten Reinigung des äußeren Gehörganges durch den Arzt bei Bedarf Antibiotika und/oder Corticosteroide in Form von Ohrentropfen oder -salben zum Einsatz. Nur wenn auch Allgemeinsymptome auftreten, wird eine systemische Behandlung empfohlen.
Erwachsene mit Ohrenschmerzen profitieren mitunter von einem Besuch beim Zahnarzt oder Orthopäden. Bei ihnen stellen vor allem Erkrankungen des Kiefergelenks, der Bandscheiben oder der Zervikalgelenke häufige Ursachen für Ohrenschmerzen dar. So findet sich bei 50 Prozent der Erwachsenen ohne pathologischen Ohrenbefund eine Ursache an den Bandscheiben oder der Halswirbelsäule. Häufig erkennt der Arzt bei den Betroffenen tastbare Verdickungen der Muskelansätze im Bereich von Schultern und Nacken, druckschmerzhafte Muskelansätze am Hinterkopf und/oder eine Verstärkung der Schmerzen bei Bewegungen der Halswirbelsäule.
Bei Senioren
Bei älteren Patienten muss immer auch an eine mögliche Reaktivierung von Herpes-zoster-Viren gedacht werden. Diese lösen nicht nur die bekannten Symptome einer Gürtelrose aus, auch im Gehörgang kann es zu einer Zoster-Erkrankung kommen, dem Zoster oticus. Hierbei rufen die Viren eine Entzündung des VII. und VIII. Hirnnerven hervor. Hauptsymptom ist die typische Bläschenbildung am äußeren Gehörgang, wodurch Betroffene meist auch schlechter hören. Häufig kommt Schwindel hinzu. Tritt eine Faszialisparese, eine Gesichtslähmung, auf, spricht man vom Ramsey-Hunt-Syndrom.
Behandelt wird der Zoster oticus wie auch die Gürtelrose mit systemischen Virustatika wie Aciclovir, Valaciclovir oder Brivudin plus analgetische Therapie sowie bei Bedarf austrocknende Externa. Die analgetische Therapie sollte innerhalb der ersten drei Tage begonnen werden.
Ohrenschmerzen können außerdem die Folge sein, wenn Fremdkörper in den Gehörgang gelangen. Dies kann in jedem Alter passieren, aber auch hier gibt es altersspezifische Besonderheiten. So finden sich etwa bei Erwachsenen eher Wattereste oder Insekten, bei Kindern hingegen Spielzeug oder Hülsenfrüchte. Häufig führen die Fremdkörper zu einer Irritation der Kutis.
Keine Wattestäbchen
Auch ein Cerumenpfropf kann Ohrenschmerzen hervorrufen, wenn dieser im Gehörgang durch Feuchtigkeit aufquillt. Cerumen wird durch die Ohrenschmalzdrüsen (Glandulae ceruminosae) im äußeren Gehörgang gebildet und dient deren Reinigung. Üblicherweise werden mit ihm zusammen Staub, Schmutz und abgestorbene Hautzellen aus dem Ohr transportiert. Es enthält außerdem Lysozym, das die Vermehrung von Bakterien hemmt. Der Gebrauch von Wattestäbchen kann diesen Selbstreinigungs-Mechanismus stören und zudem zu einer Verdichtung von Ohrenschmalz führen. Eine Reinigung der Gehörgänge sollte daher stets fachgerecht durch einen HNO-Arzt erfolgen. /